- Ablehnung und Neid: Bürgerproteste gegen Asylbewerberheime

Hellersdorf ist überall. Bundesweit protestieren nicht nur Rechtsextremisten sondern auch ansonsten unauffällige Anwohner gegen die Einrichtung neuer Asylbewerberheime in ihrer Nähe. Was sind die Gründe für ihre ablehnende Haltung? Welche Rolle spielen Vorurteile und Gerüchte. Kontraste auf Spurensuche.

Syrien droht ein Militärschlag, Millionen Syrer, vor allem Kinder, mussten schon aus dem Land fliehen. Nicht der einzige Konfliktherd auf der Welt. Trotzdem gibt es hier in Deutschland immer wieder heftige Proteste gegen Flüchtlinge und Asylbewerberheime. Aber woher kommen diese Angst und diese Aggression gegenüber Fremden? Eine Suche nach Gründen von Andrea Everwien und Caroline Walter.

Anwohnerin
„Das war hier ganz urdeutsch, war das hier nämlich ja. Ich bin, ich selber, ich komme vom Ausland, ich bin sehr Kosmopolit, ich hab nichts gegen Ausländer, aber es gibt andere Gegenden, wo diese Leute untergebracht werden können.“
KONTRASTE
„Wo denn?“
Anwohnerin
„Wo die nicht so auffallen, wo es sowieso schon voller Kopftücher ist. Aber dann müssen sie das hier machen …"
KONTRASTE
„Was haben sie dann dagegen, dass die hier sind?"
Anwohnerin
„Sie Deutschen - sie sind doch nicht ganz bei Groschen."

Berlin Reinickendorf - die Wut gilt den Bewohnern des Asylbewerberheims nebenan. Darin leben über 100 Flüchtlingskinder. Unter ihnen die vierjährige Sorya. Ihr Vater war Sprachlehrer an einer Mädchenschule in Afghanistan, wurde deswegen von den Taliban verfolgt. Für seine Tochter wünscht er sich, dass sie endlich eine normale Kindheit erleben darf:

Haroum Kamran
Flüchtling aus Afghanistan

„Bitte, lassen Sie unsere Kinder spielen, denn bisher sahen sie in ihrem Leben nichts als den Krieg in meinem Land. Lassen Sie unsere Kinder auf den Spielplatz gehen und spielen."

Aber Sorya darf nicht auf den Spielplatz, denn der liegt inmitten der benachbarten -Wohnanlage - und deren Eigentümer dulden keine Asylkinder auf ihrem Privateigentum. Den Zaun haben sich noch höher gezogen. Vernünftig reden kann man mit den Nachbarn nicht.

Anwohnerin
„Wir sind eine Eigentümergemeinschaft, das ist unser Privatbesitz, das geht niemanden was an."

Die Anwohner haben sogar einen Anwalt beauftragt, der das Heim ganz wegklagen soll. Als ein paar Kinder im Heim die Windpocken haben, setzen die Anwohner durch, dass das Haus medienwirksam unter Quarantäne gestellt wird - unvorstellbar, wenn hier Deutsche wohnen würden. Denn Windpocken sind nicht gefährlich. Gleichzeitig taucht dieses Flugblatt auf, setzt das Gerücht in die Welt, sogar TBC und Cholera könnten von den Flüchtlingen ausgehen. Bei Heimleiterin Claudia da Silva stand das Telefon nicht mehr still.

Claudia da Silva
Heimleiterin Marie-Schlei-Haus

„Später hieß es, es hätte Tote gegeben, zwei Tote. Und da habe ich gesagt: Ja wo denn? Also ich meine ich wüsste das ja als Einrichtungsleiterin, wenn es hier einen Todesfall oder was weiß ich auch immer gegeben hätte. Es gab auch keine Toten hier."

Offenbar ist jedes Mittel recht, um die Flüchtlinge zu vertreiben - Menschen, die hier eigentlich zur Ruhe kommen wollen.

