- Mit der Hightech-Brille zum Straftäter? - Google Glass in der Kritik

Ungenehmigte Bild- und  Tonaufnahmen – mit der neuen Multimedia-Brille von Google theoretisch kein Problem. Doch Rechtsexperten und Datenschützer warnen: Mit Google-Glass können Strafrechtsverstöße und Bespitzelung bald zum Massenphänomen werden. Nicht durch Geheimdienste, sondern durch die Bürger selbst.

Eine Brille mit eingebauter Kamera und Minicomputer, sie bringt High-Tech-Freaks in Wallung: Als Google vergangene Woche einen Testverkauf seiner neuen Datenbrille Google Glass startete, war die Brille innerhalb kürzester Zeit vergriffen. Doch Datenschützer warnen: Mit Google Glass kann die Bespitzelung der Bürger bald zum Massenphänomen werden. Eine Bedrohung unserer Privatsphäre! Lisa Wandt und Markus Pohl.

Cool, hip und ein bisschen verrückt – mit solchen Bildern wirbt Google für seine neueste Geschäftsidee: die Datenbrille Google Glass.

Ein Erklärvideo soll zeigen, wie mühelos die Bedienung ist: Informationen werden direkt ins Blickfeld projeziert, man kann mit Glass telefonieren oder ins Internet gehen - ABER auch unauffällig filmen und fotografieren.

Was Google in seiner Werbung als strahlende Zukunftsvision präsentiert, halten renommierte Rechtsexperten für alarmierend.

Prof. Jan Hegemann
Urheberrechts-Experte

„Wir haben es hier mit einem Instrument zu tun, dass massenhaft eingesetzt auch zu massenhafter Rechtsverletzung führen wird.“

Thilo Weichert
Datenschutzbeauftragter Schleswig-Holstein

„Es werden unter Umständen völlig wildfremde Personen ins Bild gesetzt und vielleicht mit einer Gesichtserkennung dann identifiziert.“

Thomas Schwenke
Datenschutz-Experte

„Wir hatten schon Fälle, wo Personen zum Beispiel sich gegen Aufzeichnungen mit einer Kamera gewehrt haben, auch tätlich gewehrt haben.“

Ibrahim Evsan
Social-Media-Unternehmer

„Dass das natürlich Menschen nicht gut finden, ist mir klar, aber was soll man machen. Die Geräte werden kommen, die kann man bestellen. Und wir werden es gerne haben wollen, weil es unglaublich cool ist.“

In Deutschland gibt es Google Glass bislang nur für ausgewählte Nutzer wie Jan-Keno Janssen. Für die Computerzeitschrift c’t soll er die Brille testen. Unbemerkt Leute aufnehmen – diese Funktion hält auch Janssen für problematisch.

Jan-Keno Janssen
Redakteur Computerzeitschrift c’t

„Wenn ich jetzt ein Foto von Ihnen mache mit meinem Handy, dann ist es natürlich sehr, sehr auffällig, weil ich dann aus dem Gespräch raus mein Handy hole und dann irgendwas rraufdrücke. Aber wenn ich die Brille die ganze Zeit aufhabe, dann ist es, wenn Sie sich schon daran gewöhnt haben, dass ich sowieso die ganze Zeit die Brille aufhabe, dann kann ich zum Beispiel mit einem Blinzeln, das geht bei der Glass, mit einem Blinzeln ein Foto auslösen, und das haben Sie dann im Zweifel gar nicht mitbekommen.“

In der Innenstadt von Hannover testet der Technik-Experte, ob die Kamera-Brille wirklich keinem auffällt.

In unserem Auftrag verwickelt er Passanten in ein kurzes Gespräch – und filmt alles mit.

Entschuldigung, wisst ihr wo das Steintorviertel ist? Oder Steintor?

Nur die wenigsten bemerken Google Glass, geschweige denn, dass sie aufgezeichnet werden.

Umfrage
„Das wäre mir jetzt wirklich gar nicht aufgefallen, überhaupt nicht.“
„Scheiße finde ich das, aber ich kann es ja nicht ändern.“
„Was finden Sie Scheiße?“
„Wenn ich irgendwo in aller Welt zu sehen wäre.“
„Das ist Schrecklich!“
„Ja, was ist daran schrecklich?“
„Dann bin ich ja sofort in der Öffentlichkeit präsent, ohne dass ich da überhaupt eine Einwilligung zu gemacht habe.“
„Das geht in die Privatsphäre, in die Intimsphäre und eigentlich ist es nicht so gerechtfertigt.“

Mit nur einem Befehl können die Aufnahmen ins Internet gestellt und in sozialen Netzwerken wie Facebook veröffentlicht werden, selbst ein Livestreaming ist möglich.

Professor Jan Hegemann, Experte für Urheberrecht, warnt deshalb vor der Nutzung der Hightech-Brille.

Prof. Jan Hegemann
Urheberrechts-Experte

„Ich darf Bilder von Menschen, die ich irgendwo auf der Straße sehe und filme, nicht ohne ihre Einwilligung verbreiten. Wenn ich das tue, setze ich mich zivilrechtlichen Unterlassungs-, möglicherweise auch Geldentschädigungsansprüchen aus. Und ich setze mich möglicherweise auch einer Strafverfolgung aus, denn derjenige, der da gefilmt worden ist, kann Strafanzeige stellen.“

Geregelt ist das im Kunsturhebergesetz, Paragraph 22. Ebenfalls verboten: Heimliche Tonaufnahmen – eine Straftat! Paragraph 201, Strafgesetzbuch. Bei Aufnahmen in einer fremden Wohnung droht ein Jahr Freiheitsstrafe. Paragraph 201a Strafgesetzbuch.

