Warten, hoffen, bangen - Der ganz normale Wahnsinn im Flüchtlingsheim

Vor drei Jahren zogen Kontraste-Autoren für vier Wochen in ein Asylbewerberheim und lebten dort gemeinsam mit den Flüchtlingen. Die Zustände in dem voll belegten Heim waren damals erschreckend: mangelhafte Hygiene, unzumutbare Bürokratie. Was ist inzwischen aus den Menschen geworden? Jetzt besuchten die Autoren erneut das Heim. Einige Flüchtlinge sind dort gestrandet, für andere taten sich neue Chancen auf oder sie kämpfen mit neuen Hürden. Die aktuelle Flüchtlingsproblematik, sie spiegelt sich an diesem Ort.

Anmoderation Rückblick: Der Ansturm der Flüchtlinge..... Jeden Tag kommen neue Menschen. Jeden Tag neue Herausforderungen. Doch wer genau hinschaut, der sieht, viele Probleme sind hausgemacht und gar nicht so neu: Das zeigt ein Selbstversuch, den meine Kollegin Caroline Walter in einem Asylbewerberheim gemacht hat.

Rückblick: Vor drei Jahren hat sie dort in Hessen für vier Wochen unter denselben Bedingungen wie die Flüchtlinge gelebt - auf engstem Raum und unter schlechten hygienischen Bedingungen und das in einem Film dokumentiert.

Anmoderation: Jetzt, drei Jahre später, haben wir diese Asylunterkunft wieder besucht und mussten feststellen: viel gelernt hat die Politik seitdem nicht. Caroline Walter und Christoph Rosenthal.

Drei Jahre sind vergangen seit meinem Selbstversuch in dieser hessischen Asylunterkunft. Es ist elf Uhr morgens, aber kaum jemand von den rund 100 Bewohnern ist wach. Genau wie damals.

O-Ton Reporterin

"Ja hier drinnen sieht es nicht besser aus, es ist irgendwie noch abgeranzter als es damals war."

Der erste Eindruck ist trostlos - überall Schmutz. Vor allem einige Bäder finde ich in erschreckendem Zustand vor.

Die Erste, die ich wiedersehe, ist Seble. Vor drei Jahren dieselbe Szene. Die Eritreerin putzt gegen die Verwahrlosung des Heims an. Seit Jahren wartet sie auf eine Entscheidung über ihre Zukunft.

Auch in der Küche treffe ich ein bekanntes Gesicht wieder - der Afghane harrt hier schon ewig aus, ohne Arbeiten zu dürfen.

O-Ton Hikmat

"5 Jahre wohne ich im Heim. Sehr schwierig, dieser Wahnsinn, die Nerven sind kaputt."

Auf diesem Bett hüpfte damals ein älterer Somali voller Zuversicht. Doch auch er ist noch immer da. Seit vier Jahren wartet Haibe auf eine endgültige Entscheidung über sein Asylverfahren. Es droht die Abschiebung.

Er erzählt mir, dass er sehr deprimiert ist – von dem jahrelangen Warten. Er habe kaum mehr Kraft, irgendetwas in Angriff zu nehmen.

Es geht mir nah - Warum wurde nicht viel früher entschieden? Ich kann nicht glauben, wie viele im Heim schon so lange festsitzen – weil die Behörden sie als "Altfälle" vor sich herschieben.

Die Familie, die hier gewohnt hat, konnte ausziehen – eine eritreische Mutter mit ihren drei Kindern. Sie erzählten mir, wie sie in Italien sechs Jahre als Flüchtlinge auf der Straße leben mussten.

O-Ton Reporterin:

"Aber ohne Geld, wie habt ihr das gemacht?"

O-Ton Biniyam

"Ja, betteln."

Im Heim fühlte sich der 14-jährige Biniyam für die ganze Familie verantwortlich und war oft überfordert etwa mit der Wohnungssuche. Heute treffe ich den jetzt 17-jährigen wieder.

O-Ton Biniyam

"Hi wie geht’s dir?"

O-Ton Reporterin:

"Du warst so…"

Die Familie wirkt gelöst auf mich – sie haben eine Wohnung und vor kurzem kam endlich auch die wichtigste Nachricht – sie wurden als Flüchtlinge anerkannt.

O-Ton Abeba

"Danke Deutschland!"

Biniyam ist ein selbstbewusster junger Mann geworden, der es wie seine ältere Schwester in kurzer Zeit auf die Realschule geschafft hat - obwohl sie vorher nie auf einer Schule waren.  

O-Ton Biniyam

"Wir haben uns an Deutschland gewöhnt, halt. Also, wir wissen jetzt wie das geht hier, wie es abläuft, so. Und ja, ich fühle mich irgendwie so ein bisschen Deutsch."

