- "Wer betrügt, fliegt raus" – Bulgaren in Berlin

„Betrüger aus Rumänien und Bulgarien unterwandern den deutschen Sozialstaat“ – so oder ähnlich lauten dieser Tage viele Schlagzeilen. Doch wer betrügt hier wen? Eine Reportage über Bulgaren auf dem „Berliner Arbeiterstrich“.

Sie erinnern sich an den Spruch: "Wer betrügt, fliegt!" Damit hatte die CSU Anfang des Jahres Stimmung gegen Osteuropäer gemacht, die nach Deutschland kommen, vermeintlich nur, um von unseren Sozialleistungen zu profitieren. Deshalb hat die Grosse Koalition kürzlich eilig ein Massnahmenpaket zur Bekämpfung der Armutseinwanderung vorgelegt. Doch um wen geht es dabei eigentlich? Unser Reporter Gordian Arneth zeigt, wie der Alltag vieler Tagelöhner wirklich aussieht.

Samstag, Berlin-Wedding. Jede Woche das gleiche Bild: Die Busse aus Bulgarien treffen ein. Der Leopoldplatz ist für die Reisenden das Tor ins Traumland Deutschland - und das Café Mayko ihr erster Anlaufpunkt.

Die Neuankömmlinge zählen in Bulgarien zur Unterschicht. Dort sprechen sie türkisch, sind Roma oder gehören einer anderen Minderheit an.

Gast
"Wir haben Bulgarien verlassen, unsere Kinder können dort nicht zur Schule gehen. Sie haben kein Geld, nicht mal für Kleider. Wir kommen her mit der Hoffnung, dass wir bessere Tage erleben, damit sie zur Schule gehen können und eine Bildung bekommen wie die Westeuropäer."

Nici
"Meine Frau zu Hause erwartet , dass ich ihr Geld schicke. In vier Monaten habe ich 150 Euro geschickt. Jetzt sind die Kinder krank geworden, doch sie können keine Medikamente kaufen. Wir sind doch nur hier um eine gute Arbeit zu bekommen, finden aber nichts."

Arbeitslos und oft verschuldet nach der teuren Reise: Viele Gäste besitzen keinen Cent mehr. Man tauscht Tipps, wie man an eine Wohnung oder einen Job kommt.
Die Bulgarin Mayko betreibt das Café gemeinsam mit ihrem aus der Türkei stammenden Ehemann Mehmet. Mayko hilft ihren Landsleuten, wo sie kann.

Mayko
"Sie kommen nachts, ohne Unterkunft, wissen nicht was sie machen sollen. Wir kümmern uns dann um sie. Dann schlafen die Leute hier auf den Tischen und wir geben ihnen umsonst was zu essen."

Das Mayko ist aber auch als bulgarischer Arbeiterstrich bekannt. Vor der Tür hoffen die Männer, dass Autos halten und die Fahrer sie als ungelernte Tagelöhner auf Baustellen engagieren. Als wir das drehen wollen, geht Cafébesitzer Mehmet auf Distanz.
Er telefoniert plötzlich viel. Macht er als Vermittler Kasse und warnt jetzt potentielle Auftraggeber, weil wir da sind? Wir wissen es nicht. Schließlich hält zur Enttäuschung der Männer kein einziges Auto.

Die Männer arbeiten schwarz. Ihre Auftraggeber sind meist türkischstämmig, die gemeinsame Sprache verbindet. Aber, sie treibt die Männer auch in die Abhängigkeit.

Mann
"Sie sagen: Wir geben euch euer Geld später. Geht erst mal nach Hause, ruht euch am Wochenende aus. Dann gehen sie tagelang nicht ans Telefon. Wir sind gezwungen zur Baustelle zu fahren. Da wird uns Angst gemacht. 'Ihr seid doch Schwarzarbeiter!', sagen sie dann."

