Informationsfreiheit auf bayerisch - In Umweltfragen kein Auskunftsrecht

Ist das Atomkraftwerk Gundremmingen wirklich sicher für die Umwelt, wie die Bayrischen Landesregierung behauptet? Das wollten wir überprüfen und haben deshalb Akteneinsicht für die Berechnungen der bayerischen Atomaufsicht für die alten Reaktordruckbehälter im AKW Gundremmingen beantragt. Sind sie wirklich so stabil, wie behauptet? Doch die Herausgabe wurde verweigert, schließlich handle es sich bei solchen Sicherheitsdaten nicht um Umweltinformationen. Kein Umweltbezug, keine Akteneinsicht. Inzwischen nimmt sich die EU der "Informationsfreiheit" in Bayern an.

Anmoderation: Behörden in Deutschland müssen dringend umdenken. Daten und Fakten sind heutzutage kein Hoheitswissen mehr! Bürger fordern Informationsfreiheit, Auskunft, Akteneinsicht - kurzum Transparenz. Doch dieser Gedanke einer rechenschaftspflichtigen Verwaltung ist längst noch nicht überall angekommen. Gerade bei den Behörden in Bayern stieß mein Kollege Chris Humbs bei Recherchen zu Umweltthemen immer wieder auf Granit. Und das, obwohl ein Gesetz Jedermann Informationsfreiheit im Umweltbereich zusichert.

Brennende Chemiefabriken, illegale Müllkippen, verseuchte Gewässer. Solche Bilder mag die EU in Zukunft nicht mehr sehen. Deshalb hat sie ihre Mitgliedstaaten verpflichtet, behördliche Akten, die die Umwelt betreffen, grundsätzlich für jedermann zu öffnen.

Auch dann, wenn noch nichts passiert ist, jedoch etwas passieren könnte. Schluss mit der Geheimnistuerei. Das ist eine kleine Revolution findet Professor Bernhard Wegener. Er ist Experte für dieses Auskunftsrecht.

Prof. Bernhard Wegener, Rechtswissenschaftler, Universität Erlangen-Nürnberg

"Das ist ein großer Verdienst der EU, über die Richtlinie, über den freien Zugang zu Umweltinformationen einmal mit dem Grundprinzip gebrochen zu haben, nämlich mit dem Grundprinzip der Vertraulichkeit. Also: eine echte Regelumkehrung."

Das Gesetz ist eindeutig:

Zitat:

"Jede Person hat nach Maßgabe dieses Gesetzes Anspruch auf freien Zugang zu Umweltinformationen ..."

Und

"Die Informationssuchenden sind bei der Antragstellung und Präzisierung von Anträgen zu unterstützen."

So werden die Bürger vor Ort faktisch als Aufpasser eingesetzt – für Brüssel. Denn aus dem fernen Belgien kann die EU schwerlich überprüfen, ob die Mitgliedstaaten auch überall die EU-Umweltschutzrichtlinien durchsetzen.

Prof. Bernhard Wegener, Rechtswissenschaftler, Universität Erlangen-Nürnberg

 "Indem sie Bürgern einen freien Zugang zu diesen Informationen über die Tätigkeit der Umweltbehörden eingeräumt hat, hat sie sich gewissermaßen so eine kleine Wächterarmee geschaffen."

Das Umweltinformationsgesetz: ein scharfes Schwert. Alles, was die Umwelt tangieren könnte, zählt dazu:

Doch ein Bundesland mag sich so gar nicht an dieses wirksame und weitreichende Gesetz halten: der Freistaat Bayern.

Beispiel Nummer 1

Seit Jahren recherchieren wir von Kontraste zum Thema Reaktorsicherheit. Problematisch sind vor allem die technisch veralteten Siedewasserreaktoren. Nur noch zwei davon, hier die weißen Zylinder, sind noch am Netz, nahe dem bayerischen Gundremmingen.

Die Reaktordruckbehälter dort gelten als Fehlkonstruktionen. Sie bestehen am Boden aus zwei Teilen, die durch eine Schweißnaht zusammengefügt sind. Und die ist ein Problem, weiß Wilfried Rindte. Der Prüfingenieur war beim Bau so mancher Kernkraftwerke mit dabei.

Wilfried Rindte, Prüfingenieur für Anlagentechnik

"Solche Konstruktionen die gibt es nur bei deutschen Kernkraftwerken, bei den ehemaligen Siedewasserreaktoren und in Gundremmingen. Im Ausland gibt es solche Konstruktionen nicht und im normalen Druckbehälterbau, im Raffineriebau, Chemieanlagenbau würde man solche Konstruktionen überhaupt nicht trauen so was als Entwurf vorzulegen."

In den Druckbehältern befinden sich die hochradioaktiven Brennstäbe. Welche Gefahr von der Schweißnaht ausgeht, die sich im unteren Teil befindet, ist hoch umstritten. Gemeinsam berechneten unabhängige Wissenschaftler, dass ein weiterer Betrieb nicht zulässig sei, der Behälter könnte bei extremen Drücken an dieser problematischen Naht bersten.

Prof. Wolfgang Kromp, Physiker, Universität für Bodenkultur, Wien

"Das  ganze würde vom Boden abheben und würde unglaubliche Zerstörungen anrichten, sie hätten einen  Super-GAU. Wie Tschernobyl oder Fukushima. Und das ist unverantwortlich, das eigentlich weiter zu betreiben."

Dennoch, die Reaktoren laufen auf Volldampf. In Bayern sieht man keine ernsthafte Gefahr, denn das Umweltministerium des Freistaats ließ die Schweißnähte erneut berechnen - vom TÜV-Süd. Das Ergebnis: alles bestens.

