"Hölle des Südens" -
Was sich hinter den Mauern der JVA Augsburg-Gablingen abgespielt haben soll, klingt nach Folter: Nackt, ohne Decken und Matratzen. Tagelang sollen Gefangene ohne triftigen Grund in Spezialzellen eingesperrt gewesen sein. Es sind schwere Vorwürfe, die eine ehemalige Gefängnisärztin und Gefangene gegen die JVA erheben.
Beitrag von Sascha Adamek, Andreas Herz und Chris Humbs
Die Empörung in Politik und Gesellschaft ist groß, die Staatsanwaltschaft Augsburg ermittelt gegen JVA-Bedienstete. Im Wochentakt kommen neue Details ans Licht: Im bayerischen Justizministerium war der Fall bereits seit über einem Jahr bekannt. Was wusste Justizminister Eisenreich? Warum hat er nicht früher eingegriffen? Und warum wird nicht gegen die JVA-Leiterin ermittelt? Das sind nur drei von vielen noch offenen Fragen, denen Kontraste zusammen mit dem BR nachgegangen ist. Wir konnten exklusiv aktuelle Gefangene in der JVA interviewen. Auch sie erheben schwere Misshandlungsvorwürfe. Sie wollen so schnell wie möglich raus aus "der Hölle des Südens". Neue Vorwürfe reichen auch bis ins Ministerium.
Anmoderation: Folter hinter Gefängnismauern. Da denken Sie jetzt vielleicht an Guantanamo oder Abu Ghraib im Irak, an Bayern denkt man eher nicht - sollten sie aber - auch wenn das Ausmaß bei weitem nicht vergleichbar ist wiegen die Vorwüfe, gegen die JVA Augsburg Gablingen schwer. Zum Beispiel: Nackt über Wochen in eine Zelle gesperrt zu werden, Ohne Matraze und Decke. Gemeinsam mit Kollegen vom Bayrischen Rundfunk ist es Kontraste erstmals gelungen hinter den Mauern mit betroffenen Gefangenen zu sprechen.
Die Justizvollzugsanstalt Augsburg-Gablingen. Erst vor neun Jahren errichtet – für gut 600 Strafgefangene und Untersuchungshäftlinge. Hier sollen Insassen schwer misshandelt worden sein.
Alexandra Gutmeyr, Fachanwältin für Strafrecht
"Foltermethoden. Methoden, um Menschen zu brechen."
Rainer Dopp, Nationale Stelle zur Verhütung von Folter
"Das ist auch weit mehr, als ich mir jemals hätte vorstellen können, dass so was passiert."
Die Vorwürfe lauten unter anderen: Tritte und Schläge durch Bedienstete. Gefangene, die nackt weggesperrt werden – in Sonderzellen ohne Tageslicht. Ein Gefangener gibt an, nur einen Becher Wasser am Tag erhalten zu haben.
Ein Skandal, der jetzt auch die Politik erreicht hat: Bayerns Justizminister Georg Eisenreich steht unter Druck.
Diese ehemaligen Gefangenen berichten uns von Gewalt durch Bedienstete. In einem Fall soll die Situation eskaliert sein. Ein Gefangener hat wegen Schmerzen einen Arzttermin. Er wartet vor dem Behandlungszimmer. Dann kommt ein JVA-Mitarbeiter und schickt ihn weg.
Ex-Häftling
"Also, er hat offen mit Gewalt gedroht. Ich habe gesagt, ich bewege mich von hier nicht. Es ist mir egal, was sie machen. Und dann ist er auf mich los und hat seinen Knopf gedrückt. Und da kam sofort zig Beamte, auch von der Sicherheit und haben auf mich eingeprügelt. Also aus allen Richtungen kamen Schläge und Tritte. Die haben mich dann gefesselt, und selbst als ich mit Handschellen und allem gefesselt war, haben sie noch weiter auf mich eingeschlagen und auch tatsächlich ins Gesicht getreten."
Gefesselt ins Gesicht getreten. Ein zweiter Ex-Häftling berichtet uns von Blutlachen, die er aufwischen musste. Beide haben ihre Aussagen eidesstattlich versichert.
Die damaligen Anstaltsärztin Katharina Baur hat nach wenigen Monaten gekündigt, sie konnte nicht mehr aushalten, wie die Gefangenen in bestimmten Zellen behandelt wurden:
Katharina Baur, ehem. Anstaltsärztin in der JVA-Gablingen
"Die bekommen nichts, um sich waschen zu können. Die gehen nicht duschen. Wenn einer da tagelang da drinnen ist, teilweise Wochen, wenn die unten im Keller die Tür aufmachen, das rieche ich im zweiten Stock, dass da ein Mann seit Wochen ist, der nicht gewaschen ist. Also die kratzen sich teilweise die Haut, weil wenn sie sich mal mehrere Tage nicht waschen können, juckt es halt irgendwann."