Das Problem ist: Man wird im Nachhinein oft nur schwer herausfinden, wer einen heimlich aufgenommen hat. Thomas Schwenke, Anwalt für Datenschutz, sieht heftige Konflikte auf uns zukommen - zwischen Google-Glass-Nutzern und Opfern.

Thomas Schwenke
Datenschutz-Experte

„Es ist durchaus möglich, dass die Person zum Beispiel von mir verlangt, dass ich meinen Ausweis zeigen muss, dass sie meine Adressdaten hat, damit sie weiß, wenn die Aufnahme veröffentlicht wird, gegen wen sie sich richten kann. Ich kann mir auch Situationen vorstellen, wo zum Beispiel die Polizei herbei gerufen wird, wenn ein Google-Glass-Träger diese Informationen nicht herausgeben möchte.“

Google Glass - ein Fall für Polizei und Justiz? Ibrahim Evsan hält das für Unsinn. Der Social-Media-Unternehmer ist überzeugt: Die Datenbrillen werden schon in wenigen Jahren massenhaft verbreitet sein.

Ibrahim Evsan
Social-Media-Unternehmer

„Datenschutz ist einfach eine alte Idee, die meisten Menschen verstehen noch nicht einmal genau, was das ist. Fakt ist, die Menschen wollen kommunizieren, sie wollen ihre Informationen mitteilen, sie wollen halt Freunde jederzeit bedienen, und so wird´s auch mit der Brille sein. Das heißt also, in der Zukunft werde ich mich einfach reinschalten durch die Brille bei meinen Freunden, was sie gerade sehen und erleben.“

Eine Zukunft, in der die Privatsphäre offenbar keinen Platz mehr hat. Schon heute träumen Software-Entwickler von der Gesichtserkennung via Google Glass: Eine attraktive Bedienung, über die Fotodatenbanken sozialer Netzwerke schnell identifiziert. Name, Hobbys, Facebook-Einträge, alles würde sofort offensichtlich. Für den Prototyp von Glass hat Google diese Anwendung derzeit ausgeschlossen.

Doch das sei nur eine Beruhigungspille, meint Urheberrechtsexperte Jan Hegemann.

Prof. Jan Hegemann
Urheberrechts-Experte

„Darin stecken zwei Botschaften. Erstens: Google kann das. Und zweitens: Der Verzicht darauf ist alleine eine Entscheidung von Google, die heute getroffen und morgen revidiert werden kann.“

In der jetzt vorgegebenen Einstellung landen die Aufnahmen der Datenbrillen auf Servern von Google, der Konzern hätte Tausende Augen auf den Straßen. Was mit den Informationen passiert, weiß allein Google.

Der Datenschützer Thilo Weichert erhebt deshalb schwere Vorwürfe gegen das Unternehmen.

Thilo Weichert
Datenschutzbeauftragter Schleswig-Holstein

„Die bringen diese Brille, diese Waffe zur Verletzung von Persönlichkeitsrechten auf den Markt, um Daten zu sammeln. Das ist das Geschäftsmodell von Google, und das halte ich für ein illegales Geschäftsmodell, zumindest für ein rechtlich hochproblematisches Geschäftsmodell, weil es eben in unsere Freiheitsrechte massiv eingreift.“

Im Zuge der Snowden-Enthüllungen musste Google einräumen, dem US-Geheimdienst NSA Zugang zu seinen Daten zu geben. Glass also ein weiterer Schritt zur totalen Überwachung? Noch gibt es keinen offiziellen Verkaufsstart, die Brille soll aber wohl noch in diesem Jahr auf den Markt kommen.

Thilo Weichert
Datenschutzbeauftragter Schleswig-Holstein

„Ich hab die ganz große Hoffnung, dass wenn schon keine rechtliche Verbotsmöglichkeit besteht, dass so etwas wie eine gesellschaftliche Ächtung stattfindet und Nutzer dieser Brille als Idioten und als Persönlichkeitsrechtsverletzer eben wahrgenommen werden, die von der Gesellschaft nicht toleriert werden.“

Welchen Preis sind wir bereit, für den technischen Fortschritt zu zahlen? Wollen wir wirklich in Kauf nehmen, immer und überall gefilmt zu werden?

Prof. Jan Hegemann
Urheberrechts-Experte

„Wenn so etwas dauerhaft geschieht und wir ständig damit rechnen können, werden wir uns alle nicht mehr so frei bewegen können, wie wir das heute noch tun. Und das ist etwas, wovor eine Gesellschaft Angst haben muss.“

Natürlich haben wir auch das Unternehmen Google selbst angefragt. Heute Nachmittag bekamen wir die Antwort: “Der Schutz der Daten unserer Nutzer wie auch der ihrer Privatsphäre gehört zu den Prioritäten von Google". In den USA ist die neue Datenbrille übrigens vielerorts zu einem regelrechten Hass-Objekt geworden. Google-Glass-Träger werden dort inzwischen auch gerne Glass-Holes genannt. Was ist Ihre Meinung? Sind die High-Tech-Brillen "eine Katastrophe für den Datenschutz" – oder sind sie "unglaublich cool" und "Datenschutz ist einfach eine alte Idee", wie wir gerade im Beitrag hörten? Schreiben Sie uns unter www.kontraste.de wir sind gespannt!

 

Beitrag von Lisa Wandt und Markus Pohl