- Mythos Privatversicherung – verzweifelte Patienten kämpfen um ihr Recht

Privatpatienten haben es besser, verheißt die Werbung! Sie werden bevorzugt behandelt und bekommen mehr Leistungen. Von wegen! Die privaten Versicherer locken vielmehr junge und gesunde Menschen mit Kampftarifen an, und im Alter droht die Armutsfalle. KONTRASTE berichtet über die Machenschaften der Branche.

Privat oder gesetzlich? Wie sind Sie versichert? Viele wechseln auf der Suche nach günstigen Beiträgen in die private Krankenversicherung, zunehmend auch Freiberufler. Was sie sich dort erhoffen, sind hohe Beitragsstabilität und bessere Leistungen. Klar: Chefarztbehandlung, Ein-Bettzimmer und bevorzugte Behandlung beim Hausarzt, so stellt man sich das vor. Doch in der Realität kommt häufig das böse Erwachen. Caroline Walter und Alexander Kobylinski schildern, was Privatpatienten drohen kann.

Gerhard Berger ist verzweifelt. Der Rentner weiß nicht mehr, wie er seine private Krankenversicherung bezahlen soll. Die Prämie frisst bald die Hälfte seiner kleinen Rente - 820 Euro - auf. Früher ist er für eine Spedition LKW gefahren, als Selbstständiger. Er ist in die private Krankenversicherung gegangen, weil man ihn mit dem Versprechen lockte, dort sei er besser versorgt.

Gerhard Berger
„Das Bittere ist, dass ich die letzten fünf, sechs Jahre vor der Rente so hart geschuftet habe – 15 bis 20 Stunden am Tag, früh um 3 raus, abends um 8 rein, und jetzt im Alter mich durch eine Versicherung einschränken zu müssen, die ich nicht mehr oder kaum noch aufbringen kann, die von Jahr zu Jahr teurer wird. Dafür habe ich nicht geschuftet.“

Der Versicherer hat schon die nächste Beitragserhöhung angekündigt. Dabei muss Gerhard Berger bereits auf viele Leistungen im Krankheitsfall verzichten. Für sein Hörgerät musste er mehrere Hundert Euro extra zahlen, und auch für Medikamente greift er tief ins Portemonnaie. Insgesamt ist er schlechter gestellt als ein Kassenpatient.

Er hat ans Kanzleramt und an viele andere Ministerien geschrieben – niemand konnte ihm helfen. Aus der Privaten kommt er nicht mehr heraus. Mit seinen rund 800 Euro Rente befürchtet er jetzt den sozialen Absturz.

Gerhard Berger
„Dann kommt man eines Tages und brauch‘ vielleicht in fünf, sechs Jahren Sozialhilfe. Das ärgert, das tut weh.“
KONTRASTE
„Nur wegen der privaten Versicherung?“
Gerhard Berger
„Nur wegen der privaten Versicherung.“

Niemand hat ihn bei Vertragsabschluss über die hohen Prämien im Alter aufgeklärt.
Auch in der Werbung kein Wort davon – stattdessen wird ein Mythos verkauft: Medizin erster Klasse - zu Top-Konditionen.

Rüdiger Falken ist ein unabhängiger Versicherungsberater. Seine Erfahrung: Die Methoden der Privatversicherer seien immer die gleichen.

Rüdiger Falken, Unabhängiger Versicherungsberater
„Es sollen junge Leute erst einmal angelockt werden mit günstigen Tarifen, mit Einsteigertarifen, um nachher, weil man weiß, dass dieser Versicherte nicht wieder in die Gesetzliche Krankenversicherung zurück kommt, das ist ja nun mal in den meisten Fällen so, um den später mit höheren Beiträgen tatsächlich auch abzuzocken.“

Massive Beitragssteigerungen sind kein Einzelfall. Doch nicht nur das erwartet die Versicherten. Wer krank wird, kämpft oft mit dem Privatversicherer um die Erstattung von Leistungen.

