Anzeigetafel am Bahnsteig (Quelle: rbb)

- Endstation Horror - Was ein Farbiger im Bahnhof Frankfurt/Oder erlebte

Nur aus Versehen landet ein junger Mann im falschen Frankfurt. Er hat sich im Zug vertan. Sein Verhängnis: Der Franzose hat dunkle Haut und spricht kein Deutsch. Sein Irrtum hat schmerzhafte Folgen. René Althammer dokumentiert die verhängnisvolle Reise zur falschen Zeit zum falschen Bahnhof.

Der junge Mann kam aus Frankreich und sprach kein Deutsch und nahm in Berlin den falschen Zug. Und landete in der falschen Stadt. In jeder Hinsicht.

Auf diesem Bahnhof waren Weitgereiste oder Leute, die aussehen wie Weitgereiste, nicht sehr willkommen. René Althammer hat sie nachgezeichnet. Die Reise nach Frankfurt an der Oder. Endstation Horror.



Titeltafel "Eine Reise nach Deutschland"

Bahnhof Zoo, letzten Freitag, irgendwann nach zwei Uhr morgens. Eine ganz normale Nacht. Erste Reisende machen sich auf den Weg. Auch der Franzose Issam Al Hilalat. Er will nach Frankfurt am Main, Freunde besuchen, und dann weiter nach Hause, Issam ist fremd hier, spricht kein Deutsch. Er wird müde sein, vielleicht vom langen Feiern.

Ein kurzer Blick auf die Anzeigetafel, der Zug nach Frankfurt fährt ein. Der gebürtige Jordanier lebt seit drei Jahren in Lyon. In Berlin hat er Silvester gefeiert, bei Freunden.

Irgendwann wird er eingeschlafen sein, in jener Nacht, im leeren Zug. Frankfurt ist weit, er hat Zeit.

Ansage:
"Wir erreichen jetzt den Bahnhof Frankfurt/Oder."

Frankfurt: Issam wird einen Moment gebraucht haben, um zu verstehen. Frankfurt/Main, nein, Frankfurt/Oder: er hat den falschen Zug erwischt. Pech, kann jedem passieren, wird er gedacht haben. Nehm ich eben den nächsten Zug zurück, wenn er kommt.

Das Stadtzentrum, hundert Meter weiter. Die letzte Disco hat gerade geschlossen. Alle kennen sie, donnerstags kostet der Eintritt nur 99 Cent. Billig saufen und tanzen bis 5 Uhr morgens.

Acht junge Männer und Frauen, sie waren die letzten Gäste. Jetzt wollen sie nach Hause. Es ist kalt. So gegen halb sechs kommen sie am Bahnhof an.

Hier sitzt Issam und wartet auf seinen Zug. Vielleicht langweilt er sich, es gibt keinen Kaffee, noch schläft der Bahnhof. Alles ganz normal.

Ulrich Scherding, Staatsanwalt:
"Im Laufe der Zeit kamen dann mehrere Personen, überwiegend Heranwachsende zu ihm, setzten sich in den ihm rückwärtigen Bereich, und es kam dann offensichtlich zu Pöbeleien ihm gegenüber. Welche Worte da im Einzelnen gefallen sind, können wir nicht sagen, da der Jordanier der deutschen Sprache nicht mächtig ist."

Ein paar Jugendliche, die pöbeln. Ein Farbiger, den keiner kennt. Gepöbelt wird hier öfter mal, gegen Ausländer. Davon gibt's viele hier. Polen, von der anderen Seite, Durchreisende. Kein Grund, sich aufzuregen.

Detlef Lüben, Kriminaloberkommissar:
"Wir haben beispielsweise im Jahr 2001 und 2002 dort kaum Straftaten gehabt, kaum dass mal ein Hakenkreuz geschmiert wurde, kaum dass mal "Sieg Heil" gerufen wurde. Unsere MEGA-Leute, die trotzdem ständig den Bahnhof bestreifen, haben also keinerlei Feststellungen in dieser Richtung gemacht, so dass wir davon ausgehen, dass das kein örtlicher Schwerpunkt für uns ist."