Am anderen Ende der Stadt, in Berlin-Hellersdorf, 80 Asylbewerber konnten hier nur unter Polizeischutz einziehen - seitdem gibt es Tumult um das Haus.

Gleich um die Ecke wohnen Sabine und Wolfgang Paul, seit 25 Jahren sind sie in Hellersdorf, durch die Asylbewerber fühlen sie sich gestört.

Sabine Paul
„Man hat vielleicht Angst. Weil es eben aus…. Grob gesagt: Ausländer sind. Man hört vieles Negatives, das ist es."
Wolfgang Paul
„Die spielen dann hier verrückt."
KONTRASTE
„Was machen die denn?“
Wolfgang Paul
„Na ja, zum Beispiel Räubern gehen, klauen gehen."
Sabine Paul
„Das sind eben nicht solche Deutschen wie wir."

Sabine Paul ist 52, sie hat viele Jahre als Verkäuferin gearbeitet. Jetzt ist ihr Rücken kaputt und sie ist arbeitslos.

Sabine Paul
„Ich fühl mich irgendwie im Stich gelassen. Von die Politiker. Wie ich vorhin schon sagte: Man ist über 50 und man kann ja dann entsorgt werden.“

Wolfgang Paul hat noch Arbeit, er ist Installateur. Manchmal trifft er dabei auch auf Ausländer, die sich schlecht benehmen. Das bleibt bei ihm sofort hängen.

Das Grundgefühl der Pauls: Ihr Leben ist nicht, wie es sein soll. Und statt, dass der Staat ihnen unter die Arme greift, unterstützt er die Asylbewerber.

Sabine Paul
„Ein leerstehendes Gebäude wird ruckzuck wird's ausgebaut. Weiß nicht, wie es drinne aussieht, aber das funktioniert dann. Aber bei uns wird hier wird nichts Neues gemacht."
Wolfgang Paul
„Die kriegen hier gleich die goldenen Taube in den Mund gesetzt. So ist das meistens. Aber unser einer muss sich das kleine Bisschen, was er hat, auch erarbeiten."
Sabine Paul
„Also, es wird alles sehr schön hergerichtet, so wie wir erfahren haben."
KONTRASTE
„Würden Sie da einziehen wollen? Seien Sie doch mal ehrlich mit sich selber!"
Sabine Paul
„Nee, würde ich nicht einziehen, nein. Nee, würde nicht, da haben Sie schon recht.“
Wolfgang Paul
„Möchtest Du in 15 qm leben? Du hast Dein Schlafzimmer, Du hast Dein Wohnzimmer, das haben die alles nicht."

Wenn die Pauls Nachrichten sehen, empfinden sie durchaus Mitgefühl für Menschen, die vor Krieg und Gewalt fliehen müssen. Zum Beispiel aus Syrien.

Sabine Paul
„Die Leidtragenden sind immer die Zivilbevölkerung. Und die Kinder."
Wolfgang Paul
„Genau.“
KONTRASTE
„Aber die wollen sie hier nicht so gerne haben?“
Wolfgang Paul
„Die Frage ist gut gestellt."

Familie Paul ist im Zwiespalt. Als sie an diesem Tag an der Asylunterkunft vorbeigehen, gibt es bei ihnen einen Moment den Impuls, die Kluft überwinden zu wollen. Aber es geht nicht.

Sabine Paul
„Skeptisch bin ich dazu und ängstlich bin ich sowieso. Also, ich habe ein bisschen Angst davor, ja. Das sind fremde Leute - passieren könnte mir in dem Moment nichts - aber meine innere … das innere Ich sagt: Nein, du gehst da noch nicht rein.“

Vorläufig bleibt es offenbar dabei: hier die Deutschen, dort die Fremden, vor denen man sich angeblich fürchten muss.

 

Beitrag von Andrea Everwien und Carolin Walter