Jugendstrafvollzug (C) rbb 2007

- Gefängnis außer Kontrolle – Straftaten im Jugendstrafvollzug

Ungehindert von Behörden oder der Polizei lassen sich Straftäter Drogen in ein Berliner Gefängnis schmuggeln. Direkte Anwohner der Jugendstrafanstalt in Plötzensee sind machtlos und fühlen sich bedroht. Die Behörden wissen von dem offenen Drogenschmuggel – aber unternehmen nichts. Unsere Reporter haben sich auf die Lauer gelegt – und schockierende Szenen gefilmt.

Monatelang hat ein KONTRASTE-Team recherchiert um einen ungeheuerlichen Justiz-Skandal in Berlin aufzudecken. Die Kollegen waren hartnäckig und mutig. Obwohl sie mehrfach bei ihrer Arbeit bedroht wurden, haben sie weitergemacht. Um sie zu schützen, werden wir den Namen der Autorin nicht nennen. Sie hat in mehreren Nächten heimlich Bilder gefilmt, die bisher noch niemand so gesehen hat. Denn das, was in der Berliner Jugendstraf¬anstalt Nacht für Nacht passiert, ist unglaublich. Es geht um Drogen-Schmuggel im großen Stil.

Eine Gartenkolonie mitten in Berlin. Direkt neben dem Idyll: die Jugendstrafanstalt. Über 500 Strafgefangene sind hier untergebracht.

Was man nicht ahnt: An dieser Stelle soll sich einer der größten Drogenumschlagplätze Berlins befinden.

Diese Gartenbesitzer sind sich sicher: Rauschgift wird hier geschmuggelt. Die Rentnerin ist außer sich vor Empörung:

Gartenbesitzerin
„Die schmeißen Rauschgift rüber. Das hat auch die Polizei schon gefunden. Wir haben auch schon gesehen, wie die von Zelle zu Zelle ihre Pakete schaukeln, trotzdem da oben Gitter vor ist.“

Ihr 73jähriger Nachbar fühlt sich bedroht. Bedroht von ungebetenen Gästen, sagt er uns. Kriminelle zertreten die Zäune und steigen auf die Dächer der Lauben, die direkt an der Gefängnismauer liegen. Einige hätten unfreiwillig ihr Arbeitszeug liegen gelassen - Schnüre.

Wir erfahren: Mit den Schnüren werfen sie von den Dächern der Lauben Pakete über die Mauer der Jugendstrafanstalt. Drinnen sitzen Drogenhändler, Mörder und Totschläger. Und ihre Komplizen agieren vor der Mauer.

Vor der Mauer, die erst vor ein paar Jahren gebaut wurde. Der Rentner lebt schon seit Jahren damit. Nachts legt er immer ein Messer neben sich. Doch jetzt will er, dass die Öffentlichkeit davon erfährt.

Gartenbesitzer
„Egal, ob die nun 15 oder 16 sind, die haben Messer, die haben Waffen, die haben alles bei. Das sind keine kleinen Kinder oder was.“

Gartendächer und die Gefängnismauer als Drogenumschlagplatz für den Knast?
Wir können es gar nicht glauben und legen uns auf die Lauer.

Kurz bevor es dunkel wird, kommt eine Gruppe junger Männer vorbei. Sie suchen die Gartenkolonie ab, finden heraus, von welchem Dach es sich gut werfen lässt. Wir warten. Stundenlang.

Es ist kurz vor Mitternacht. Jetzt werden die Gefangenen richtig munter. Das Personal auf der anderen Seite der Anstalt jedoch scheint zu schlafen.

Obwohl bei dem Rentner noch Licht brennt, rennen die Drogenkuriere ganz frech durch seinen Garten. Sie laufen zum Nachbarn aufs Dach – und der ist nicht da.

Wir liegen hinter einer Hecke nur fünf Meter entfernt. Unsere Kameras laufen ununterbrochen. Was wir dann sehen, raubt uns fast den Atem.

Die Jugendlichen auf den Dächern sind ständig im Telefonkontakt mit den Helfern auf den Wegen, die Schmiere stehen. Jetzt telefonieren sie sogar mit den Gefangenen!

Der Kontakt ist hergestellt. Der Gefangene weiß anscheinend Bescheid, dass jetzt gleich der Wurf erfolgt. Ein Päckchen so groß, dass wir unseren Augen nicht trauen.

Der Wurf über die Mauer noch einmal in Zeitlupe.

Von der anderen Seite hat der Gefangene eine Fangvorrichtung aus seinem Gitterfenster geworfen und zieht daran. So will er die Schnur angeln, an der das Paket hängt.

Wir haben das Angeln nachgestellt. Die Fangvorrichtung ist mit einfachen Hilfsmitteln selbst gebaut. Ein aufgetrennter Pullover liefert die Schnur, eine zusammengerollte Zeitung bildet den Stab, eine verbogene Gabel greift die Schnur, an der das herein geworfene Paket hängt. Damit wird später die heiße Ware auch in die Nachbarzellen gependelt.

Wir beobachten: Eine solche Aktion dauert nur wenige Minuten. Oft geschieht das mehrmals in der Nacht. So haben wir es erlebt, mehrere Nächte hintereinander.

Wir wollen die Anstaltsleitung mit dem Vorwurf konfrontieren. Doch es gibt kein Interview.

Wir schaffen es jedoch, einige Beamte zu sprechen - anonym. Die Würfe über die Mauer seien hier ein offenes Geheimnis, sagen sie. Dabei hätte man schon längst etwas dagegen unternehmen können.

