Geheimdienstfall "netzpolitik.org" - Neue Dokumente belasten Justizminister Maas

Ein von Generalbundesanwalt Range im Jahre 2015 in Auftrag gegebenes Gutachten zu den Veröffentlichungen von Netztpolitik.ORG erhärtet den Verdacht des Landesverrates. Die Ermittlungen des Generalbundesanwaltes gegen die Betreiber des blogs wurden damals auf Druck des Bundesjustizministeriums eingestellt, Range trat zurück. Kontraste wertet nun exklusiv das bisher unveröffentlichte Gutachten aus. Erst jetzt wird klar, wie brisant die vom Bundesjustizministerium zurückgehaltenen Dokumente sind.

Anmoderation: Geheimdienstfall netzpolitik.org: Bundesweit sorgte der Fall im vergangenen Jahr für Aufregung. Die Ermittlungen gegen die Betreiber des Blogs wurden damals auf Druck des Bundesjustizministers eingestellt. GEneralbundesanwalt Range wurde entlassen. Wir haben nun exklusiv eine  bisher unveröffentlichte Expertise ausgewertet: Erst jetzt wird klar, wie brisant die bisher vom Bundesjustizministerium zurückgehaltenen Dokumente sind. Heiko Maas gerät erneut in die Kritik. Iris Marx und Chris Humbs berichten.

Thomas Heilmann (CDU), Justizsenator Berlin

"Politisch halte ich das für instinktlos. Ermittlungen sollten unabhängig von der Politik laufen."

Eva Kühne-Hörmann (CDU), Justizministerin Hessen

"Ich glaube der Rechtsstaat wird wirklich damit beschädigt"

Alexander Hoffmann (CSU), MdB Justizausschuss

"Er müsste die Konsequenzen aus dieser Affäre ziehen."

Frage

"Rücktritt?"

Alexander Hoffmann (CSU), MdB Justizausschuss

"Ja."

Die Gruppe netzpolitik.org. Ein Zusammenschluss junger unabhängiger Journalisten. Man begreift sich als eine "Plattform für digitale Freiheitsrechte." Doch wie weit geht die digitale Freiheit?

Anfang 2015 veröffentlichen die Blogger brisante Dokumente des Bundesamts für Verfassungsschutz. Es geht um geheime Pläne der Behörde unter anderem zur Cyberabwehr. Es geht um Personal, deren Qualifikationen, Dienststunden, Strategien. All dies wird in den Papieren detailliert geschildert.

Für den ehemaligen Chef des Bundesnachrichtendienstes haben solche Informationen in falschen Händen eine besondere Sprengkraft:

Gerhard Schindler, BND a.D.

"Wenn diese Methodik und diese Arbeitsweise den Gegnern unseres Staates in die Hände fällt, dann spielen wir ihnen auch in die Hände. Fazit ist, man schadet unserem Lande damit."

Das meint auch das Bundesamt für Verfassungsschutz und stellt Strafanzeige. Gegen die Blogger wird ermittelt:

Markus Beckedahl, netzpolitik.org

Frage:

"Haben Sie sich darüber Gedanken gemacht, dass das rechtlich heikel sein könnte?"

Antwort:

"Also wir machen uns bei vielen Dokumenten, die wir bekommen natürlich Gedanken darüber, ob sie es wert sind veröffentlicht zu werden oder ob da auch Informationen darin stehen könnte, die einer Veröffentlichung widersprechen. In dieser Einzelfallabwägung im vergangenen Jahr haben wir uns dazu entschlossen, die Auszüge aus den Haushaltsplänen zu veröffentlichen, als Anhang"

Doch der Strafvorwurf bleibt bestehen. Die Strafe für Landesverrat: nicht unter einem Jahr Gefängnis. Der Generalbundesanwalt Harald Range ermittelt gegen die Blogger. Als das bekannt wird, laufen die Medien Sturm. Der Tenor: Gegen Journalisten dürfe nicht ermittelt werden, die Pressefreiheit sei in Gefahr. Für Bundesrichter Prof. Thomas Fischer eine eigenartige Sichtweise.

Prof. Thomas Fischer, Bundesrichter

"Das spiegelt eine merkwürdige Eigendarstellung der Presse wider, die sich sozusagen für eine sakrosankte Macht erklärt. Also auch Journalisten können wegen Raubes, Diebstahls, Mord oder Landesverrat verurteilt werden."

Hier also kein Sonderstatus für Journalisten. Dennoch: Die Generalbundesanwaltschaft muss auf Druck des Justizministers Heiko Maas das Verfahren einstellen. Und damit beginnt der eigentliche Skandal.

