Kinder beim Einschhulungstest (Quelle: rbb)

- Ausländische Kinder in Deutschland: Das Ende der Integration?

Berlin-Kreuzberg, türkischen Kindern fehlen grundlegende Deutschkenntnisse.

Kürzlich ist es in Berlin passiert: Eine türkische Familie hat per Gerichtsbeschluß erzwungen, daß die Tochter nicht mehr am Sexualkunde-Unterricht teilnehmen muß. In einer türkischen Großstadt, in Berlin also, ist konzentriert zu beobachten, was auch andernorts in Deutschland stattfindet: Ausländer, die hier geboren sind, schotten sich immer mehr von der deutschen Gesellschaft ab. Ihr gar nicht heiteres Berufungsraten: Was bin ich?, Ihre Suche nach dem Selbst hat Folgen, und die schildert Reinhard Borgmann.


Ina Giebel, Lehrerin
"Ich heiße Ina Giebel, und wie heißt Du?"
"Tolga"
"Wunderbar, möchtest du gerne in die Schule kommen?"
"Ja"

Ein Gespräch wie dieses ist Routine an der Schule. Die Lehrerin und der Schulleiter wollen sich ein Bild über die Fähigkeiten des 5jährigen machen. Tolga ist in Berlin geboren und in Berlin aufgewachsen. Jetzt sollen seine Deutschkenntnisse getestet werden.

Ina Giebel
"Sehr gut, das ist rot. Weißt Du noch, welches der Apfel war? Wo ist der Apfel? Wo ist der Apfel? Soll ich dir vorsagen? Da ist er. Machst Du ihn mal bitte rot."

Tolgas Deutschkenntnisse reichen nicht aus. Er wird für ein Jahr von der Schule zurückgestellt.

Ein weiterer Test: Die Zwillinge Meryem und Merkan sollen im Herbst in die Vorschule. Beide sind in Berlin geboren und auch hier aufgewachsen.

Ina Giebel
"Kannst du mir mal sagen, was das ist? Weißt du was das ist? Ich mach dir mal vor, wie der macht: Wuff, Wuff, Wuff. Kennst du das? Der bellt. Weißt Du wie der heißt, weißt du wie das Tier heißt?"

Auch hier keine ausreichenden Deutschkenntnisse.

Eine Vorklasse an der gleichen Schule. Von 16 Schülern konnten hier nur drei Deutsch sprechen. Die Folge: Die Lehrerin konnte sich am Anfang des Schuljahres nur mit Händen und Füßen verständlich machen.

Doris Hegnal-Wagner, Vorklassenleiterin
"Wir müssen also im Grunde genommen alles mit zeigen und so machen und es ist im Grunde genommen eine Katastrophe. Ich muß auch sagen, ich verstehe es auch nicht, warum es so läuft. Die Leute leben hier, müssen ja auch einkaufen und alles und es gibt immer ein Familienmitglied, was Deutsch kann und meist auch die größeren Geschwister."

Wir besuchen die Familie von Tolga in Berlin Wedding. Wir wollen wissen, warum er kein Deutsch spricht, obwohl er hier geboren und aufgewachsen ist. Seine Mutter ist ebenfalls in Berlin geboren, hat hier die Realschule besucht und will mit ihrer Familie in Deutschland bleiben. Die junge Mutter liebt ihr einziges Kind. Heute hat sie Urlaub und kann sich besonders um Tolga kümmern.

Normalerweise arbeitet sie hier mit ihrem Mann in der Bäckerei ihres Vaters und verdient so ihr eigenes Geld.

Tolga ist oft allein zu Hause. Er verbringt die meiste Zeit vor dem Fernseher.
Seit die Satellitenschüssel installiert ist, sieht er ausschließlich türkische Sender. Auch die Mutter sieht längst kein deutsches Fernsehen mehr. Bücher und Spielzeug gibt es kaum, Kontakt zu deutschen Spielkameraden und Freunden hat Tolga nicht. Einen Kindergarten hat Tolga nie besucht.

Funda Bahceci
Frage: "Sie sprechen ja nun hervorragend deutsch. Wo haben sie das denn gelernt?"
"Na, im Kindergarten, und wir haben auch zu Hause mit meinen Eltern Deutsch gesprochen, als Kind halt. Wir hatten es leichter dann, weil unsere Eltern Deutschkenntnisse hatten, dadurch haben wir heute keine Schwierigkeiten halt Deutsch zu sprechen."
Frage: "Welche Sprache sprechen Sie denn hier in der Familie?"
Antwort: "In der Familie wird hauptsächlich Türkisch gesprochen."