Vollzugsbediensteter Jugendstrafvollzugsanstalt Berlin-Plötzensee
“Normalerweise hätten tief greifende Maßnahmen ergriffen werden müssen von der Anstaltsleitung zum Beispiel direkte Stacheldrahtzäune, zum Beispiel direkte Wachtürme, wo Personal also wirklich den Überblick hat, wer vor der Mauer ist und wer natürlich auch hinter der Mauer ist.“
KONTRASTE
„Aber warum wird es nicht gemacht?“
Vollzugsbediensteter Jugendstrafvollzugsanstalt Berlin-Plötzensee
„Das wird nicht gemacht, weil die Anstaltsleitung immer noch der Bevölkerung glaubhaft machen will, es handelt sich hier in Anführungsstriche nur um eine Erziehungsmaßnahmen-Anstalt, wo gestrauchelte Jugendliche einsitzen, was aber bei Weitem nicht so ist. Dort sitzen also Mörder, Totschläger, Vergewaltiger.“

Auch die Gartenbesitzer erleben seit Jahren diese Ignoranz. Sie sind verzweifelt, waren auch schon beim Anstaltsleiter vorstellig.

Frau
„Unmöglich, ja.“
KONTRASTE
„Was hat der gesagt?“
Frau
„Der hat nur gesagt, er kann nichts dagegen ändern.“

Der Anstaltsleiter kann nichts gegen das nächtliche Treiben tun? Es kommt noch schlimmer: Etwas später wird uns ein interner Polizeibericht zugespielt. Jetzt haben wir schriftlich, dass die Behörden längst Bescheid wissen.
Zitat:
… (Der Leiter der Abteilung Sicherheit ) „… gab an, dass es seit längerer Zeit ein behördenbekannter Fakt (sei), dass Jugendliche/junge erwachsene Männer in Gruppen allabendlich, aber vor allem zur Nachtzeit an die Außenmauern der Anstalt kämen…“

Die Untätigkeit der Behörde gegenüber dem Schmuggel bestätigen uns auch Vollzugsbeamte. Einige haben inzwischen sogar Angst vor den Häftlingen und ihren Komplizen.

Vollzugsbediensteter Jugendstrafvollzugsanstalt Berlin-Plötzensee
“Die Beamten, die werden natürlich auch bedroht. Direkt von den Insassen, indem sie sagen, du ich weiß, wo du wohnst, du ich töte deine, keine Ahnung was. Es läuft auch über eine andere Schiene, dass sie dann halt mit den illegalen Handys ihre Angehörigen anrufen und die dann diesen Druck massiv wirken lassen und sich dann vor der Anstalt hinstellen und dann direkt den Beamten abfangen.“

Der Psychiater Dr. Wolfgang Droll sagt, dass die Bediensteten durch die Situation krank werden. Er betreut seit Jahren 30 Beamte. Schon im August 2006 legte er der Senatsverwaltung für Justiz ein Papier vor, das beschreibt, wie sehr die Sicherheit im Jugendgefängnis aus dem Ruder läuft.

Dr. Wolfgang Droll, Psychiater
“Ich habe mich mehrfach in dieser Sache an den Justizsenat gewandt, beim früheren Staatssekretär, bei der früheren Justizsenatorin, auch beim jetzigen Staatssekretär. Ich bin jedes Mal mit dem gleichen Argument abgespeist worden: Es sind halt doch relativ viele, psychisch labile Justizvollzugsbeamte und das sei das Hauptproblem.“

Einfach abgespeist vom Staatssekretär? Unglaublich.

Wir stoßen auf eine Studie, die eigens von der Senatsverwaltung für Justiz in Auftrag gegeben wurde. Darin wird auf das „Pendeln in der Nacht“ verwiesen und Sofortmaßnahmen wie
Zitat:
„zusätzliche Kameras und verstärkte Sicherung der Außenmauern“
vorgeschlagen. Das war im April 2007.

Vor mehr als einem Monat ging der interne Polizeibericht der von
Zitat:
„massenhaften Funden an Mobiltelefonen, Haschisch und Anabolika in großen Mengen“
spricht, an die oberste Polizeibehörde und die Senatsverwaltung.

Noch heute früh haben wir diese Beutel gefunden. Offensichtlich Irrläufer, die es nicht in die Zelle geschafft haben.

Keiner kann sagen, man habe es nicht gewusst. Bis zum heutigen Tag jedoch hindert niemand die Drogenkuriere beim Begehen ihrer Straftaten.

Heute sind es noch Drogen und Handys. Doch in dem mehrseitigen Polizeibericht wird auch ein anderes Horrorbild beschrieben.
Zitat:
„…Nur von Glück sagen kann man an dieser Stelle, dass die … Insassen bislang nicht auf die Idee gekommen sind, sich Schusswaffen oder Sprengmittel „in die Anstalt zu pendeln“ oder über die Außenmauer werfen zu lassen …“

Muss es erst so weit kommen?

Vorhin kam dann doch noch ein Fax aus der Berliner Justizverwaltung: Darin gibt die Behörde zu, dass sie von dem offenen Drogenschmuggel in dem Gefängnis weiß. Mit einem, Zitat: „Bündel von Maßnahmen“ will man die Situation verbessern. Spätestens bis Ende Oktober, so steht es da. Dann kann der Drogenschmuggel ja noch unbehelligt zwei Monate weitergehen …