- Tatort Krankenhaus - Wie das Sparen Patientenleben gefährdet

Rund 17.000 Patienten kommen nach Expertenschätzungen jährlich durch Pflege- und Versorgungsmängel in deutschen Krankenhäusern zu Tode. Gerade ältere Menschen, die sich nicht wehren können, werden zu Opfern. Nachlässige Pflege, Krankenhauskeime, falsche Medikamentengabe - die Liste der Fehler im Klinikalltag ist lang. Schuld ist der drastische Personalabbau bei Pflegekräften sowie fehlende ärztliche Fürsorge und Verantwortlichkeit.

Wie schnell kann es kommen: Ein Unfall, eine bedrohliche Diagnose durch den Arzt - und man muss ins Krankenhaus. Natürlich erwarten Sie zu Recht, dass ihnen dort geholfen wird und dass Sie nicht noch kränker gemacht werden, als Sie es schon sind. Doch genau das passiert in vielen Kliniken, wie Caroline Walter und Alexander Kobylinski bei ihren Recherchen erfahren haben.

Damit hat Klaus Engelhard nicht mehr gerechnet:

Eva Engelhard
„Was quietscht denn so?“
Klaus Engelhard
„Sie spricht. Das gibt es doch nicht. Das ist das erste Mal seit einem Jahr, dass ich Eva spricht. Ich kann … So kenn’ ich sie nicht.“

Jetzt kann er wieder Hoffnung schöpfen, lange sah es nicht gut aus. Denn: ein Klinikaufenthalt hätte seine Frau Eva fast umgebracht.

Es begann mit einer Lungenentzündung und der Einweisung in ein Berliner Krankenhaus. Eva Engelhard hat Alzheimer. Sie braucht viel Hilfe - bei allem. Doch die Pflegekräfte im Krankenhaus ließen sie einfach nur im Bett liegen. Essen und Trinken stellten sie der kranken Frau hin, aber geholfen wurde ihr nicht.

Klaus Engelhard
„Die haben sich gar nicht drum gekümmert. Deswegen hat sie ja auch so viel abgenommen. Die haben da keine Leute. Da hat sich keiner drum gekümmert – um meine Frau. Im Gegenteil – die eine Schwester hat noch zu mir gesagt: ‚Kommen Sie doch Ihre Frau immer füttern’.“

Eva Engelhard wurde immer dünner und schwächer. Ihrem Körper fehlte auch Flüssigkeit, sie trocknete fast aus. Ihr Mann bat um Hilfe – keiner reagierte. Am Ende wog seine Frau nur noch 34 Kilo. Das alles vor den Augen des Pflegepersonals.

Klaus Engelhard
„Ich habe den Eindruck gehabt, dass sie völlig auf dieser Station unterbelegt waren. Die hatten keine Leute gehabt da. Und ich bin auch überzeugt, die Schwestern hätten sich vielleicht bemüht, aber sie hatten ja für diesen, hatten sie nichts gehabt. Und da wird natürlich der Mensch, der sich nicht wehren kann, der wird natürlich dann dementsprechend behandelt – also nicht. ,Lass sie doch liegen!’.“

Genau das hatte schlimme Folgen. Seine Frau bekam eine offene Wunde am Rücken – einen Dekubitus - weil man sie nicht bewegte. Die Klinik schob Frau Engelhard schließlich in ihr Pflegeheim ab. Dort war man über ihren Zustand und die Wunde erschrocken.

Robert Hille, Seniorenheim Bessemerstraße Berlin
„Also, Sie müssen sich das vorstellen, als wenn ein riesengroßes Loch hinten am Steiß wäre. Ja, sie hatte auch höllische Schmerzen gehabt.“
KONTRASTE
„Kommt das denn häufiger vor, dass Bewohner des Heims aus Kliniken dann so zurückkommen?“
Robert Hille, Seniorenheim Bessemerstraße Berlin
„Ja leider, das ist die Realität. Ich muss sagen, so ungefähr jeder zweite Bewohner kommt mit einer Wunde oder einem massiven Gewichtsverlust.“

Klaus Engelhard jedenfalls ist glücklich, dass er seine Frau wieder hat – nachdem sie im Krankenhaus fast ums Leben kam.

Die Pflegemissstände in deutschen Krankenhäusern sind gravierend. Der Grund: Überlastetes, schlecht bezahltes Pflegepersonal. In den letzten zehn Jahren wurden 50.000 Stellen in der Krankenhauspflege abgebaut – obwohl die Zahl der Patienten immer weiter gestiegen ist.

Prof. Michael Isfort untersucht seit drei Jahren die Pflegequalität in deutschen Kliniken, er kritisiert das Sparen an der falschen Stelle.

Prof. Michael Isfort, Pflegeexperte
„Man hat zu lange die Pflege nur als Kostenfaktor gesehen und nicht als ganz zentralen Versorgungsbereich im Krankenhaus. Die Pflege ist schlichtweg aus dem Blickfeld gerückt. Und jetzt merkt man, dass das sich rächt.“

Der Experte befragt regelmäßig Tausende von Pflegekräften nach ihrem Arbeitsalltag. Die Ergebnisse sind alarmierend.