Vieles soll sich in den "besonders gesicherten Hafträumen" – kurz bgHs – genannt abgespielt haben. Sie befinden sich im Keller der Anstalt. Kein Fenster, ein leerer Raum. Der Grund: Gefangene sollen sich oder andere nicht mit Gegenständen verletzten können, wenn sie aggressiv oder suizidgefährdet sind.
Nur bei psychischen Ausnahmezuständen dürfen diese Zellen von der JVA genutzt werden – ausnahmsweise, kurzzeitig. Hier sollen sie jedoch oft, lange und auch als Strafmaßnahme genutzt worden sein. Auf unsere Anfrage dazu teilt die JVA mit: Man gebe dazu keine Auskunft.
Unsere Recherchen belegen: Das bayerische Justizministerium war bereits seit mehr als einem Jahr über einige der Vorwürfe informiert.
Am 18. Oktober 2023 schilderte Anstaltsärztin Katharina Baur in einer Mail an das Ministerium, wie Gefangene komplett nackt, ohne Nachthemd und Unterhose wegesperrt wurden, ohne Matratze, Kopfkissen und Decke auf dem nackten Betonboden. Sie schreibt: "Für mich sind diese Verhältnisse menschenunwürdig".
Baur informierte das Ministerium in ihrer Mail auch darüber, dass Gefangene ohne rechtliche Grundlage im bgH eingesperrt wurden.
Zum Schluss appelliert sie eindringlich an das Ministerium: "Ich bitte sie hier nicht wegzuschauen, sondern etwas zu unternehmen."
Justizminister Eisenreich sagt, er sei von dieser Mail nicht unterrichtet worden, aber sein Amtsleiter habe Kenntnis von dem Vorgang gehabt. Das Ministerium leitet die Angelegenheit an die Staatsanwaltschaft Augsburg weiter. Nach neun Monaten Vorermittlung wird der Fall zu den Akten gelegt.
Für den Strafrechtler und Kriminologen Professor Hennig Müller ein klarer Fehler:
Prof. Henning Müller, Strafrecht Universität Regensburg
"Wenn die Staatsanwaltschaft bei zureichenden Anhaltspunkten nicht ermittelt, dann macht sie sich selber strafbar wegen Strafvereitelung. Da kommt der Vorwurf ja nicht von den Betroffenen selbst, sondern aus der Anstalt selbst, von einer Insiderin, die dort unmittelbar beteiligt war, die das gesehen hat also und die nicht den anonymen Hinweis gibt, sondern die ja mit ihrem Namen auch dafür steht."
Die Mail der Ärztin enthielt noch ein weiteres pikantes Detail:
"Die Decke und die Matratze liegen vor dem Haftraum, wenn eine Kontrolle durch den Folterausschuss erfolgt, werden diese in den Haftraum verbracht."
Wir treffen Rainer Dopp, Chef der Nationalen Stelle zur Verhütung von Folter, die im Jahr etwa 130 Haft-Orte in Deutschland inspiziert. Er erinnert sich, dass sein Inspektionsteam auffällig lange warten musste, als es im August 2024 die JVA betreten wollte.
Rainer Dopp, Nationale Stelle zur Verhütung von Folter
"Am Tag darauf kamen Hinweise von Bediensteten, in denen stand, die nationale Stelle ist getäuscht worden. Die Zeit, die wir hätten warten müssen, sei genutzt worden, um in den besonders gesicherten Hafträumen Unterwäsche und Matratzen auszulegen. Das hat uns noch misstrauischer gemacht."
Am 13. August 2024 erhält auch das Ministerium einen anonymen Hinweis: Die Nationale Stelle zur Verhinderung von Folter sei getäuscht worden. Laut Ministerium wird Minister Eisenreich immer noch nicht informiert.
Doch am 2. Oktober 2024 nimmt die Staatsanwaltschaft Augsburg das Verfahren auf, am 24. Oktober durchsucht sie erstmals die JVA und beschlagnahmt Beweismittel.
Der Justizminister erklärt, dass er erst jetzt von dem Vorgang erfahren habe:
Georg Eisenreich (CSU), Justizminister Bayern
"Deshalb habe ich bereits kurz nachdem ich über die Vorwürfe im Zusammenhang mit der JVA Gablingen informiert wurde, angekündigt, dass ich rückhaltlose aufgeklärt werden muss."
Doch nun gibt es neue Vorwürfe: Kontraste und der BR haben Kontakt zu Anwälten von Häftlingen aus der JVA Gablingen. Diese wollen ausdrücklich vor der Kamera erzählen, wie mit ihnen umgegangen wurde.
Kontraste
"Guten Tag. ARD Fernsehen. Wir müssten angemeldet sein."
Pforte JVA Gablingen
"Einmal die Ausweise bitte."
