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- Statt Integration Abschiebung - Behördenwillkür nach 17 Jahren Deutschlandaufenthalt

Eigentlich hat Hasan Khateeb alles richtig gemacht: Deutsch gelernt, Abitur gemacht, Jurastudium begonnen. Doch nun soll der Palästinenser mit seinen sieben Geschwistern nach Jordanien abgeschoben werden. Sein Vater soll bei der Einreise angeblich falsche Angaben gemacht haben - vor 17 Jahren.

Nach den umstrittenen Äußerungen von Thilo Sarrazin wird in diesen Tagen leidenschaftlich darüber gestritten, warum die Integration von Migranten gescheitert sei. Dabei wird ein Punkt gerne übersehen: Bei vielen hier lebenden Migranten hat die Integration hervorragend funktioniert! Wir fragen uns allerdings: Warum setzt die Politik dann nicht alles daran, gerade sie hier auch zu behalten. Wie kann es sein, dass in vielen Fällen genau solche Ausländer abgeschoben werden, die sich vorbildlich integriert haben? Lutz Ackermann und Susanne Opalka schildern den Fall einer Familie, der genau dieses Schicksal droht.

Samstagnachmittag in Deutschland. Fußballzeit. Der 14jährige Mohammed Khateeb leitet heute ein Ligaspiel der D-Jugend für den hessischen Fußballverband – ehrenamtlich.

An der Seitenlinie: Sein älterer Bruder Hassan. Auch der 22jährige ist als Schiedsrichter aktiv, über einhundert Spiele hat er bereits gepfiffen.

Zur Freude von Schiedsrichterbetreuer Hans Patt. Jugendliche wie Hassan und Mohammed melden sich immer wieder für diese Aufgabe und sind sehr engagiert.

Hans Patt, Betreuer Hessischer Fußballverband
„Das sind Leute, die immer wieder anrufen und fragen, kann ich ein Spiel habe? gibt’s irgendwas? Kann ich irgendwo pfeifen? Und nicht so wie wir es oft sehen, gerade in bestimmten Vierteln in denen… ja abgehangen wird, heißt das glaube ich, oder chillen, die hängen ab und chillen und machen gar nichts. Und das sind die anderen.“

Hassan Khateeb
„Als Schiedsrichter hat man Verantwortung muss ein Gespür haben für Recht und Ordnung sorgen. Das gefällt mir, das mache ich gern.“

Vielleicht war es sein Hang zu Recht und Ordnung, der Hassan Khateeb an die Johann Wolfgang Goethe Universität in Frankfurt geführt hat. Der gebürtige Palästinenser studiert hier Jura im 2.Semester. Er war fünf Jahre alt als seine Familie in die Bundesrepublik kam, sprach kein Wort Deutsch. Seine Eltern wollten, dass er schnell die Sprache lernt.

Er machte Abitur und bestand vor einigen Wochen seine erste Klausur in Strafrecht. Seinem Professor fielen die Fähigkeiten des neuen Studenten schnell auf.

Prof. Cornelius Prittwitz, Goethe-Universität Frankfurt a.M.
„Es ist eine Fähigkeit Argumente auseinander zu halten. Es ist eine Fähigkeit, die Ebene der Politik und des Rechts auseinanderzuhalten. Es sind sprachliche Fähigkeiten. Und in allen diesen Bereichen habe ich Herrn Khateeb als sehr hoffnungsvollen Jurastudenten angesehen. Ich habe keinen Zweifel, dass er das schnell und erfolgreich beschreiten wird und dann der Bundesrepublik und seiner Familie was Gutes tun wird.“

Hassan Khateeb lebt mit seinen sechs Geschwistern in Dietzenbach nahe Offenbach. Alle Kinder besuchen erfolgreich die Schule und sprechen fließend Deutsch. Eine Integrationsgeschichte wie aus dem Bilderbuch.

Dumm nur: Familie Khateeb soll abgeschoben werden - nach 17 Jahren in Deutschland.