Mann
"Ich gehe zur Baustelle, aber ich kann kein Deutsch. Ich muss also mit den Türken arbeiten. Warum machen die das? Die sind doch genauso wie ich hier Ausländer. Wenn ich einen Sprachkurs zahlen könnte, würde ich Deutsch lernen. Komm, sei ruhig! Wenn ich die Sprache könnte, würde ich für Deutsche arbeiten, dann hab ich Rechte, kann Sozialabgaben leisten, meine Wohnung bezahlen und muss nicht wie ein Penner rumlaufen."

Dzevat ist seit eineinhalb Jahren hier. Auch er arbeitet für drei, vier Euro die Stunde oder für nichts. Er kennt sich in Berlin nicht aus, weiß nicht wo und für wen er arbeitet. Das nutzen seine Arbeitgeber aus. Sie wissen, die Männer wehren sich nicht, sie brauchen jeden Euro. Und die Generalunternehmer dulden die Methoden der Subunternehmer auf den Baustellen. Auch sie profitieren von der Ausbeutung.

Dzevat
"Zu 60 Prozent verarschen sie uns, dann kriegen wir unser Geld nicht. Normalerweise wird man wütend. Weil du ständig belogen wirst. Aber was willst du machen? Du bist wütend, du bist traurig, aber was nützt das? Es macht mich ganz depressiv. In Bulgarien haben wir nichts, gar keine Arbeit. Dann ist das hier immer noch besser als gar nichts. Auch wenn es schwer ist."

Besser ausgebeutet werden als gar nichts haben. Diese Einstellung kennen auch die Mitarbeiter beim Deutschen Gewerkschaftsbund. Sie versuchen den Arbeitern zu helfen, um trotz Schwarzarbeit zu ihrem Geld zu kommen, aber:

Vladimir Bogoelski
Berater DGB, Projekt "Faire Mobilität"

"Die haben Angst, wenn wir da anrufen und wenn wir dann eine andere Behörde einschalten wie die Finanzkontrolle Schwarzarbeit und so weiter. Dass dann der Arbeitgeber möglicherweise dann auch möglicherweise auch zu macht. Dadurch macht dann auch ihre Arbeitsstelle zu und dann hört auch ihre Existenz auf."

Doch nicht nur auf den Baustellen werden die Arbeiter ausgebeutet. Nici und Aleks zeigen uns ihre Einzimmerwohnung, die sie mit Dzevat und weiteren Männern teilen.

Nici
"Der eine schläft hier, der andere da und der nächste hier. Und hier schläft noch ein anderer Freund. Er ist aber grad wieder auf der Straße, weil er nicht zahlen kann. Das ist unsere Küche. Wir machen Tee und Kaffee hier. Da ist die Pfanne. Wir holen Gemüse aus dem Müll, betteln Imbisse um Reste an. So überleben wir."

Die Wohnung hat weder Bad noch Toilette. Eine Dusche steht in der Küche, in die die Männer urinieren. Ansonsten bleibt nur ein Café im Erdgeschoss. Auch eine Heizung gibt es nicht. Die Küche nutzt der türkische Vermieter obendrein als Lager.

Nici
"150 Euro zahlen wir pro Person. Wir sind vier Leute, das macht 600 Euro im Monat. Nur noch vier, fünf Tage, dann ist die Miete wieder fällig. Wie soll ich das nur wieder bezahlen?"

Dzevat
"Wenn ich in zwei, drei Tagen nicht bezahle, schmeißt mich Ramasan raus. Aber es ist ja auch sein Recht, dann schmeißt er mich halt raus."

Nici
"Ich krieg keinen Cent von der Sozialhilfe. Ich weiß auch nicht, wo ich hingehen soll, ich kann ja gar kein Deutsch. Ich weiß nicht, wie das funktioniert."

Zurück im Café. Beim abendlichen Spiel weicht bei einigen Männern die Anspannung. Doch die Gelöstheit währt nicht lange. Denn am nächsten Morgen geht er weiter: Der tägliche Kampf ums nackte Überleben. Mitten in Berlin, am Leopoldplatz im Wedding.

 


Beitrag von Gordian Arneth