Führerschein (Quelle: rbb)

- Neue Wege der Justiz: Führerscheinentzug statt Knast ?

Die deutschen Gefängnisse sind überfüllt. Entlastung soll eine Justizreform bringen, die unter anderem ein Fahrverbot als Strafe auch für allgemeine Taten möglich macht. Ist das Konzept sinnvoll oder praxisfern?

Was ist des Deutschen größte Lust, noch vor dem Verreisen? Richtig: das Autofahren.

Also sagte Herta Däubler-Gmelin, die neue Bun-desjustizministerin: Wo Lust ist, schmerzt nichts mehr als Lustentzug.

Und weil Frau Däubler-Gmelin darauf zu achten hat, daß wir uns alle als gesetzestreue Bürger aufführen und im Kittchen wieder ein paar Zimmer frei werden, geht die Bundesjustizministerin mit einer Idee schwanger, deren Konsequenzen Roland Jahn schildert.


Rudi S. ist ein erfahrener Kraftfahrer. Fast täglich ist er mit dem Auto unterwegs zu seiner Arbeitstelle. Noch nie hat Rudi S. eine Verkehrswidrigkeit begangen.
Dennoch: Ab morgen hat er Fahrverbot für sein Auto. Ein Gericht verurteilte ihn wegen einer begangenen Körperverletzung. Die Strafe: Für ein halbes Jahr muß er seinen Führerschein abgeben. Drei Monate zuvor war es in der Kneipe des Dorfes zu einer Schlägerei gekommen. Auch Rudi schlug zu. Er wurde zum Straftäter.
Daß er wegen der Schlägerei jetzt sechs Monate nicht Auto fahren darf, das schmerzt Rudi S. mehr, als eine Geldstrafe. Fahrverbot statt Geldstrafe. Eine neue Sanktion für Straftaten jeder Art.
Der Fall Rudi S. ist konstruiert, soll aber jetzt nach Plänen der Bundesregierung Wirklichkeit werden. Nicht nur Autofahrer, die eine Verkehrsstraftat begehen, sondern alle Straftäter mit Führerschein kann es treffen. Der ADAC ist in Sorge.


Eckhart Jung, ADAC:
"Aus der Sicht des ADAC, soll das Fahrverbot streng verbunden bleiben mit Straftaten mit verkehrswidriger Handlungen im Straßenverkehr, sonst verliert das Fahrverbot seine speziellen erzieherischen Wert und der Autofahrer wird diskriminiert."


Das Bonner Justizministerium bestätigt das geplante Fahrverbot. Ein Interview wird abgelehnt.
Er ist der Vater des Gedankens. Der Jurist Prof. Heinz Schösch hat die Diskussion um das Strafsystem angestoßen, und die Vorlagen für die Politik geliefert.


Heinz Schösch, Professor für Strafrecht, Uni München:
"Man kann schlecht sagen, daß sich das klassische System bewährt hat, wenn die Strafanstalten zu 120 % überbelegt sind, und die Gewalttaten gerade unter jungen Menschen ständig zunehmen, besonders die Sachbeschädigung Gebäudeschmierereien, das sind die Taten die man wirkungsvoller treffen muß."


Wer bisher vor Gericht erscheinen mußte, der wußte wie er seine Tat bezahlen muß. Mit Freiheit oder Geld. Andere Sanktionen gab es bislang nur als Zusatz, bezogen auf die Tat. Das Fahrverbot nur dann, wenn das Auto bei der Straftat eine Rolle spielte.


Heinz Schösch, Professor für Strafrecht, Uni München
"Wir können die Hypothese wagen, daß auch diese Form der Sanktion ,die sich Verkehrsstrafrecht hervoragend bewährt hat für Teilbereiche des allgemeinen Strafrechts ebenfalls wirksam ist"


Vor diesem Gericht in Berlin werden Kriminaldelikte verhandelt. Hier soll bald über ein mögliches Fahrverbot entschieden werden, egal welche Art von Straftat begangen wurde. Dagegen gibt es schwere Bedenken.


Rüdiger Warnstädt, Richter, Amtsgericht Berlin-Tiergarten:
"Was hat denn eigentlich Fahrverbot oder Führerscheinentzug, was hat denn überhaupt der Führerschein zutun mit unseren allgemeinen Strafsachen, mit Diebstahl und Unterschlagung, mit Untreue, mit Raub, mit Erpressung, mit Körperverletzung und mit Hausfriedensbruch, nichts, es ist völlig sinnwidrig da einen Zusammenhang herzustellen."


Rüdiger Portius, Vereinigung der Berliner Strafverteidiger:
"Es muß doch ein Sanktionskatalog vorhanden sein, der alle gleichermaßen trifft, und es ist nun mal kein allgemeines verfügbares Gut, diese Fahrerlaubnis."


Geld ist neutral. Jeder hat es, mehr oder weniger. Der Straftäter wird zu Tagessätzen verurteilt. Die Höhe des Einkommens bestimmt die Höhe des Tagessatzes. Der Wert des Führerscheins ist unklar.
Für den einen bedeutet er die Existenz, der Andere fährt nur im Urlaub Auto. Der eine fährt zum Vergnügen, der andere seine kranke Mutter. Doch vor dem Gesetz müssen alle gleich sein.