Wie im Fall von Martin Schmitt. Er hatte einen Herzinfarkt, und wurde wiederbelebt. Seitdem liegt der 52-Jährige im Wachkoma. Wenn seine Schwester ihn besucht, reagiert er. Für seine Therapie bräuchte er einen so genannten Aufstehrollstuhl – damit er seinen Körper spürt, das Gleichgewicht erlebt – ein wichtiges regelmäßiges Training. Doch sein Privatversicherer, die AXA, verweigert ihm dieses Hilfsmittel.
Seine Schwester, selbst Ärztin, kann es nicht glauben.

Sabine Schmitt-Drees
„Da ärgert mich besonders die Tatsache, dass offenbar die Verträge so gehandhabt werden, dass jemand, der guten Glaubens eine Versicherung abschließt, erst im schwersten Krankheitsfall entdecken kann, dass er möglicherweise geradezu nicht versichert ist.“

Die AXA lehnt mit der Begründung ab: Das Hilfsmittel Aufstehrollstuhl sei im Vertrag nicht explizit genannt. Einige Türen neben Martin Schmitt liegt eine Frau - auch im Wachkoma. Sie ist gesetzlich versichert. Die Kassenpatientin hat den Aufstehrollstuhl bekommen. Die Therapeuten können sie leicht und sicher aufrichten – und besser behandeln. Privatpatient Martin Schmitt bleibt diese Möglichkeit verwehrt.

Wie ihm geht es so manchem Privatversicherten. In vielen Verträgen finden sich Versorgungslücken. Denn wer weiß schon bei Vertragsabschluß, was er später mal an Hilfsmitteln braucht? Meist gilt: kein offener Hilfsmittelkatalog, das heißt: die Liste der Hilfsmittel ist begrenzt – mal wird ein Beatmungsgerät nicht erstattet, mal ein Stützkorsett nach Bandscheiben-OP nicht übernommen.

Beim Bund der Versicherten häufen sich deshalb die Beschwerden von Privatversicherten, denen Leistungen nicht oder nur teilweise erstattet werden, trotz Vertrag.

Hajo Köster, Bund der Versicherten
„Wir beobachten immer mehr, dass die privaten Krankenversicherer die eingereichten Rechnungen ihrer Versicherten immer weiter zusammenstreichen, immer mehr Leistungen werden auf Kosten der Gesundheit der Versicherten gestrichen. Das kann natürlich kein Versicherter von Anfang an wissen, wenn es darum geht, entscheide ich mich für die private oder entscheide ich mich für die gesetzliche Krankenversicherung.“

Wir erfahren sogar vom Fall einer Privatpatientin, der kurz vor einer Krebsoperation der Vertrag gekündigt wurde – mit fadenscheiniger Begründung.

Uns interessiert, was der Verband der privaten Krankenversicherung zu der Kritik sagt. Hier hat man eine andere Sicht auf die Nöte der Versicherten.

Volker Leienbach, Verband der privaten Krankenversicherung
„Zu Einzelfällen kann ich mich nicht äußern. Generell gilt, dass sie in der privaten Krankenversicherung ein hervorragendes Leistungsniveau haben, wie auch alle Versicherten das empfinden.“
KONTRASTE
„Trotzdem muss ich wissen, was ich mal haben werde, sonst habe ich den falschen Vertrag?“
Volker Leienbach, Verband der privaten Krankenversicherung
„In der privaten Krankenversicherung haben sie Leistungssicherheit, indem sie vertraglich kontrahiert haben, dass ihre Leistungen ein Leben lang gelten. Das gibt Verlässlichkeit.“

So lange man gesund ist, wird man massiv von Privatversicherern beworben. Wer über das Internet Tarife vergleichen will, muss seine persönliche Daten eingeben. Doch die werden sofort an Makler verkauft, ohne dass man es weiß. Danach folgen penetrante Anrufe. Zum Schein lassen wir uns beraten und schreiben mit. Viele Aussagen des Maklers sind schlicht falsch.