Doch warum?

2006 gründet der Kreis Offenbach gemeinsam mit der Polizei eine Arbeitsgemeinschaft namens „AG Wohlfahrt“. Deren wohltätiges Handeln besteht darin, die Herkunft aller staatenlosen Palästinenser zu prüfen, die im Landkreis geduldet werden. Der Verdacht: Viele seien in Wirklichkeit Jordanier, somit ausreisepflichtig und bezögen zu Unrecht Sozialleistungen.

Auch Familie Khateeb gerät ins Visier der Ermittler. Im Juli des gleichen Jahres, um 6 Uhr früh, kommt die Polizei zur Hausdurchsuchung.

Hassan
„Das war für uns ein großer Schock, wir dachten zuerst es geht um jemand anderes. Was wollen die bei uns? Wir sind unbescholtene Bürger, haben nie mit der Polizei irgendetwas zu tun.“

Sara
„Die ganzen Kleider auf dem Boden, die haben alles… Also, es war Chaos.“

Haitham
„Hier unterm Herd haben sie auch geguckt, haben alles aufgehoben.“

Sara
„Haben den Gefrierschrank aufgemacht, haben in die Hähnchen geguckt. In den Ofen, überall haben die geguckt.“
KONTRASTE
„In den Hähnchen. Was haben die denn in den Hähnchen gesucht?“
Sara
„Ich weiß es nicht. Die haben irgendwas gesucht.“

Die Polizei sucht jordanische Pässe, findet jedoch keine. Trotzdem: andere Recherchen hätten den Verdacht bestätigt. Die Familie stamme in Wirklichkeit aus Jordanien, sie wird zur Ausreise aufgefordert.

Der Anwalt der Familie, Reiner Thiele, sagt, Belege für eine jordanische Staatsangehörigkeit habe die Behörde nie vorgelegt. Vielmehr sei in anderen Dokumenten von UN-Flüchtlingswerk und Palästinensischer Generaldirektion als Geburtsort der Eltern „Jenin“ im heutigen Westjordanland angegeben. Diese Dokumente habe die Behörde nicht anerkannt. Vor einem Gericht wird die Herkunft nie geklärt.

Reiner Thiele, Anwalt
„Das Problem liegt da drin, dass jetzt ein Generalverdacht erhoben wird gegen alle palästinensischen Volksangehörige hier im Kreis Offenbach, dass sie eben Betrüger wären, indem sie vorspielen, wir sind Staatenlose und keine jordanische Staatsangehörige und das halte ich für sehr problematisch, das halte ich für willkürlich und eigentlich rechtstaatlichen Prinzipien nicht gerecht.“

In der Ausweisungsverfügung an Hassan Khateeb heißt es, Zitat:
„Bei der Ausweisung handelt es sich um eine Ermessensentscheidung.“

Nach diesem Ermessen wiegt eine angeblich falsche Angabe der Eltern und der Vorwurf des Betrugs offenbar schwerer als 17 Jahre Integrationsbemühungen. Weiter heißt es, Zitat:
„den hier lebenden Ausländern muss eindringlich zu Bewusstsein gebracht werden, dass derartige Verstöße (…) die öffentliche Sicherheit und Ordnung beeinträchtigen.“

Und, Zitat:
„Nur eine kontinuierliche Ausweisungspraxis kann dieses Ziel erreichen.“

Professor Cornelius Prittwitz, Dozent von Hassan Khateeb und Professor für Rechtsphilosophie, glaubt dagegen, der Rechtsstaat müsse hier mit Augenmaß handeln. Selbst wenn die Vorwürfe richtig seien, sei eine humane Entscheidung zu treffen.