Doch das Justizministerium erlaubt uns keine Filmaufnahmen, sagt, das gefährde die Persönlichkeitsrechte der Häftlinge. Getrennt durch eine Panzerglasscheibe dürfen wir ein Audio-Interview führen. Ihre Fotos haben uns die Häftlinge zur Verfügung gestellt.
Andreas Hartinger, Insasse U-Haft JVA Gablingen
"Und das ist ab der ersten Minute in Untersuchungshaft sofort losgegangen. Mit einer Papierunterhose in einen leeren Raum reingeworfen worden, in einen dunklen, fensterlosen Raum rein. Zehn Tage zu, kein Duschen."
Hartinger wirkt im Besprechungsraum auf uns stark abgemagert, sein Körper ist übersäht von Ekzemen.
"Ich habe hier bei den Justizbehörden mehrmals Anzeige erstattet, dass ich mit der Faust in den Bauch geschlagen worden bin von einem Justizbediensteten. Und die Anstalt Direktorin ist hier danebengestanden und hat gesagt, ich bin hier das Gesetz, so läuft das hier."
Gemeint ist die stellvertretende JVA-Direktorin. Auf Anfrage heißt es von ihren Anwälten: Zu konkreten Beispielen äußern sie sich aktuell nicht. Sie weisen aber darauf hin, dass die stellv. Leitung für eine verantwortungsbewusste und respektvolle Behandlung aller Insassen einsteht. Die Anschuldigungen menschenunwürdiger Unterbringung entbehrten jeglicher Grundlage. Es seien alle Entscheidungen stets zusammen mit ärztlichen oder psychologischen Fachkräften abgestimmt, das Justizministerium bei längerer Dauer der Unterbringung in jedem Fall informiert gewesen.
Häftling Angelo Jeremias beklagt sich über Arresthaft:
Angelo Jeremias, Insasse U-Haft JVA Gablingen
"Dann haben sechs Sicherheitsbeamten halt meine Tür aufgemacht, waren sehr aggressiv, haben gesagt: ja mitkommen und alles. Da sag ich, hey, Moment mal, wo, wohin mitkommen? Dann hat der Kleinste von denen gesagt: Ja, in die Hölle des Südens. So haben es die halt gesagt. Da habe ich halt gesagt, ja wenn ihr nicht sagt wohin, wo ich hingehe, dann gehe ich nicht mit. Dann hat er mich halt so gepackt und hat mich hochgezogen. Und dann habe ich gesagt: Ja. Also bin ich dann doch mitgegangen. Und dann war ich 17 Tage in dieser Zelle da, 17 Tage war ich drin."
Jeremias beklagt ebenfalls das Auftreten der stellvertretenden Anstaltsleiterin. Diese soll sich stets mit schwarz uniformierten, durchtrainierten Beamten der sogenannten Sicherungsgruppe umgeben haben.
Die Anwälte der Gefangenen zweifeln an der rückhaltlosen Aufklärung. Selbst auf Fragen nach den Haftbedingungen schweigt die JVA:
Helmut Mörtl, Fachanwalt für Strafrecht
"Ich habe dazu keine Auskunft bekommen, jedenfalls nicht dazu, wie man ihn haftmäßig untergebracht hat."
Kontraste
"Ist das üblich? Ist es normal?"
Helmut Mörtl, Fachanwalt für Strafrecht
"Ich habe es so noch nicht erlebt."
Die JVA Gablingen hat sich zu allen Vorwürfen auf Anfrage nicht geäußert. An rückhaltloser Aufklärung lässt sich auch bei den strafrechtlichen Ermittlungen zweifeln. Denn das Verfahren wegen Körperverletzung und Freiheitsberaubung im Amt führt jetzt dieselbe Staatsanwaltschaft, die die Vorwürfe ursprünglich für nicht ausreichend gehalten hatte.
Der Regensburger Strafrechtler Henning Müller sieht darin ein rechtsstaatliches Problem.
Prof. Henning Müller, Strafrecht Universität Regensburg
"Die einzelnen Staatsanwälte, die in der Behörde arbeiten, könnten befangen sein, insofern als sie ja gleichzeitig ermitteln in ihrer eigenen Sache. Nämlich, dass der Nichtaufnahme des Ermittlungsverfahrens vor einem Jahr. Und das erschien mir deswegen sinnvoll, eine andere Staatsanwaltschaft damit zu beauftragen."
Der Minister könnte das anweisen. Er tut es aber bislang nicht.
Heute dann melden die Nürnberger Nachrichten: Die Staatsanwaltschaft in Nürnberg ermittelt nach drei Strafanzeigen wegen des Vorwurfs von Misshandlungen durch Bedienstete in der JVA Nürnberg. Es soll unter anderem um Freiheitsberaubung, Nötigung und Körperverletzung gehen.
Gablingen also kein Einzelfall?
Bayerns Justizminister Eisenreich wird sich an seinem Versprechen auf rückhaltlose Aufklärung messen lassen müssen.