- Yussuf: Die Geschichte einer Flucht

Aus Somalia musste Yussuf fliehen, weil sein Leben in Gefahr war. Seine Flucht war dramatisch, immer wieder kämpfte er ums Überleben. Endlich angekommen in Italien, stand er ohne jede Unterstützung auf der Straße. Auf der Suche nach Hilfe kam er nach Deutschland, doch hier droht ihm die Abschiebung, zurück nach Italien. Trotz der desolaten Asylpolitik in Italien, reagiert die deutsche Politik nicht.

Ablehnung, Agression und Angst - das schlägt Asylbewerbern in Deutschland oft entgegen. So auch am Wochenende, als wieder einmal gegen ein Asylbewerberheim demonstriert wurde.

Demonstranten
„Wir sind das Volk …"

1.500 Menschen hatten sich im sächsischen Schneeberg versammelt, um gegen eine Asylbewerberunterkunft am Rande der Kleinstadt auf die Straße zu gehen. Der sogenannte Lichtellauf fand unter Regie der örtlichen NPD statt.

Demonstranten
„Es kann nicht so sein, dass unendlich reinkommen kann, wer gerade will."„Schafft sie nach Köln, nach Berlin, da könnt ihr sie hin schaffen. Wir wollen hier im Erzgebirge unter uns bleiben, fertig, Ende!
"
„Nein zum Heim, nein zum Heim, …"

Was Flüchtlinge mitgemacht haben, woher sie kommen und warum sie flohen, darauf verschwenden diese Demonstranten wohl kaum einen Gedanken. Sie machen es sich schlicht gemütlich in ihrer pauschalen Ablehnung und Ausgrenzung. Vielleicht sollten sie sich die Geschichte dieses jungen Somaliers einmal ansehen. Caroline Walter und Bertram von Boxberg haben ihn getroffen.

Yussuf hat einen Traum: Er möchte Profifußballer werden. Dafür trainiert er hart. Der 18-Jährige ist noch nicht lange in Deutschland. Dass er es hierher geschafft hat, grenzt an ein Wunder. Yussuf kommt aus Somalia.

Yussuf
„Ein Traum wird irgendwie wahr, ich spiele, ich genieße das."

In diesem hessischen Asylbewerberheim wohnt Yussuf. Auch wir haben im vergangenen Jahr hier einen Monat gemeinsam mit den Flüchtlingen gelebt. Jetzt haben wir hier von Yussufs Schicksal erfahren, es ist die Geschichte einer dramatischen Flucht.

Yussuf
„Der Freund, mit dem ich geflohen bin, starb in meinen Armen. Ich dachte, das war's jetzt. Das ist auch für mich das Ende."

Die Geschichte beginnt in Somalia. In dem Land gibt es seit Jahrzehnten keine funktionierende Regierung. Yussuf wurde in das Chaos nach dem Bürgerkrieg geboren. Danach verbreiteten die islamistischen Al-Shabab-Milizen ihren Terror. Seit sie weg sind, dominieren mächtige Clans das Land. Das Morden gehört bis heute zum Alltag.

Yussuf
„Mein Bruder wurde erschossen. Er ging einfach nur auf der Straße und sie schossen auf ihn. Er starb auf dem Weg ins Krankenhaus."

Yussuf musste Schuhe putzen, um die Familie zu ernähren. Dann bekam er die einmalige Chance in der Jugendnationalmannschaft von Somalia zu spielen. Doch schon bald wurde er bedroht: Ein mächtiger Clan wollte Yussufs Platz im Team für seine Leute. Aber er spielte weiter. Deshalb drohten sie, ihn zu töten. Yussuf blieb nur die Flucht.

Yussuf
„Entweder wäre ich dort geblieben und zu 100 Prozent gestorben oder ich gehe…"
KONTRASTE
„Also musstest Du fliehen?“
Yussuf
„Ja…"

Yussuf erzählt von seinem wochenlangen Fußmarsch in den Sudan. Dort bieten Schlepper an, die Flüchtlinge durch die Sahara zu fahren - so wie auf diesen Aufnahmen.
Doch plötzlich halten die Schlepper mitten in der Wüste an. Sie fordern mehr Geld für die Weiterfahrt. Wer es nicht hat, wird gezwungen, seine Familie anzurufen, die das Geld auftreiben soll. Tagelang werden die Flüchtlinge festgehalten.

Yussuf
„Es war sehr heiß, es gab keinen Schatten, um sich zu schützen. Mitten in der Wüste, man konnte nirgends hin fliehen."

Sie bekommen kaum etwas zu essen und wenig Wasser, das auch noch mit Benzin verunreinigt ist. Ein grausames Spiel mit Menschenleben beginnt.

Yussuf
„Wir haben die Schlepper um Wasser angebettelt. Da haben sie uns die Hände gefesselt. Sie haben uns geschlagen - und dann Benzin über uns gekippt.“
KONTRASTE
„Die haben Benzin auf Euch geschüttet?“
Yussuf
„Ja. Die haben uns mit Benzin übergossen und dann wieder geschlagen."