Heinz Schösch, Professor für Strafrecht, Uni München:
"Der Gleichheitsgrundsatz wird dadurch gewahrt, daß der Richter im Rahmen des Möglichen auf die individuellen Verhältnisse des Täters Rücksicht nimmt, und die persönliche Strafempfindlichkeit berücksichtigt und danach differenziert."


Strafempfindlichkeit berücksichtigen, das heißt: Das Gericht soll klären, wie hart das Fahrverbot den Angeklagten trifft. Im Stundentakt folgt Fall auf Fall.


Warnstädt, Richter, Amtsgericht Berlin-Tiergarten:
"Ich habe gar keine Zeit mich da noch zu kümmern."


Auch bei der Staatsanwaltschaft ist man mit solchen Ermittlungen überfordert. Hier ist man froh, wenn man es schafft, die unzähligen Straftaten aufzuklären und die Täter vor Gericht zu bringen. Ob und wie oft der Täter ein Kraftfahrzeug gebraucht, kann nicht ermittelt werden.


Jörg Raupach, Vereinigung der Berliner Staatsanwälte:
"Das würde einen weiteren Ermittlungsschritt erfordern und auch die Hauptverhandlung ausdehnen, denn hier könnte man, wenn man`s richtig ermittelt, nur über das soziologische Gutachten eine Klärung herbeigeführt werden, zum Beispiel ob derjenige aus privaten Gründen, weil er seine kranken Eltern pflegen muß, auf ein Auto angewiesen ist, oder ob er aus beruflichen Gründen aufs Auto angewiesen ist. Es ist eine breite Palette an Möglichkeiten, die hier erörtert werden müßten, die die jetzt schon überlastete Strafjustiz noch weiter belasten würde."


Die Bedeutung des Führerscheins für den Angeklagten bleibt ungeprüft. Staatsanwalt und Gericht müssen sich weitgehend auf die Aussagen der Straftäter verlassen.


Jörg Raubach, Vereinigung der Berliner Staatsanwälte:
"Wenn zwei Angeklagte haben, die beide zu einen Fahrverbot verurteilt werden kann das für den einen eine schwere Strafe sein, für den anderen eher nicht, weil er kein Auto zur Verfügung hat, oder vielleicht mit der U- Bahn derzeit fährt, wenn man das in der Hauptverhandlung nicht hat klären können, dann geht der eine quasi straffrei aus, während der andere mit einer ihn sehr belastenden Strafe für die gleiche Straftat bedacht worden ist, und das kann zur Ungleichbehandlung führen."


Quasi Straffreiheit für überführte Täter? Der oberste Dienstherr der Justiz in Berlin sieht darin kein Problem. Der Senator begrüßt das neue Sanktionsmittel Fahrverbot.


Ehrhart Körting., Senator für Justiz, Berlin:
"Es mag sein, daß der eine oder andere, der vorhatte ohnehin zwei Monate kein Auto zu fahren, begünstigt wird durch so eine Maßnahme, eine derartige Ungleichbehandlung muß man aber glaube ich, in Kauf nehmen."


Straffreiheit. Das Fahrverbot machts möglich. Voraussetzung:. Der Täter kann problemlos auf sein Auto vezichten. Wenn nicht: Er kann trotzdem fahren.


Ehrhart Körting, Senator für Justiz, Berlin:
"Wir haben ja Fahrverbote schon als Sanktion bei Verkehrsstraftaten und auch bei Verkehrsstraftaten ist es so, daß ich nicht jeden Morgen jeden Einzelnen kontrollieren kann, ob er das Auto nutzt, sondern da muß ich mich bei derartigen Dingen verlassen, das die Täter die ein Fahrverbot bekommen, sich an die Rechtsordnung halten."


Rüdiger Portius, Vereinigung Berliner Strafverteidiger:
"Wer klauen geht, der hat eine anderen Hinderung, als jemand, der vielleicht irgendwann mal besoffenem am Steuer erwischt wird und ansonsten ein ordentlicher Angestellter ist und von daher kann es, für viele meiner Mandanten aus dem normalen strafrechtlichen Bereich wirklich zu einem müden Lächeln führen und die sagen, prima. Uns kratzt es überhaupt nicht, wir fahren weiter."


Fahren ohne Führerschein. In einer Kleinstadt vielleicht noch auffällig, in einer anonymen Großstadt nur bei Verkehrsverstößen mit Risiko behaftet.


Jörg Raupach, Vereinigung Berliner Staatsanwälte:
"Ein Fahrverbot gezielt zu kontrollieren ist fast unmöglich, wir sind letztendlich auf die allgemeinen Verkehrskontrollen angewiesen, das heißt, jeder kann sich überlegen wie oft er im Jahr oder überhaupt in seiner Autofahrerkarriere mal zufällig in eine Polizeikontrolle gerät, das ist relativ gering, anders als bei den Geldstrafen und bei den Freiheitsstrafen, deren Eintreibung von der Staatsanwaltschaft überwacht werden kann."


Fahrverbot, eine neue Sanktion für Straftäter. Die Planungen der Bundesregierung sind in vollem Gange.


Den Irrsinn möchte die Bundesjustizministerin in eine Gesetzesvorlage gießen und ihre Partei, die SPD, klatscht dazu Beifall. Vielleicht siegt aber doch noch die Vernunft, so, wie im letzten Jahr, als bereits das Verbot von Urlaubsreisen als neue Strafe ernsthaft in der Debatte war und es schließlich als Lachnummer endete.