Kosovo, Quelle: rbb

- Armenhaus Kosovo: Trotz Milliardenhilfe kein Fortschritt

Trotz verschärfter Grenzkontrollen suchen immer noch täglich über hundert Kosovaren ihr Heil in der Flucht nach Deutschland. Sie fliehen vor Arbeitslosigkeit und Korruption. Die einstigen Schutzmächte versprachen einst Aufbauhilfe für die Wirtschaft und den Rechtsstaat. Doch bei den Menschen ist davon nicht viel angekommen.

Sie kommen zu tausenden. Immer mehr Menschen aus dem Kosovo beantragen in Deutschland Asyl, weil sie bei uns leben und arbeiten wollen. Das ärmste Land Europas erlebt zur Zeit einen dramatischen Exodus. Doch hier sind sie nicht gerne gesehen, im Gegenteil: Anfeindungen und Abschottungsversuche der Politik nehmen zu. Dabei tragen Deutschland und die internationale Gemeinschaft Mitverantwortung für die Lage vor Ort. Zwar sitzen auch zahllose internationale Hilfsorganisationen im Kosovo und pumpen viel Geld ins Land. Doch man fragt sich: Warum gehen die Menschen dann trotzdem weg. Was läuft hier schief?

 

Wir sind in einer Berliner Asylunterkunft: Vor kurzem kam diese Familie aus dem Kosovo hierher. Die Eheleute wollen nicht erkannt werden, sie befürchten Nachteile, wenn sie wieder ins Kosovo zurück müssen. Vater Kurtish erzählt, dass er dort oft keine Arbeit hatte und kein Geld, um die Familie zu ernähren. Vor allem sei es schlimm, wenn man krank würde – wie seine Schwiegermutter.

O-Ton/Kosovarischer Asylbewerber
„Sie brauchte eine Operation, weil ihre Hüfte gebrochen war. Wir mussten lange Zeit warten und dann Schmiergeld bezahlen, nur damit sie in den OP-Saal kommt und behandelt wird. Und dann kostete die Prothese noch 450 Euro, die wir auch selber zahlen sollten. Genau wie viele der Medikamente.“

Für die Gesundheit der 62-Jährigen verkauften sie ihre letzten Habseligkeiten. Aber trotz der Behandlung kann sie nicht mehr laufen. Im Kosovo gebe es nichts, was ihnen noch Hoffnung macht. Doch in Deutschland werden sie als Asylschmarotzer beschimpft.

Horst Seehofer (CSU), Parteivorsitzender
„Wir sind nicht das Sozialamt des Balkans.“

Joachim Herrmann (CSU), Innenminister Bayern
„Der tausendfache Zustrom von Asylbewerbern aus dem Kosovo ist ein offenkundiger Missbrauch unseres Asylrechts.“

Wir reisen ins Kosovo – ein Land, in dem vor 15 Jahren noch Krieg herrschte, ein Land, das längst durch internationale Hilfe aufgebaut sein sollte. Doch was ist hier passiert, dass jetzt über 18.000 Kosovaren nach Deutschland flüchten?

Wir sind in Vushtrri. Die Stadt wirkt seit der Fluchtwelle wie ausgestorben. Arbeitsplätze gibt es kaum. Ein paar Händler versuchen am Straßenrand Milch und Gemüse zu verkaufen. Wenn Sie Glück haben, verdienen sie fünf Euro am Tag. Gern würden sie mehr anbauen, aber für einen simplen Traktor fehlt das Geld.

O-Ton/Milchverkäufer
„Wir schlagen uns so durch. Ich kann mir nur Grundnahrungsmittel leisten wie Mehl oder Speiseöl. Wenn ich aber zum Arzt muss, wird es schwierig, weil wir über keine Reserven verfügen.“

Die Lebenserwartung der Menschen im Kosovo ist 7 Jahre geringer als im Rest des Balkans. Es gibt so gut wie keine Industrie. Die Jugendarbeitslosigkeit ist konstant hoch bei über 60 Prozent.

In der Hauptstadt Priština: An einer Ecke bietet dieser Mann seine Dienste für Transporte oder Umzüge an. Manchmal trägt er Betten in den 10. Stock, erzählt er. Am Ende verdient er oft nur 4 Euro für einen Auftrag. Im Moment wartet er ständig umsonst.  