Sein Freund verdurstet in seinen Armen. Er kann ihm nicht helfen. Auch Kinder und Frauen sind den bewaffneten Erpressern ausgeliefert.

Yussuf
„Die Männer kamen und verhöhnten die Mädchen – gute Nachrichten, ihr habt kein Geld, dann kommt ihr jetzt mit uns und macht etwas für uns'. Die Mädchen weinten, sie weinten ständig."

Yussuf überlebt, weil er noch etwas Geld hat. Die Schlepper setzen die Reise fort. 19 Tote bleiben zurück.

Doch in Libyen geht der Horror weiter - Yussufs Gruppe wird an bewaffnete Milizen verkauft und eingesperrt. Wir finden Aufnahmen von solchen Gefängnissen in Libyen, in denen Flüchtlinge willkürlich festgehalten werden. Wieder soll Yussuf zahlen, um frei zu kommen. Wer das nicht kann, wird misshandelt.

Yussuf
„Die haben dir gesagt, du musst dich an die Wand stellen, dann haben sie dir den Kopf an die Wand gestoßen. Die haben auch auf den Rücken geschlagen. Manche Männer konnten gar nicht mehr laufen, weil sie ihnen jede Nacht auf die Beine schlugen."

Yussuf gelingt es, aus dem Gefängnis zu entkommen. Er schlägt sich bis an die Küste Libyens durch - um ein Boot nach Europa zu finden. Doch hier gerät er an die nächsten skrupellosen Menschenschmuggler.

Yussuf
„Das Boot war zu klein und der Junge, der es fahren sollte, weigerte sich. Er sagte, es sind zu viele. Und dann haben sie ihm in den Kopf geschossen und gesagt: Wer will noch etwas sagen?"

Fast 80 Flüchtlinge werden auf das kleine Boot gezwungen. Yussuf soll das GPS übernehmen. Auf halber Strecke geht ihnen das Benzin aus. Sie haben kein Essen, kaum Wasser. Sie treiben tagelang im blauen Nichts des Mittelmeers.

Yussuf
„Nur der Wind bewegte das Boot, ein Baby weinte. Alle anderen waren ganz ruhig, wie geschockt. Das Boot schaukelte die ganze Nacht. Da haben wir uns aufgegeben."

Doch sie werden rechtzeitig entdeckt, eine Küstenwache weist ihnen den Weg nach Sizilien. Glücklich überlebt zu haben, kommt Yussuf in ein italienisches Aufnahmelager. Er erzählt uns von den katastrophalen Verhältnissen dort: wenig Verpflegung, kein Bett, kein Ersatz für die Salzwasser durchtränkte Kleidung. Nur seine Fingerabdrücke werden abgenommen.

Yussuf
„Ein Mitarbeiter im Camp sagte zu uns, das ist kein Platz für Euch – hier gibt es nichts. Es ist besser, ihr geht woanders hin."

Er verlässt das Camp, es ist total überfüllt. In Italien gibt es für die meisten Flüchtlinge keine Unterkunft. Sie erhalten keinerlei staatliche Hilfe. Es ist Leben in extremer Armut und Obdachlosigkeit.

Yussuf
„Viele Flüchtlinge, die ich dort gesehen habe, schlafen auf der Straße. Ich hatte aber immer den Willen, etwas zu tun, Fußball zu spielen und darin gut zu werden."

Er kämpft sich bis nach Deutschland weiter und stellt einen Asylantrag. Yussuf fühlt sich hier sicher, er hat wieder Hoffnung. Und einen Fußballverein, der ihn haben will – Darmstadt 98. Eine Chance auf eine Zukunft. Trainer Christian Hansetz jedenfalls sieht sein Talent.

Christian Hansetz
Trainer Darmstadt 98

„Der Youssuf ist erst 18 Jahre alt, das istideal. Und man sieht's auch: bei der Mannschaft ist er gut aufgenommen worden. Man sieht’s dann auch nach den ersten drei, vier Passfolgen, wie er dann von der Mannschaft gesucht wird. Also da heißt's nicht: 'Ah, der ist neu - der kriegt keinen Ball'', sondern. also er ist im Spiel dabei. Und man sieht's ja auch: ihm macht's Spaß. Also, er hat die Möglichkeit, er hat das Potenzial.“

Doch Yussuf droht jetzt die Abschiebung zurück nach Italien. Weil er dort zuerst europäischen Boden betreten hat, sagen die deutschen Behörden. Dass ihn ein Leben im Elend in Italien erwartet, interessiert sie nicht. Seine Flucht findet noch kein Ende.

Yussuf
„Nach allem, was ich durchgemacht habe, würde sich dann nichts ändern. Ich dachte immer, ich finde einen Platz, wo ich bleiben kann und das tun, was ich am meisten liebe."

Wir haben uns übrigens an das Bundesinnenministerium gewandt und gefragt, warum weiter nach Italien abgeschoben wird – trotz der schlimmen Zustände. Das Ministerium sieht keinen Grund für einen Abschiebestopp – zynisch meint man, das Asylsystem funktioniere dort.

 

Beitrag von Caroline Walter und Bertram von Boxberg