Prof. Michael Isfort, Pflegeexperte
„Die Pflegekräfte sagen selber, dass eine Patientengefährdung stattfindet, weil sie nicht mehr die Patienten beobachten können. Sie können die Medikamente nicht mehr entsprechend geben oder sie verwechseln Medikamente. Sie können sich nicht mehr um die Wundverbände kümmern und sie haben nicht mehr die Zeit Hygienemaßnahmen durchzuführen, die der Patient eigentlich bräuchte.“

Wie gefährlich ein Krankenhausaufenthalt werden kann, erlebten auch Gerhard Hansen und seine Familie. Für den 77jährigen war es der reine Horror. Mit einem Schlaganfall wurde er in eine Klinik eingeliefert, auf eine Spezialstation. Seine linke Seite war gelähmt. Schlaganfallpatienten müssen so schnell wie möglich bewegt werden, um bleibende Schäden zu verhindern. Doch die Pflegekräfte hatten keine Zeit für den Patienten – vor allem nicht an Wochenenden.

Gerhard Hansen
„Wochenende war es nun ganz schlimm. Da waren ja keine da. Dann wurde man nicht mal aufgehoben oder gerade gemacht, dass man sich ein bisschen entspannen kann. Das gab’s nicht. Dann hieß es: Ja, dieses Wochenende sind Sie nicht dran. Nächste Woche, dann sind Sie dran.“

Und nicht nur das: Er wurde immer irgendwo vergessen. Man brachte ihn zwar zur Toilette, vergaß aber, ihn wieder abzuholen. Er wurde in den Essensraum geschoben, und dort wieder vergessen. Er stand mehrmals vor dem Bett – ihm reinzuhelfen, wurde vergessen.

Und während der sechs Wochen im Krankenhaus hat man Gerhard Hansen kein einziges Mal geduscht. Sein Sohn hat sich bei den Pflegern auf der Station beschwert.

Sohn von Gerhard Hansen
„Ich habe ja mit den diversen Pflegekräften gesprochen und die haben mir ganz klar gesagt, dass sie eben einfach zu wenig Personal haben, und das über Jahre. Und das große Problem ist, dass sie selber das auch einfach nicht schaffen können.“

Der Zustand seines Vaters verschlechterte sich immer mehr. Er bekam eine Lungenentzündung. Damit nicht genug: Er infizierte sich in der Klinik auch noch mit dem gefährlichen Noro-Virus, die Folge: tagelanger Brechdurchfall. Wegen mangelnder Hygiene verbreitete sich das Virus von Zimmer zu Zimmer.

Sohn von Gerhard Hansen
„Das war schon ein sehr erschreckendes Erlebnis, zu sehen, dass jemand, der aufgebaut werden soll in einer Klinik, dort sich nach einer Lungenentzündung auch noch einen Noro-Virus einfängt und eigentlich so geschwächt wird, dass er vielleicht nie wieder dieses Krankenhaus lebend verlässt.“

Sein Vater hatte Glück, er überlebte.

Marcus Rall beschäftigt sich jeden Tag mit der Sicherheit und richtigen Versorgung von Patienten. Er sieht nicht nur fehlendes Personal als Problem, sondern auch die mangelhafte Ausbildung derer, die noch da sind.

In seinem Tübinger Institut betreibt er eine Datenbank, an der sich ca. 70 Kliniken auf freiwilliger Basis beteiligen. Ärzte und Pfleger melden Fehler, die ihnen unterlaufen. Wie zum Beispiel:
- Fehldosierung auf (der) Intensivstation
- Falsche Ampulle gegriffen und aufgezogen
- (mangelnde) Hygiene bei isolierten Patienten

Der Mediziner Rall analysiert die Ursachen der Fehler und schlägt vor, wie man sie in Zukunft vermeiden kann. Doch zu wenige Kliniken sind bereit, Fehler zuzugeben und die Zustände zu ändern.

Dr. Marcus Rall, Tübinger Patientensicherheits-Zentrum
„Was mich wirklich aufregt ist, dass man zu langsam reagiert, dass man zu langsam reagiert, dass man nicht schneller reagiert und nicht sagt: ‚Mensch, wir geben Milliarden aus für Patientenschäden. Warum nehmen wir nicht mal eine halbe Milliarde und geben sie für Patientensicherheit aus und etablieren das systematisch?’.“

Aber mehr investieren in Pflegepersonal und in Ausbildung ist scheinbar nicht gewollt. Stattdessen wird das Krankenhaus zum Tatort.

Dr. Marcus Rall, Tübinger Patientensicherheits-Zentrum
„Man geht davon aus, dass etwa 17.000 Patienten versterben an Fehlern in der Medizin, also im Krankenhaus. Das ist also eine vielfache Anzahl zum Beispiel von Verkehrstoten. Wenn Sie das umrechnen, sind das etwa 500 Patienten, die pro Woche an Fehlern in der Medizin versterben. Das entspricht einem Jumbojetabsturz - jede Woche. Wenn das passieren würde, wäre das ein großer Skandal und da würd’ man sich drum kümmern. Aber irgendwie, bei den Patienten im Krankenhaus, scheint das niemanden zu interessieren.“

Das ganze System Krankenhaus gehört also gründlich auf den Prüfstand, wobei das Wohlergehen der Patienten eindeutig Vorrang haben muss vor wirtschaftlichen Interessen der Klinikbetreiber.