O-Ton/Arbeiter
„Obwohl ich 12 Jahre Schulbildung habe, und mit den besten Noten abgeschlossen, kann ich meinen zwei Kindern nicht ausreichend Unterstützung für deren Schulbildung bieten. Ich hatte nie einen festen Job.“

Auch er würde am liebsten sofort nach Deutschland abhauen, sagt er, aber besser wäre, es würden im Kosovo endlich Jobs geschaffen. Doch darauf wartet er seit Jahren vergeblich.

Dabei sind gerade in diesem Land Tausende von internationalen Hilfsorganisationen tätig - neben zahllosen EU-Institutionen – mit teuren Beratern, die viele Berichte und Papiere schreiben. Bewirkt haben sie aber vor allem eins: die Mietpreise sind stark gestiegen und auch die Lebenshaltungskosten.

Insgesamt wurden Milliarden an Entwicklungshilfe ins Kosovo gesteckt -  aber mit  wenig Erfolg. Wie kann das sein? Fragen wir Pater Walter Happel. Er lebt seit 12 Jahren im Kosovo und hat so manche Hilfsorganisation kennengelernt.

O-Ton/ Pater Walter Happel, Loyola-Gymnasium
„Mit dem Geld musste man dann eben die Büros, die Autos und die Gehälter dieser Nicht-Regierungsorganisationen sicherstellen. Natürlich haben die dann auch hier und da und dort was gemacht. Aber nichts war nachhaltig, nichts.“

In der Kritik ist auch die Entwicklungsorganisation der deutschen Regierung – die GIZ und ihre Arbeit vor Ort. Hinter gut klingenden Projektnamen zeigte sich oft wenig Erfolg – Das berichtet uns dieser Insider. Er hat jahrelang mit der GIZ zusammengearbeitet und viele Projekte erlebt, die nur ein Strohfeuer waren.

O-Ton/Informant
„Ich habe gegenüber GIZ Verantwortlichen kritisiert, dass sich alles nur darum drehte, das Budget auszugeben, statt sich um die Wirkung der Projekte zu kümmern. Da war man nicht wirklich hinterher.“
 
Unabhängige und unangekündigte Kontrollen der GIZ-Projekte habe es nicht gegeben. Stattdessen habe man lieber schöne Berichte nach Deutschland geschickt.

O-Ton/Informant
„Ich habe mehrere Kontrollen miterlebt, und das waren zumeist ehemalige GIZ -Mitarbeiter, die diese Kontrollen gemacht haben, die als Berater für die GIZ in Zukunft tätig sein wollten. Da gab es ganz klar Interessenkonflikte. Mir schien, dass kritische Stellungnahmen oft nicht weitergeleitet wurden.“

Das deutsche Entwicklungshilfeministerium teilt uns zu den Vorwürfen mit - die GIZ-Vorhaben hätten die Erwartungen erfüllt und ihre Wirkung sei von Anfang an kontrolliert worden.

Das Einzige, was im Kosovo floriert, sind organisierte Kriminalität und Korruption. Wer ein Geschäft betreiben will, der muss großzügig Schmiergeld einplanen. Das schreckt Geschäftsleute und ausländische Investoren ab.

Die Korruption ist allgegenwärtig. Dabei sollte genau das durch eine besondere EU-Mission namens Eulex verhindert werden. Weil es im Kosovo keine funktionierende Justiz gab, wurden eigens Staatsanwälte und Richter aus der EU eingesetzt. Sie sollen gegen Korruption und organisiertes Verbrechen ermitteln und Urteile fällen.  

Aber Eulex versagte in wichtigen Fällen. Das kritisiert die Journalistin Selvije Bajrami. Sie deckte den Fall von Nazmi Mustafi auf: Der Chef der kosovarischen Anti-Korruptionsbehörde geriet selbst unter Korruptionsverdacht.

O-Ton/Selvije Bajrami, Journalistin
„Er war zuständig für Korruptionsfälle und hat Verdächtigen angeboten, die Ermittlungen einzustellen, wenn sie 20.000 oder 30.000 Euro an ihn bezahlen würden.“

Eulex wusste von diesem Korruptionsfall, doch die Ermittler blieben untätig. Erst als die Journalistin massiv Druck machte, wurde Eulex aktiv.