Wir fragen, wie es mit den Hilfsmitteln ist – ob alles bezahlt wird, was man braucht?
Seine Antwort:

Makler
„Ja, das ist alles mit drin.“
KONTRASTE
„Wenn es nicht aufgeführt ist, kriegt man das dann auch?“
Makler
„Ja. Selbstverständlich.“

Der Makler schürt vor allem Angst vorm „Kassenpatienten-Dasein“ und behauptet:

Makler
„Jetzt fällt eine schwere Erkrankung an, Beispiel Krebs, das heißt, der Arzt müsste hier hochwertige Medikamente geben. Chemotherapie, das zahlt nur die Private. Die Gesetzliche lehnt das ab und zahlt keine Chemo, weil das kostet ja richtig Geld.“

Gefährlicher Blödsinn. Auch in Sachen Prämienentwicklung ist er nicht ehrlich. Frage: Stehe ich im Alter mit 800 Euro Prämie da?

Makler
„Nein, werden sie nicht, definitiv nicht. Der Beitrag ist sehr stabil, da wird sich nicht mehr viel tun.“

Belege dafür kann er uns keine geben. Wir erleben mehrere dieser irreführenden Maklergespräche. Versicherungsexperte Falken kennt das. Die Versicherer verweisen ständig darauf, dass die so genannten Altersrückstellungen das System sicher machen würden.

Rüdiger Falken, Unabhängiger Versicherungsberater
„Es ist irreführend, wenn der private Krankenversicherer behauptet, dass es in Zukunft mehr Beitragsstabilität gib, durch die Maßnahmen, die gesetzlicherseits eingeführt wurden, weil es nach wie vor immer noch die gleichen ungenügenden Kalkulationsgrundlagen sind, mit denen man versucht, die private Krankenversicherung zu kalkulieren.“

Auch Günter Diefenbach ist jetzt in der Altersfalle. Auch ihm wurden viele Versprechungen gemacht. Doch seine Prämie für die private Krankenversicherung stieg über die Jahre - bis auf 800 Euro im Monat. Um den Beitrag zu senken, ließ er Leistungen streichen, erhöhte die Selbstbeteiligung und landete bei 330 Euro. Doch der Beitrag stieg wieder - auf jetzt 540 Euro – ein Ende ist nicht in Sicht.

Günter Diefenbach
„Sie sind wütend und fühlen sich also doch relativ hilflos. Und sagen jetzt: ,Was soll ich jetzt noch tun?‘ Wenn das jetzt auf Dauer wirklich nicht mehr so ginge, bleibt mir nur noch der Standardtarif, und dann bin ich aber eigentlich jenseits von Gut und Böse, da, wo ich niemals hin wollte. Ich bin schlechter gestellt unterm Strich als ein gesetzlich Versicherter dann.“

Standardtarif bedeutet – keine Kuren, keine Reha, und extrem begrenzte Hilfsmittel. Er würde sich nie wieder privat versichern – sagt er. Die jungen Leute könne man nur davor warnen.

Es zeigt sich: Die private Krankenversicherung bringt anscheinend weder ihren Versicherten noch der Allgemeinheit Vorteile. Denn: Dem solidarischen gesetzlichen System gehen viele junge, gesunde Beitragszahler verloren. Soll man also die Private abschaffen?

Wir treffen Karl Lauterbach im Bundestag. Er ist einer der wenigen, der nicht vor der Lobby der Privatversicherer einknickt.

Karl Lauterbach (SPD), MdB
„In der jetzigen Form müssen die privaten Krankenversicherungen abgeschafft werden. Also die Vollversicherung, so wie wir sie jetzt haben, hat keinen Wert, ist für die Privatversicherten langfristig ein unkalkulierbares Wagnis. Und es ist auch noch ungerecht und benachteiligt jetzt die gesetzlich Versicherten. Eigentlich ist es ein System, was niemandem hilft, außer den privaten Versicherungskonzernen selbst.“