Auch Schwester Sara, die das Down Syndrom hat, macht tolle Fortschritte. Später am Esstisch ist das große Thema – die vielen neuen Flüchtlinge.

O-Ton Yemisirath

"Das, was mir so Sorgen macht, ist, wie jetzt die Deutschen – wie machen die das mit den vielen Ausländern, wie wollen die das machen – weil das sind richtig viele Ausländer."

Ihre Mutter befürchtet, dass auch sie vielleicht wieder gehen müssen – wenn es zu viele werden. Es sind neue Ängste, die hochkommen.

Biniyam will unbedingt, dass ich ihn zum Basketballtraining begleite – denn dort hat er viele Freunde  gefunden. Er träumt von einer Sportlerkarriere – aber natürlich hat er einen Plan B, und zwar Polizist zu werden.

Zurück im Asylheim lerne ich den neuen Hausmeister kennen, Ahmet – er bietet gleich das Du an. Früh morgens sammelt er erstmal Müll auf, weil manche die Abfalltonne meiden.

Dann verteilt er die Post – auf die viele verzweifelt warten. Ahmet kam selbst in den 90er-Jahren als kurdischer Flüchtling nach Deutschland.  Er ist mehr als nur der Hausmeister. Unermüdlich versucht er auch Werte zu vermitteln – zum Beispiel wenn die Küchen wieder verdreckt sind.

O-Ton Ahmet

"Jeder sagt weiß ich nicht, jeder sagt, ich war es nicht. Also es sind meistens drei Länder, die nicht sauber machen – ich will keine Namen nennen, aber die Länder machen nicht sauber."

Woran liegt das? Weil es muslimische Männer sind?

"Nein, wo zuhause nur Frauen so etwas machen, denken sie. Wenn ich manchmal etwas selber putze, lachen sie mich aus, Männer machen so etwas nicht."

Bei einer Sache ist Ahmet besonders sensibel – es darf nichts verschwendet werden.

O-Ton Ahmet

"Sie lassen Herd an ohne auszumachen oder Backofen genauso oder Wasser läuft die ganze Zeit. Sie machen nicht zu. Solche Sachen regt mich auf. Oder Lampen zum Beispiel, Tag und Nacht sind an."

Als Ahmet noch Asylbewerber war, habe er nur etwas Kochbesteck bekommen – andere Hilfe gab es nicht.

Was ihn gerade aufwühlt sind die Brandanschläge auf Heime, weil er selbst als Flüchtling Hass erleben musste.

O-Ton Ahmet

"Ich hab ganz Schlimmes erlebt. Ich hab ihm Asylheim gelebt und nachts um zwei Uhr, haben Rechtsradikale oder weiß ich nicht, man hat einen Molotowcocktail in mein bewohntes Heim geworfen. Dadurch habe ich Ängste gehabt."

Erinnerungen, die er eigentlich vergessen wollte.

Ahmet verteilt Spenden. Er hilft mit viel Geduld, weil er früher auch eine Chance bekommen hat.

Es ist 5 Uhr 20 – ich bin mit Hamid an der Straßenbahn verabredet.

O-Ton Reporterin

"Ganz schön früh heute Morgen!"

Er ist auf dem Weg zur Arbeit.

Vor drei Jahren saß Hamid noch ohne Perspektive im Asylheim – er schlief bis nachmittags, weil er außer Warten nichts tun konnte. Und jetzt? Er ist Auszubildender in einem Hotel. Nach den vielen Jahren im Heim musste er sich an das frühe Aufstehen erst gewöhnen.

O-Ton Hamid

"Die ersten paar Monate waren schon sehr schwer, ich hatte drei Wecker, die mussten immer klingeln, damit ich aufgewacht bin."

Er muss pünktlich sein – die Hotelgäste kommen gleich zum Frühstücken. Hotelfachmann – das war die Ausbildung, die er sich wünschte.

O-Ton Hamid

"Wir Afghanen sind eigentlich berühmt als Gastgeber und deswegen freue ich mich auch mit Menschen zu tun zu haben und die Menschen so zu bedienen."

Hamid ist aus Afghanistan geflohen. Trotzdem wurde sein Asylantrag abgelehnt – er ist ein so genannter Geduldeter, ohne richtigen Pass. Mehrere Arbeitgeber wollten ihm keinen Ausbildungsplatz geben, weil er keinen sicheren Aufenthaltsstatus hat. Seinen Chef hat das nicht abgeschreckt. Er ist sehr zufrieden mit Hamid.

O-Ton Frank Koch, Direktor Best Western Darmstadt

"Wenn das tatsächlich so weit käme, dass jemand kommt und sagt, hier wir müssen Herrn Safi jetzt zurück nach Afghanistan schicken, dann würde ich auch auf die Barrikaden gehen. Ganz ehrlich. Ich bin da auch so eingestellt, es gibt gewisse Grundrechte und für ein reiches Land wie Deutschland sollte es nicht notwendig sein, jemanden dahin wieder zurückzuschicken, wo er geflüchtet ist."