Schwere Vorwürfe gegen Eulex erhebt auch Andrea Capussela. Er hat selbst im Kosovo für eine internationale Behörde gearbeitet und tiefe Einblicke in die Wirtschaft des Landes bekommen. Capussela hat gerade ein Buch über die Fehler der Eulex-Mission geschrieben.
 
O-Ton/Andrea Capussela, ehem. International Civilian Office
„Ich habe Eulex-Ermittlern etwa ein Dutzend Fälle geschickt, Fälle, in denen eindeutige Hinweise vorlagen, dass Korruption im Spiel ist. Aber Eulex hat nicht gehandelt, bis auf eine Ausnahme. Und ich denke, sie blieben untätig, weil es um Strafverfolgung von Mitgliedern der politischen Elite gegangen wäre.“

Eulex habe der Wille gefehlt, sich mit der politischen Elite anzulegen, die tief in das korrupte System verstrickt sein soll.  

Wir konfrontieren Eulex mit den Vorwürfen – doch dort perlt jede Kritik ab.

O-Ton/Dragana Nikolić-Solomon, Pressesprecherin Eulex
„In unserer Einschätzung ist die Mission ein Erfolg. Die Justiz kann man schwer bewerten. Sie ist langsam und ich verstehe, die Bürger wollen schnellere Erfolge sehen.“

Über eine Milliarde hat Eulex den europäischen Steuerzahler schon gekostet – bislang die teuerste Mission der EU.

O-Ton/Andrea Capussela, ehem. International Civilian Office
„Das größte Hindernis für die wirtschaftliche Entwicklung im Kosovo ist der schwache Rechtsstaat. Eulex sollte ihn stärken, aber aus meiner Sicht wird die Mission das Kosovo in einem schlimmeren Zustand als vorher zurücklassen.“

Die kosovarische Regierung verprasst gerne viel Geld in eigener Sache. Das kleine Kosovo leistet sich mehr Ministerien als Deutschland. Überall herrscht eine aufgeblähte Verwaltung. Und: die Regierung leistet sich überteuerte Projekte wie diese Autobahn in den Süden. Sie kostete geschätzt fast eine Milliarde Euro.

Viel wichtiger wären Investitionen in die Bildung. Wir sind an einer öffentlichen Schule – hier fehlt es an allen Ecken. Die Kinder müssen unter widrigsten Bedingungen lernen. An vielen Schulen im Kosovo herrscht Schichtbetrieb, damit überhaupt Unterricht stattfinden kann. Es fehlen Klassenräume.

Er wollte im Kosovo dauerhaft etwas verbessern. Der deutsche Pater Walter Happel hat das Loyola-Gymnasium in Prizren gegen viele Widerstände aufgebaut – mit Spendengeldern. Die Schüler sind stolz hier zu lernen und hoch motiviert wie auch die Lehrer. Aber die Realität vor dem Schultor macht dem Pater wenig Hoffnung.

O-Ton/Pater Walter Happel, Loyola-Gymnasium
„Es gibt kein verlässliches Gesundheitssystem. Es gibt keine verlässliche Versorgung mit Elektrizität. Die Wasserversorgung ist nicht sichergestellt und so geht es weiter. Der Staat, die öffentliche Hand, wird nur erlebt, als eine Hand, die kassiert, kassiert, kassiert, aber nichts bringt.“

An diesem Freitag erhält der Pater besonderen Besuch – die bayerische Europa-Ministerin Beate Merk. Sie ist zum zweiten Mal innerhalb weniger Wochen im Kosovo – weil das Problem jetzt vor ihrer Haustür steht.

O-Ton/Beate Merk (CSU), Europaministerin Bayern
„Die hohen Zahlen an kosovarischen Asylbewerbern in Bayern haben mich dazu gebracht, in den Kosovo zu fahren und mich zu erkundigen, was die Ursachen dafür sind, was wir dagegen unternehmen können, dass Menschen diesen vergeblichen Weg nach Deutschland unternehmen.“

Gegen die Ursachen der Armut im Kosovo hätte die deutsche Regierung schon längst etwas unternehmen können.

Beitrag von Caroline Walter und Christoph Rosenthal