Grund dafür sind vor allem die mangelnden Deutschkenntnisse des Vaters. Der Vater will, daß Tolga zuerst richtig türkisch lernt.

Funda Bahceci
"Er meint, das Deutsch, das wird er in der Schule auch lernen können. Da ist es doch schon lieber, wenn er zu Hause dann die türkische Sprache erst mal lernt."

Das Problem des Deutschlernens wird also auf die Schule abgeschoben, obwohl diese aufgeklärten türkischen Eltern es aus eigener Erfahrung besser wissen müßten.

Eine andere türkische Familie, eine andere Welt. Die Eltern der beiden Zwillinge Merkan und Meryen sind sehr stark religiös orientiert. Hier spricht der Vater hervorragend Deutsch, hat Hauptschulabschluß und Lehre in Berlin hinter sich. Trotzdem sprechen die Kinder kaum ein Wort Deutsch, die älteste Tochter Merve wurde wegen mangelnder Deutschkenntnisse ein Jahr von der Schule zurückgestellt.
Warum die Kinder kein Deutsch sprechen, ist in dieser Familie leicht zu beantworten: Die Mutter ist in der Türkei aufgewachsen und dort zur Koranschule gegangen. Erst ihr Mann holte sie vor sieben Jahren nach Deutschland. Sie erzieht die Kinder und spricht bis heute kaum Deutsch. Ihr Mann hat sich ganz bewußt für eine Frau aus der Türkei und nicht für eine Türkin aus Deutschland entschieden.

Hüseyin Börekci
"Der Unterschied ist erst mal Haussitten, sie sind erst mal gegenüber den Männern anders, weil, die wissen ja, was eine Ehe bedeutet. Das wichtigste ist die Ehe, und die Frauen hier, die sind irgendwie freier. Also, man kann eine Frau hier haben, aber nicht für die Ehe."

Die Mutter der Zwillinge hat alle Erwartungen erfüllt. Stolz zeigt sie den nach drei Töchtern lang erwarteten Stammhalter. Die liebevolle Erziehung der Kinder zur religiösen Tradition liegt voll in der Absicht des Vaters:

Hüseyin Börekci
"Ich und meine Frau wollen, daß unsere Kinder nicht so aufwachsen wie wir. Weil, ich bin hier aufgewachsen in zwei Kulturen, einmal türkische Kultur und einmal deutsche Kultur. Und ich weiß jetzt nicht, wo ich hingehöre, weil ich kenne die türkische Kultur nicht, weil ich einmal im Jahr 'rüberfahre. Ich sehe sehr wenig in vier Wochen oder fünf Wochen. Aber hier, wenn wir jetzt hier wieder zurückkommen, ist es das gleiche Problem. Man weiß nicht genau, wo man hingehört. Und deswegen haben wir beschlossen, daß unsere Kinder erst mal unsere Kultur, unsere Religion, unsere Sitten erst mal richtig begreifen, lernen. Und dann können sie die deutsche Kultur, den deutschen Glauben kennenlernen."

Doch dann ist es zu spät. Leidtragende dieser prinzipienfesten Haltung werden die Kinder sein. Wenn sie nicht frühzeitig Deutsch lernen, haben sie später in Ausbildung und Beruf keine Chance.

Die Folge solcher Erziehungspraktiken: Immer mehr türkische Kinder in Berlin haben immer geringere Deutschkenntnisse. An vielen Schulen beträgt der Anteil dieser Kinder inzwischen über 80 Prozent.
Gerade in Kreuzberg hat sich die Situation in den letzten Jahren dramatisch geändert. Der Ausländeranteil hat zugenommen, mehr und mehr fundamentalistisch eingestellte Türken dominieren das Bild. Die sozialen Problemfälle nehmen zu. Deutsche Familien verlassen zunehmend den Bezirk. Selbst die alternative Szene wandert ab, die früher mit ihrem multikulturellen Selbstverständnis den sozialen Zusammenhalt des Bezirkes gestärkt hat. Die Schulbehörde ist über diese Entwicklung besorgt:

Hannelore Kern, Schulrätin Kreuzberg
"Das hat dann natürlich zur Konsequenz, daß der Ausländeranteil weiter steigt in diesen Teilen und die Integrationsmöglichkeiten der ausländischen Kinder immer mehr abnehmen. Das hat sogar zur Folge, daß bildungsbewußtere türkische Familien auch versuchen, ihre Kinder aus diesen Schulen und Klassen abzumelden und in anderen Bereichen einzuschulen und verschärft die Situation insgesamt weiterhin."