Es wird sechs. Burger King öffnet. Endlich kann Issam einen Kaffee trinken. Er lernt gerne Menschen kennen, sagen seine Freunde. Also setzt er sich zu anderen, weit weg von denen, die ihn angepöbelt haben.

Helga Hoffmann, Angestellte:
"Bei uns jetzt direkt im Restaurant waren jetzt ein paar Jugendliche, haben sich was zu Essen bestellt und haben auch drinne gegessen, und waren auch so lange ganz friedlich gewesen, bis eben der eine junge Mann, der ein Ausländer war, reingekommen ist. Der hatte sich einen Kaffee geholt und hatte sich dann eben halt zu den Leuten einfach dazugesetzt, und das hat denen nicht ganz gepaßt und daraufhin haben sie eben zu ihm gesagt, er möchte sich doch bitte woanders hinsetzen, und er hat sich aber nicht woanders hingesetzt, und dann gab es so ein bißchen Troubelei, also mündliche so, Worttroubeleien."

Ulrich Scherding, Staatsanwalt:
"Der Jordanier verließ dann die Gaststätte und wurde dann verfolgt. Im Bahnhofsbereich vor einer weiteren Gaststätte wurde ihm sodann eine Tasse oder ein Becher Kaffee aus der Hand geschlagen."

Issam, der kein Deutsch versteht, begreift. Voller Angst rennt er davon, quer durch den Bahnhof. Vor zwei Stunden ist er angekommen, ein dummer Zufall. Vor eineinhalb Stunden hat die Billigdisco geschlossen, wie jeden Freitag. Er wollte nicht hierher, nach Frankfurt/Oder. Wahrscheinlich kannte er die Stadt nicht mal.

Christiane Rose, Aufsicht:
"Drüben, Bahnsteig 3 da hatten wir unsere Aufsichtsbude, und denn hatten wir rausgeguckt, denn haben wir gerade gesehen, wie ein Reisender vom Bahnsteig 2 die Treppe hochkam und ist bis Ende des Bahnsteigs gerannt ist rübergerannt Bahnsteig 1, und war denn bis an die Ecke und denn haben wir gesehen, dass drei Jugendliche hinterher gerannt sind, aber die sind nur bis zur Mitte gerannt, sind denn über die Gleise gerannt."

Issam rennt, hat Glück, kein Zug kommt. Dann stellen sie ihn: betrunken, deutschtümelnd, feige: einer hält ihn fest, der andere schlägt zu. Der Bahnschutz verhindert Schlimmeres.

Ulrich Scherding, Staatsanwalt:
"Die Täter, die wir ausfindig gemacht haben, sind strafrechtlich durchweg bereits in Erscheinung getreten. Ich gehe aber eher davon aus, dass es sich um eine spontane Tat aus niederen Motiven gehandelt hat, die in dieser Form jedenfalls vorher nicht beabsichtigt war."

Es war ein ganz normaler Freitagmorgen. Ein junger Mann, der gern reist, kommt zufällig nach Frankfurt/Oder. Issam Al Hilalat war nicht der einzige, der auf seinen Zug wartete - aber er war anders, ein Farbiger eben. Ob er darüber nachgedacht hat? Issam hatte Glück, nur ein loser Zahn, ein paar Schläge in den Magen. Zum Arzt wollte er nicht, er wollte nur noch weg aus der Stadt, von der er Stunden zuvor gar nicht wußte, dass es sie gibt.

Zum Arzt wollte der junge Mann nicht in Deutschland. Er hat Glück gehabt, dass nicht im falschen Moment ein Zug kam. Aber sonst keine besonderen Straftaten in dieser Hinsicht in Frankfurt an der Oder.