Kontraste wollte nun wissen, wie es zu den unterschiedlichen Ergebnissen kam und bat das bayerische Umweltministerium um Herausgabe der Berechnungen des TÜV-Süd – ganz ordentlich nach Umweltinformationsgesetz.

Doch eine Einsicht in das TÜV-Gutachten wurde uns verweigert. Der Grund: es handle sich hierbei

"… nicht um Umweltinformationen …"

Prof. Bernhard Wegener, Rechtswissenschaftler, Universität Erlangen-Nürnberg

"Die Stabilität des Reaktordruckbehälters dient selbstverständlich dem Schutz der Umwelt. Dass man aus dem Zugangsrecht ausklammern kann ist für mich nicht nachvollziehbar."

Oder anders gesagt: Es ist rechtswidrig, was die Umweltministerin in Bayern ihren Beamten durchgehen lässt. Aber was soll's, Strafen gibt's für diese Heimlichtuerei nicht. Schlimmstenfalls verliert man nach jahrelangem Streit vor Gericht – und so lange können die Reaktoren ungestört weiter laufen.

Fall Nummer 2

In Bayern geht es seit Jahren den Buchenwäldern an den Kragen. Und das im großen Stil.

LKW-Fahrer

"Und das was ich jetzt drauf hab, das kommt nach Übersee von denen, das geht nach China."

Die Szenen spielten sich im Naturschutzgebiet "Bayerischer Spessart" ab. Greenpeace protestierte dort mit verschiedenen Aktionen gegen das Abholzen vor allem alter Buchen.

Um einen Überblick über den Zustand der wenigen verbliebenen Buchenwälder in Deutschland zu bekommen, forderte Greenpeace von den Staatsforsten aller Bundesländer detaillierte Daten – auf Basis des Umweltinformationsgesetzes. Alle Bundesländer liefern, nur Bayern nicht.

Warum blockiert wird, erklärte die Bayerische Forstverwaltung wie folgt:

Georg Windisch, Leiter Bayerische Forstverwaltung (2014)

"Weil das natürlich Betriebsdaten sind, die tief in das wirtschaftliche Geschehen eines Forstbetriebs Einblick geben und damit einer Öffentlichkeit aus guten Gründen nicht zugänglich gemacht werden können."

Keine guten Gründe, meint Greenpeace. Seit vier Jahren klagt die Naturschutzorganisation in Bayern auf Herausgabe der Informationen. Sie wollen auch hier mitreden können, welche Wälder besonders gefährdet, welche besonders schutzwürdig sind.

Sandra Hieke, Greenpeace

"Offensichtlich lassen sich die bayerischen Staatsforsten nicht gerne in die Karten gucken, obwohl sie ja öffentliche Wälder bewirtschaften. Das heißt, das sind unsere Wälder, das sind die Wälder der Bürger."

Doch die bayerische Landesregierung will Details zu den Buchenwäldern einfach nicht herausrücken – Umweltinformationsgesetz hin oder her.

Der dritte Fall

Der große Tümmler schwimmt gerne Kilometerweit und hunderte von Metern tief. Er jagt in großen Familienverbänden den ganzen Tag nach Fischen. Hier eher nicht. Wir sind im städtischen Tiergarten Nürnberg – einer der letzten Zoos in Deutschland, der ein Delfinarium betreibt.

In der Natur leben die Bullen in der Regel getrennt von Müttern und Jungtieren. Hier nicht. Die soziale Struktur der Gruppe ist problematisch. So kommt es auch mal zu Verhaltensstörungen, zu Reibereien die tödlich enden können. Innerhalb von zwei Jahren starben sechs Delfine. So ewtas kommt nicht gut an. Daher werden aggressive Tiere gelegentlich mit Psychopharmaka sediert, erklärt der Zoo und meint, diese Form der Tierhaltung sei artgerecht.

Die internationale Wal- und Delfinschutzorganisation vermutet Tierquälerei. Sie forderten Akteneinsicht zur Haltung und zu den Tierstudien – aber die wurde abgelehnt.

David Pfender, Meeresbiologe, WDC

…der Tiergarten war davon überzeugt, dass die Daten zu den Delfinen keine Umweltinformationen sind, weil die Delfine nicht in der Umwelt leben, sondern in einem Swimmingpool innerhalb des Tiergartens."

Letztlich wurde der Zoo nach jahrelangem Rechtsstreit doch noch gezwungen, die Daten herauszugeben. Ein Zoo, diene nicht nur der Bespaßung. Sondern auch dem Umweltschutz. Die Unterlagen sind somit Umweltinformationen, meinte das Gericht.

Die Tierschützer haben jetzt die Dokumente ausgewertet. Doch mehr Klarheit gibt es deswegen immer noch nicht:

David Pfender, Meeresbiologe, WDC

"Aus den Akten, die wie aus dem Nürnberger Tiergarten erhalten haben, können wir nicht ermitteln, warum die Delfine gestorben sind. Einfach, weil die Datengrundlage, die uns überreicht wurde, einfach zu schlecht ist."

Für ein Interview war die Tiergarten-Leitung nicht bereit. Schriftlich erklärt man uns, dass man nicht alle relevanten Unterlagen herausgegeben habe:

Zitat

"Material wissenschaftlicher Studien sind Eigentum der Wissenschaftler … und nicht Bestandteil der Dokumentationen des Tiergartens."

Noch nicht einmal Fotos oder Videos des Zoos haben die Tierschützer erhalten. Die Blockadehaltung scheint ungebrochen.

Wie hieß es noch einmal im Umweltinformationsgesetz:

 "Jede Person hat nach Maßgabe dieses Gesetzes Anspruch auf freien Zugang zu Umweltinformationen ..."

In Bayern ticken die Uhren immer noch anders – hier gilt offenbar: geheim bleibt geheim.

Beitrag von Chris Humbs