Theaterboykott - Bürgerinitiative macht Front gegen Schauspieler

Die Rechte Bewegung in Deutschland hat neben "Merkel" und der "Lügenpresse" einen neuen Feind ausgemacht: Das Theater. Weil Schauspieler sich im thüringischen Altenburg für Asylbewerber stark machten, rief das "Bürgerforum Altenburger Land" zum Theaterboykott auf. Die Schauspieler würden schließlich von Steuergeldern, also vom Bürger finanziert, da hätten sie kein Recht, sich gegen die Bürger zu stellen. Die Argumentation scheint Wirkung zu zeigen, nicht einmal der SPD-Bürgermeister stellt sich klar dagegen. Sein Lavieren gibt den Rechten Auftrieb. Ein Teil der angefeindeten Schauspieler verlässt jetzt die Stadt, sie alle haben einen Migrationshintergrund.

Anmoderation: "Widerstandsnester" - so hat Kulturstaatsministerin Monika Grütters die kleinen Theater in Deutschland genannt. Orte, an denen Weltoffenheit und Toleranz gelebt und verteidigt werden. Wie wichtig sie sind, zeigt sich auch daran, dass die Unesco die deutschen Theater sogar mit auf die Liste des sogenannten  immateriellen Kulturerbes genommen hat! Gerade in den ostdeutschen Regionen - in denen Pegida und Co. derzeit lautstark Stimmung machen, stemmen sich viele Theater gegen Einschüchterung und Fremdenfeindlichkeit. Für dieses Engagement erleben die Schauspieler allerdings immer häufiger Anfeindungen, - so wie diese Künstler, über die Chris Humbs und Axel Svehla berichten.

Thyson Rush singt Schubert, die Winterreise -  in den Proberäumen einer Musikschule in Berlin. Weit weg von den Bühnen in Thüringen. Seine Festanstellung dort hat er gekündigt - wegen rassistischer Anfeindungen:

Thyson Rush, Sänger

"Das war zum Beispiel im Wirtshaus und auf der Zugfahrt von Leipzig nach Gera, wo man als Neger im Viehtransporter betituliert worden ist."

Kontraste

"Als Neger im Viehtransporter?"

Thyson Rush, Sänger

"Ja, korrekt. Ich konnte irgendwann nicht mehr unterscheiden, ab wann ist es eine aggressive, laute Meinung, was heute scheinbar auch ein Trend ist, und ab wann kann das kippen in, ja Gewalt."

Thyson Rush arbeitete in einem Bühnenensemble, das sich für Flüchtlinge einsetzt. Dunkler Teint und politische Haltung – für ihn wurde es zu ungemütlich.

Konstraste

"Wann war der Punkt erreicht, wo sie gesagt haben, so und jetzt ist Schluss?"

Thyson Rush, Sänger

"Für mich war ein großes Ausrufezeichen als einen offizieller Theaterboykottaufruf gab."

Das Theater zu boykottieren – dies fordern Anhänger des "Bürgerforums Altenburger Land" denen – ähnlich wie PEGIDA – die ganze Flüchtlingspolitik nicht passt.

Andreas Sickmüller, Bürgerforum Altenburger Land

"Ich rufe alle, die gegen diese Politik sind dazu auf, diese Institutionen, das Theater in Altenburg und das Lindenau-Museum zu boykottieren. Veranlasst alle die ihr kennt, diese beiden Institutionen zu boykottieren und zeigt ihnen woher das Geld kommt, womit sie ihre Miete bezahlen."

Diesen Zorn bekamen die vom Staat bezahlten Theaterleute zu spüren. Sie sollen gefälligst den Mund halten, sich nicht für die Flüchtlinge in Altenburg einsetzen und sich nicht dem angeblichen "Volkswillen" entgegen stellen. So ist der Sprecher des Bürgerforums zu verstehen.

Andreas Sickmüller, Bürgerforum Altenburger Land

"Der Boykottaufruf hat sich primär gegen diese Gruppierung des Theaters gerichtet … die sich offen gegen die Anwohnerschaft gerichtet hat … wir sehen es nicht als Aufgabe des Theaters oder Schauspielers an sich politisch zu instrumentalisieren oder instrumentalisieren zu lassen."

Der Auslöser des Konflikts in Altenburg findet sich hier in diese Wohnsiedlung am Stadtrand. Hier wurden vor allem syrische Flüchtlinge untergebracht. Es herrschte großer Leerstand, das Landratsamt nutzte die Gelegenheit und mietete viele Wohnungen an. Die Nachbarn, die wir vor Ort treffen, haben sich mit den Flüchtlingen inzwischen arrangiert.

Kontraste

"Wie kommen sie denn klar mit den Ausländern?

Anwohnerin

"Ich komme gut klar. Die sind zu mir freundlich. Die sagen guten Tag."

Weitere Anwohnerin

"Da hieß es immer, in jede Wohnung kommen sechs junge Männer. So, und da hatten die Leute Angst. Aber es sind nicht in eine Wohnung junge Männer gekommen, sondern nur Familien."

Kontraste

"Wer hat denn das behauptet, dass da nur alleinstehende junge Männer hinkommen?"

Anwohnerin

"Das ist doch der Volksmund. Wenn das einer sagt, dann sagen die das alle nach."

Andere wollen die Flüchtlinge dagegen loswerden - in dieser Bürgerversammlung kommen sie grölend zu Wort.

Anonym

"Für mich ist die Frage, wollen wir die Flüchtlinge wegschicken?"

Menge im Saal

"Ja!"

Bürgerin

"Aha"

Der Protest richtet sich vor allem gegen die Landrätin, die für eine humane Asylpolitik steht.