Nachmittags zeigt uns Hamid seine kleine Wohnung. In der Berufsschule läuft es sehr gut – er erfüllt die Erwartungen, die alle an ihn stellen. Aber an diesem Tag bekommt er Panik. Im Fernsehen läuft gerade die Meldung – die Asylgesetze wurden verschärft: Geduldete Asylbewerber sollen schneller abgeschoben werden. Was jetzt passieren wird, Hamid weiß es nicht.

O-Ton Hamid

"Vor allem die gefährliche Situation, die ich in Afghanistan erlebt habe, das will ich nicht wieder. Also ich hab nicht nur jeden Tag diesen Stress, ich habe jede Sekunde diesen Stress und ich habe diese Angst immer."

Im Heim kämpft Elisabeth Jung bereits seit drei Jahren als Ehrenamtliche gegen das Chaos. Ich habe sie noch als Deutschlehrerin erlebt. Jetzt unterstützt sie Flüchtlinge bei Behördengängen oder bei der Wohnungssuche. Nicht alle sind für die Hilfe so dankbar wie Herr Chaudry. Als Ehrenamtliche erlebt sie Höhen, aber auch Tiefen.

O-Ton Elisabeth Jung

"Was man aushalten muss ist, dass eine Wohnung, die man mühsam gefunden hat, von den Flüchtlingen nicht genommen wird, weil sie zu klein wäre oder sonst irgendein Makel drin ist. Oder dass Möbel, die wir akquirieren nicht genommen werden, obwohl sie in einen sehr guten Zustand sind. Wenn die Menschen hier aber schon ein, zwei Jahre sind, versuchen sie sich unserem Standard auch anzugleichen und dass das nicht sofort geht und nicht sofort sinnvoll ist, ist sehr schwer zu vermitteln."

Dank der Ehrenamtlichen gibt es jetzt einen Gemeinschaftsraum zum Beten und eine ordentliche Kleiderkammer. Solche Erfolge spornen Frau Jung an, weiterzumachen. Aber es gibt eben auch Stress.

O-Ton Elisabeth Jung

"Hallo, wer sind Sie denn?"

Es mangelt an Kontrolle, wer hier ein- und ausgeht.

O-Ton Elisabeth Jung

"Ich hab Sie hier noch nie gesehen."

O-Ton Flüchtling

"Look toilet."

O-Ton Elisabeth Jung

"Ja, die müsst ihr mal sauber machen. Dann mach mal sauber."

Ich erfahre, dass aber nur wenige Ärger machen. Viele Vorfälle gab es bislang nicht – was mich wundert bei diesen Lebensumständen.

Nicht verbessert hat sich die Situation mit der Betreuung. Nur neun Stunden in der Woche ist der Sozialarbeiter im Büro anzutreffen – es gibt nicht mal eine ganze Personalstelle für über 100 Bewohner.

Für Frau Jung ist das kein Zustand – weil sich die Politik einfach auf die Ehrenamtlichen verlässt.

O-Ton Reporter

"Kann man das eigentlich alles den Ehrenamtlichen aufbürden – so ist es ja im Moment?"

O-Ton Elisabeth Jung

"So ist es im Moment, ja. Kann man nicht. Das weiß ich und so viele Ehrenamtliche werden auch nicht über einen langen Zeitraum bei der Stange bleiben, weil das einfach sehr anstrengend ist."

Rosemarie Lück ist momentan selbst im Dauereinsatz – sie ist im Landratsamt für die Unterbringung der Flüchtlinge verantwortlich. Betreuung hält auch sie für den Schlüssel zur Integration – aber mehr Personal kann sie nicht einstellen – es fehlt das Geld, aber nicht nur das.

O-Ton Rosemarie Lück, Landkreis Darmstadt-Dieburg

"Der Arbeitsmarkt in Bezug auf Sozialpädagogen und Sozialarbeitern ist leer gefegt. Da gibt es eigentlich kaum mehr Bewerbungen, auch wenn wir Stellen ausschreiben, ist es sehr schwierig."

Jede Woche muss Frau Lück 100 neue Flüchtlinge unterbringen – und weiß nicht mehr wo. Hier im Heim hat sie jetzt nur Platz für vier Neue gefunden - darunter diese Syrer. Doch sie beschweren sich sofort, dass sie nicht mit Afrikanern zusammenleben wollen, nur mit Syrern. Das geht nicht, sagt Frau Lück höflich.

Ich verlasse das Heim mit dem Eindruck, dass viele Probleme absehbar waren und sich jetzt noch verschärfen werden.

Beitrag von Caroline Walter und Christoph Rosenthal