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Canisius Kolleg | Bild: rbb

- Aufklärung von sexuellem Missbrauch – Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit

Angesichts der Vielzahl der Fälle von sexuellem Missbrauch hat sich der katholische Jesuitenorden Aufarbeitung auf die Fahnen geschrieben. Doch wie KONTRASTE-Recherchen zeigen, klaffen Anspruch und Wirklichkeit immer noch auseinander. Opfer erheben schwere Vorwürfe und bezweifeln den Willen zur Aufklärung.

Scham, Reue und Entsetzen haben sie gezeigt, die Kirchenoberen, als der Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche hochkam. Aufklären wollten sie, die Opfer entschädigen und die Täter zur Rechenschaft ziehen. Endlich, haben wir gedacht, - doch bisher ist nicht viel unternommen worden. Im Gegenteil: In einigen Fällen drängt sich der Eindruck auf, dass die Täter auch weiterhin gedeckt werden. Susanne Katharina Opalka und Jo Goll schildern einen Fall, der zeigt, wie scheinheilig die öffentlich gezeigte Reue ist.

Pater Wolfgang S.. Er soll Dutzende Schüler sexuell missbraucht haben. An Schulen des deutschen Jesuitenordens so wie hier in Berlin. Seit Jahren lebt er in Chile – dorthin hatte der Orden ihn versetzt. In seiner neuen Heimat betreute er unter anderem Jugendliche.

Einer seiner Schüler vor 30 Jahren in Deutschland: Thomas Z.: mutmaßliches Opfer des Paters.

Thomas Z., ehemaliger Schüler Canisius-Kolleg Berlin
„Ich glaube, dass dieser Sadist, der mich als Kind gequält hat durch die Unterstützung des Ordens die Chance bekommen hat in Chile in aller Seelenruhe abzuwarten, dass sich die Wasser in Deutschland glätten. Das ist aus meiner Sicht eine Unverschämtheit, weil man nichts für die Opfer getan hat, sondern nur darüber Gedanken gemacht hat, wie man den Täter schützen kann.“

Schutz der Täter? 1. Februar 2010. Hier verspricht der oberste Jesuit in Deutschland, Pater Provinzial Stefan Dartmann Aufklärung. Dutzende Opfer haben sich zu diesem Zeitpunkt bereits an den Orden gewandt. Der Orden entschuldigt sich – auch für die Vergehen des Pater Wolfgang S.

Stefan Dartmann, Jesuitenorden Deutschland
„Als Provinzial will ich nichts verdunkeln oder unterschlagen. Ich habe die Schuld eingeräumt und ich möchte nichts davon relativieren.“

Jetzt soll alles auf den Tisch. Alles? Auch die Vorwürfe gegen Wolfgang S., der in Chile lebt?

Auch dort sind die Vorwürfe des sexuellen Missbrauchs gegen Wolfgang S. in Deutschland angekommen. CNN berichtet.

Reporter versuchen Wolfgang S. mit den schweren Anschuldigungen zu konfrontieren. Doch er ist an seinem Wohnort nicht mehr anzutreffen.

Die Ordensleitung in München reagiert. Mit einer Presse-Erklärung des Jesuiten-Chefs Dartmann an die chilenischen Medien. KONTRASTE liegt diese Schreiben vom 9. Februar 2010 vor – verfasst also nur eine Woche nach der Pressekonferenz in Deutschland. Hier wird erklärt: Es habe keine Anschuldigungen oder Anzeigen des sexuellen Missbrauchs durch Pater Wolfgang S. gegeben. Lediglich Misshandlungen werden eingeräumt. Ein Freibrief nach Chile für Wolfgang S.?

30 Jahre lang konnte Thomas Z. nicht über sein Martyrium sprechen – Scham - die Angst, mitschuldig zu sein. Er sagt, Pater S. habe ihn missbraucht und misshandelt.

Schläge auf den entblößten Hintern mit Linealen, Schnüren, Teppichklopfern. Ritualisierte Gewalt in der Schule. Stundenlang.

Thomas Z., ehemaliger Schüler Canisius-Kolleg
„Ich musste mich über so eine Bank drüber beugen und er hat mir die Hose heruntergezogen. Ich habe ihn nicht gesehen, er war immer hinter mir. Ich erinnere seine Hände, ekle mich vor dieser Erinnerung. Er hat mir danach, als alles vorbei war, mein zerfetztes Gesäß mit Creme eingecremt und das war eine sehr unangenehme Berührung, vielleicht unangenehmer als die Schläge zuvor.“

Keine Anschuldigungen des sexuellen Missbrauchs? Seit der Pressekonferenz haben Thomas Z. und andere vom Orden nichts mehr gehört. Und dabei gibt es gerade jetzt zu den Erlebnissen in der Schule so viele offene Fragen.

Thomas Z., ehemaliger Schüler Canisius-Kolleg
„Ich möchte wissen, welche Männer damals mit welchen Entscheidungen mein Leben zerstört haben und das Leben von anderen Menschen zerstört haben. Und ich möchte von diesen Männern Erklärungen haben, weil zur Verzeihung dazu gehört, dass der Schuldiggewordene seine Schuld bekennt und das ist bis heute nicht geschehen.“

Die Leitung des Ordens schweigt. Kein Interview. Stattdessen werden wir an sie verwiesen: Ursula Raue, vom Orden eingesetzte und bezahlte Missbrauchsbeauftragte. Sie soll aufklären, was genau geschehen ist. Die schweren Vorwürfe gegen Pater Wolfgang S. sind ihr bekannt. Wir zeigen ihr die Erklärung des Ordens für die Brüder in Chile und wollen wissen, was sie davon hält. Doch sie weiß von nichts.

Ursula Raue, Missbrauchsbeauftragte Jesuitenorden Deutschland
„Sie haben mich gerade damit konfrontiert. Es fällt mir schwer jetzt mehr dazu zu sagen. Ich verfahre eigentlich so, dass ich dann jetzt erst mal die Leute frage, die die Erklärung abgegeben haben.“

Warum schützt der Jesuitenorden diesen Mann? Obwohl doch mehrere Opfer den Orden über ihre Vorwürfe des sexuellen Missbrauchs seit Langem informiert haben.

Thomas Z., ehemaliger Schüler Canisius-Kolleg
„Es wurde alles getan, dass es dem Täter gut geht und er keine Konsequenzen zu befürchten hat. Und nach außen hin Opfern hier in Deutschland gegenüber bittet man um Verzeihung und Vergebung und möchte das Ganze so schnell wie möglich wieder zudecken.“

Thomas Z. fühlt sich belogen und betrogen. Erneut vom katholischen Jesuitenorden allein gelassen.

Vielleicht gibt es in dem Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche nun auch bald ein erklärendes Wort des Papstes, der sich bisher konkret nicht geäußert hat. Denn morgen wird er sich mit dem Vorsitzenden der deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch, in Rom treffen.

Beitrag von Susanne Katharina Opalka und Jo Goll