Diese Kreuzberger Schüler sind die Übriggebliebenen: Ihre Eltern ziehen nicht in einen anderen Bezirk. Hier leisten die Lehrerinnen Schwerstarbeit.

Doris Jokisch, Lehrerin
"Ihr könnt von eurer Oma erzählen, das könnt ihr jetzt auch in Türkisch machen, da könnt ihr das ja ein bißchen besser erzählen. So, Frau Gürbis macht das."

Ohne ihre türkische Kollegin, die alles übersetzen kann, wäre die Klassenleiterin aufgeschmissen. Beide Lehrerinnen geben ihr äußerstes, um den Kindern den Stoff auf Deutsch und Türkisch zu vermitteln. Doch der Erfolg ist gering. Ein zusätzlicher Deutschunterrricht würde die Konzentrationsfähigkeit der Kinder überfordern.

Doris Jokisch, Lehrerin
"Die Kinder sprechen ja nur Deutsch in der Schule. In der Ghettosituation, in der sie leben, im ganzen Haus sind nur türkische Familien. Auf der Straße spielen sie mit türkischen Kindern. In den Horts ist es nichts anderes. Die Zahlen sind genauso wie bei uns an der Schule. Das heißt, sie sprechen ja nur in der Schule Deutsch. Und das ist zuwenig. Ich denke, wir brauchten viel mehr Unterstützung von zu Hause, durch die Eltern, daß die Eltern mit den Kindern zu Hause Deutsch sprechen. Das wäre für uns 'ne Hilfe."

Der gleichen Meinung ist auch der türkische Elternverein. Hier geht man sogar noch weiter: Diejenigen Eltern, die ihre Kinder nur religiös erziehen wollen, sollten in die Türkei zurückgehen.

Safter Cinar, Türkischer Elternverein
"Also, wir sagen erst mal, wenn jemand sein Kind wie ein türkisches Kind aufziehen lassen will, dann soll er in die Türkei zurückkehren. In der Bundesrepublik Deutschland kann man das Kind, darf man das Kind nicht so erziehen, als ob man in der Türkei lebe. Das ist die eine Seite, ist es sozusagen als Schlagwort. Das sagen wir den Eltern. Also, wenn Ihr die Zukunft hier seht, und das seht Ihr offensichtlich. Ich meine, Ihr habt Euch mit allem hier niedergelassen, dann müßt Ihr dafür sorgen, daß Eure Kinder möglichst schnell sowohl die Sprache als auch die sozialen Normen dieser Gesellschaft erlernen. Das heißt ja nicht, daß sie das, was sie vom Elternhaus haben, alles abgeben müssen, ganz im Gegenteil, da wird sich sicherlich dann eine Synthese finden. Aber die Eltern müssen selber dazu offen sein, damit dann auch die Kinder dazu offen sein können."

Der Bundestag muß endlich die doppelte Staatsbürgerschaft für die in Deutschland Geborenen beschließen. Mit achtzehn Jahren können sie sich dann für die eine oder andere entscheiden. Wer aber glaubt, damit allein seien die Probleme bis hin zu den aggressiven türkischen Jugendbanden gelöst, damit würde der islamische Fundamentalismus verschwinden, der täuscht sich. Die deutsche Linke fällt aus ihrem Traum von der multikulturellen Mixtur auf den harten Boden der Realitäten, und die, die mit dem Schild demonstrierten "Auch ich bin ein Ausländer", melden ihre Kinder aus Schulen mit hohem Ausländeranteil ab, weil sie dort nicht mehr genug Deutsch lernen. Wenn verschiedene Kulturen aufeinanderstoßen, dann ist nicht Friede, Freude, Eierkuchen die Folge, dann entsteht Konflikt. Der muß ausgehalten werden in einem Einwanderungsland wie Deutschland, der ist aber durch Integrationsangebote auch zu mildern. Dabei haben auch Ausländer eine Bringschuld.