Kontraste begleitet den Fall seit einem Jahr. Es hat Monate gedauert, um an die Akten zu kommen. Im Kern geht es um ein Rechtsgutachten, das die Generalbundesanwaltschaft  - wie wir erfahren - in Abstimmung mit dem Bundesjustizministerium in Auftrag gegeben hat. Es soll klären, ob netzpolitik.org tatsächlich Staatsgeheimnisse veröffentlichte und sich damit möglicherweise strafbar gemacht hat.

Als das Gutachten so gut wie fertig ist, ruft Generalbundesanwalt Range die Staatssekretärin im Justizministerium an. Range teilt ihr das bereits feststehende Ergebnis mit: Es belastet die Blogger schwer.

Doch im Justizministerium hat sich offenbar angesichts des Massenprotestes der Journalisten jetzt der Wind gedreht. Laut Aktenvermerk heißt es: Die Staatssekretärin wies an, er - also Range - habe die Erstellung des Gutachtens sofort zu stoppen."

Beim Generalbundesanwalt herrscht daraufhin Aufregung, Unverständnis.

Die Hektik können die Juristen nicht nachvollziehen. Denn das Gutachten hätte durchaus in den nächsten Tagen fertig sein können. Wenn es Maas tatsächlich gewollt hätte.

Für die renommierte Zeitschrift "Rechtswissenschaft" hat der Gutachter nun die Frage, ob es Staatsgeheimnisse waren, in einer ausführlichen Expertise behandelt - auf der Basis seiner Arbeit von damals. Er bleibt bei seinem Ergebnis: Es war ein Staatsgeheimnis, denn:

Zitat:

"Ausländische Nachrichten- und Geheimdienste werden dadurch in die Lage versetzt, die technische Auswertungs- und Abwehrkompetenz des BfV besser beurteilen zu können … Gleiches dürfte für terroristische Gruppen wie den IS gelten"

Eine überzeugende Arbeit, findet der renommierte Strafrechtsexperte Prof. Herzog.

Prof. Felix Herzog, Strafrechtsexperte Universität Bremen

"Dieses Gutachten ist differenziert, handwerklich gibt es nichts daran auszusetzen. Es ist auch nicht irgendwie eine Nähe zu den Diensten oder so zu spüren, das ist ein ordentliches werthaltiges Rechtsgutachten … es gibt gute Gründe dafür, dass man davon ausgehen kann, dass in Teilbereichen der Veröffentlichung Staatsgeheimnisse betroffen sind."

Das Justizministerium ließ damals lieber ein hauseigenes Gutachten innerhalb weniger Tage erstellen. Es kam zum gegenteiligen Ergebnis, dass die Veröffentlichungen:

"... nicht die hohen Anforderungen an den Begriff des Staatsgeheimnisses" erfüllen.

Ein Freibrief für die Blogger. Denn ohne Staatsgeheimnis kein Landesverrat.

Wir wollten dieses Hausgutachten des Justizministeriums einsehen. Doch wir haben keine Chance. Laut Ministerium sei es angeblich in Gänze:

"als "VS-Vertraulich" eingestuft"

Also nichts für die Öffentlichkeit. Erst nachdem wir gerichtlich vorgehen, erhalten wir es. Es stellt sich heraus: Der weit überwiegende Teil des Gutachtens ist keine Verschlusssache. Es ist dünn. Es ist fragwürdig.

Prof. Felix Herzog, Strafrechtsexperte Universität Bremen

Frage:

"Kann man da denn davon ausgehen, dass so ein Gutachten tatsächlich objektiv ist?

Antwort:

"…Nein, das ist eine menschliche Frage und die kann man sich schnell beantworten. Wenn man in diese Hierarchie eingebunden ist und gutachtlich Stellung nehmen soll, dann liegt es durchaus nahe, dass man nicht die Auffassung des Ministers übergeht oder gar sich dagegen stellt."

Range protestiert öffentlich gegen die Einflussnahme durch den Minister. Maas versetzt ihn umgehend in den Ruhestand.

Die zuständigen Sachbearbeiter in der Generalbundesanwaltschaft sollen sich sogar geweigert haben, das Verfahren einzustellen.

20 Anzeigen gegen Maas wegen Strafvereitelung im Amt folgen. Die Staatsanwaltschaft Berlin prüft und stellt ein: Minister dürfen so agieren!

Es war eine "Einzelfallweisung … die strafrechtlich nicht zu beanstanden ist", heißt es.

Was bleibt, ist ein Schaden für den Rechtsstaat.

Beitrag von Iris Marx und Chris Humbs