Prof. Cornelius Prittwitz, Goethe-Universität Frankfurt a.M.
„Es muss im Rechtsstaat, der eben auch Sozialstaat ist, dann immer auf den Einzelfall geachtet werden, was für die Verwaltung eine Schwierigkeit ist, aber es ist eine Schwierigkeit, der sie sich stellen muss.“

Wir bitten Polizei und Kreisverwaltung um ein Gespräch. Ein Interview wird abgelehnt, keine Auskünfte zu einem laufenden Verfahren.

Leidtragende der angeblichen Falschaussage ihrer Eltern vor 17 Jahren sind nun die Kinder. Die 11jährige Sara und der 10jährige Abdel sind in Deutschland geboren, haben ihr Leben lang in Dietzenbach gewohnt. In ihrer Freizeit besuchen beide regelmäßig die örtliche Stadtbücherei.

KONTRASTE
„Kannst Du arabisch lesen?“
Abdel
„Nein.“
KONTRASTE
„Kein Wort?“
Abdel
„Nein.“

Sara
„Weil ich will ja Grundschullehrerin werden und da braucht man Lesen, weil ich will ja Deutsch dann studieren für die Grundschule.“

An der ehemaligen Schule von Hassan Khateeb ist man entsetzt. Zwei seiner Geschwister machen gerade hier Abitur. Hassans Lieblingsfächer waren damals Politik und Wirtschaftslehre, in beiden stand er zum Schluss bei Eins Minus.

Peter Koch, Lehrer für Wirtschaftswissenschaft
„Da stecken 13 Jahre Schulbildung in dem jungen Mann, wir haben investiert in seine Ausbildung und jetzt just wo er Rechtsanwalt werden könnte, viele Steuern zahlt, Einkommenssteuer, und das zurück gibt, was der Staat ihm gegeben hat, da will man ihn loswerden. Das ist nicht mal ökonomisch sinnvoll, das ist Nonsens, so etwas!“

Ende 2007, die Familie sitzt gerade beim Abendbrot, kommt die Polizei erneut – um abzuschieben. Doch der Pilot der gebuchten Linienmaschine weigert sich zu fliegen. Nur der Familienvater wird später allein abgeschoben.

Seitdem hat die 17jährige Amal eine Reisetasche neben ihrem Bett.

Amal
„Das sind meine Zeugnisse von der ersten bis zur 11. Klasse. Zur Sicherheit nehme ich sie mal mit, vielleicht kann ich damit was anfangen. Dann habe ich noch Bilder von mir und meinen Geschwistern. Das ist von der 6ten, der 7ten, der 10ten. Das erste Mal als sie gekommen waren die nicht eingepackt, iach hatte Angst nicht alles mitzunehmen, Deswegen habe ich es eingepackt… Weil wir ja nicht wissen, ob wir bleiben können.“

Jeden Donnerstag treffen sich jetzt Freunde der Familie vor dem Kreishaus, um gegen die angedrohte Abschiebung zu protestieren.

Demonstranten
„Ich finde, Heimat ist da, wo man sich selbst zu Hause fühlt. Ich bin jetzt in Dietzenbach aufgewachsen, ich habe 26 Jahre hier gewohnt, also den größten Teil meines Lebens, genauso wie der Hassan auch. Und wir gehören beide hier her und sollten beide hier wohnen dürfen, wenn das unser Wunsch so ist.“
„Speziell diese Familie, die ich nun über meinen Sohn recht gut kenne, hat sich hier wunderbar eingelebt, ist voll integriert, ist deutscher als manch ein Deutscher.“


Die Familie hofft nun auf die Politik. Der hessische Landtag entscheidet bald über eine Petition der Familie für ein Bleiberecht. Sogar den Ministerpräsidenten Roland Koch hat Hassan Khateeb auf einer CDU-Veranstaltung angesprochen. Der hat ihm danach einen Brief geschrieben. Er wolle zunächst die Entscheidung des Landtags abwarten.

Derweil ist Hassan weiter fest entschlossen, um seine Heimat zu kämpfen – und irgendwann hier Anwalt zu werden.

Beitrag von Lutz Ackermann und Susanne Katharina Opalka