Anonym

"Niemand darf wegen seiner Herkunft, seiner religiösen und politischen Anschauung benachteiligt oder bevorzugt werden.  Ist das klar. Wir gehen alle arbeiten. Ich arbeite 12 Stunden am Tag. Und die kriegen das alles in den Arsch geschoben. Wo sind wir denn, bei wünsch dir was, oder wie … Das Volk wird irgendwann dazu aufstehen?"

Die einzigen, die sich diesem "gesunden Volksempfinden" auf der Versammlung entgegen stemmen, sind Leute aus dem Kreis des Altenburger Theaters.

Regisseur

"Entschuldigung, das was du sagst, das kommt mir ja vor wie im Historienfilm 33. Das Volk wird sich auflehnen ... Was ist denn das für ein Blödsinn."

Dieses Einmischen führte zum Boykottaufruf. Ein bislang einmaliger Vorgang.

Neben dem Sänger Thyson Rush gehen drei weitere Schauspieler. Nicht nur wegen der Anfeindungen, aber auch deswegen.

Darunter auch der Hauptdarsteller des aktuellen Stücks "Der Hauptmann von Köpenick". Ouelgo Téné wurde bereits körperlich attackiert.

Die Stimmung vor Ort kippte die letzten Jahre – selbst bei weißen Schauspierinnen aus dem Ausland kommt inzwischen das Gefühl auf, nicht mehr willkommen zu sein.

Katerina Papandreou, Schauspielerin

"2014 habe ich gesagt, ich bin Griechin, da waren alle Leute "Sirtaki, Gyros, Akropolis", alle schön. Dann sage ich das ein, zwei Jahre später und es ist - aha - Schulden, Grexit. Kommst du hier her, um Arbeit zu kriegen, Geld zu verdienen?! Es sind neben mir schon ein paar Mal unangenehme Situationen passiert, dazu sage ich jetzt, ok, ja, keinen Bock mehr."

Sie geht. Aber dem Boykottaufruf trotzt sie noch etwas Gutes ab.

Katerina Papandreou, Schauspielerin

"Ich war am Anfang schockiert und überrascht aber … wenn die Leute, die so eine fremdenfeindliche Stimmung haben uns gefährlich finden, das bedeutet, dass wir unsere Arbeit gut machen."

Das Provinztheater als Widerstandsnest gegen den Hass. Schauspieler, egal welcher Herkunft oder Hautfarbe vertreten öffentlich ihre Position, dass ist dem Bürgerforum zu viel des Guten.

Bürgerlich-bieder kommen deren Chefs auf einer Versammlung im Rathaus daher. Ein angesehener Apotheker ist federführend mit dabei, genauso ein alteingesessener Optiker - mit auffälliger Werbekampagne.

Auf den zweiten Blick werden die Abgründe deutlicher. Gründungsmitglied Frank Schütze posiert mit Reichskriegsflagge. Er likete unverhohlen die NPD und postet solche Fotos.

Und der Bürgermeister von Altenburg? Er sucht das Gespräch - auch mit den führenden Köpfen des Bürgerforums. Gegenüber Kontraste erklärt er sein Motiv:

Michael Wolf (SPD), Oberbürgermeister Altenburg

"Es gibt in diesem Bürgerforum auch Menschen, die ich seit vielen, vielen Jahren kenne und ich habe immer ganz klar und deutlich gesagt: Wir müssen mit den Leuten reden, damit sie uns eben  nicht in dieses rechte Lager abdriften, denn dann sind sie verloren."

Für ihn bleiben diese Hetzer offensichtlich noch immer ernstzunehmende Gesprächspartner.

Ihren Boykottaufruf ließ der Bürgermeister monatelang unkommentiert.

Stattdessen kritisierte er den Theaterdirektor wegen des offenen Umgangs mit den Problemen. In einer schriftlichen Erklärung warf er der Theaterleitung "ein Spiel mit dem Feuer" vor. So bringe man Altenburg "mit rassistischen Denkweisen in der Bevölkerung in Verbindung".

Den SPD-Mann quält hauptsächlich der Imageschaden für seine Stadt, den er wieder loswerden will:

Michael Wolf (SPD), Oberbürgermeister Altenburg

"Ich habe ein Problem damit, wenn eine Stadt stigmatisiert wird, wenn sie in eine rechte Ecke gestellt wird und wir stehen ohnmächtig dieser ganzen Problematik gegenüber."

Ohnmächtig? In Thüringens Hauptstadt, Erfurt, sieht man das anders. Der linke Kulturminister des Freistaates fordert den Bürgermeister auf, endlich klare Kante zu zeigen.

Benjamin-Immanuel Hoff (Die Linke), Kulturminister Freistaat Thüringen

"Ich halte seine Umgehensweise mit dem Bürgerbündnis für falsch. Für strikt falsch, ich glaube, dass es überhaupt nicht hilft den Eindruck zu entwickeln, als ob diese Institutionen tolerabel seien.

Auch Lokalpolitiker sollten der rechten Bewegung entgegentreten: sofort und kompromisslos.

Benjamin-Immanuel Hoff (Die Linke), Kulturminister Freistaat Thüringen

"Ich hätte mir gewünscht, dass er in dieser Diskussion, in dem Moment, in dem zu einem Boykott des Theaters aufgerufen wird, sagt, ich als Bürgermeister, als Repräsentant dieser Stadt sage, in dieser Stadt wird keine Kultureinrichtung boykottiert, nur weil einige meinen, dass Toleranz und Weltoffenheit in ihrer Stadt nichts zu suchen hat, das Gegenteil ist der Fall."

Abmoderation: Ein Bürgermeister, der nicht will, dass seine Stadt in die rechte Ecke gestellt wird, muss sich eben auch klar und deutlich abgenzen gegenüber Fremdenfeindlichkeit und Intoleranz ...

Beitrag von Chris Humbs und Axel Svehla