Journalist (Quelle: rbb)

- RAF und die Medien - Gerichte untersagen Berichterstattung

„Schlimmste Terroristin"! Nein, so will die RAF-Aktivistin Brigitte Mohnhaupt nicht beschimpft werden. Sie beruft sich auf das Recht, sich wieder ungehindert in die Gesellschaft integrieren zu dürfen. Fotos von ihr und andere RAF-Täter dürfen nicht mehr gezeigt werden. Solche Veröffentlichungen sollen angeblich eine Reintegration nach vielen Jahren in Haft stören. Ein Bericht von Benedict Maria Mülder.

Bilder haben eine starke Wirkung: Ob bei positiven Ereignissen wie dem Fall der Mauer oder bei schrecklichen wie dem 11.September und den Anschlägen in New York. Es sind die Bilder, die im Gedächtnis bleiben. Und das wissen auch Terroristen. Sie benutzen die Medien und das Fernsehen ganz bewusst für ihre Taten. Das war auch vor 30 Jahren nicht anders, im deutschen Herbst 1977. Damals, als die RAF die Bundesrepublik mit einer Mordserie erschütterte. Heute wollen die Täter von damals die Medien wieder beeinflussen. Nur diesmal andersherum. Auf einmal sollen die Bilder von Ex-Terroristen nicht mehr gezeigt werden dürfen. Benedect Maria Mülder meint, das ist ein Eingriff in die Pressefreiheit und in den Umgang mit der deutschen Geschichte.

Der lange Schatten der 70er Jahre. Inzwischen haben fast alle inhaftierten ehemaligen Mitglieder der RAF ihre Strafe abgesessen, wollen vorzeitig aus der Haft entlassen werden.

Noch vor ihrer Freilassung, Brigitte Mohnhaupt, auf einem Freigang in Bayern. Ihre Bilder veröffentlicht in der ‚Bild am Sonntag’. Diese Fotos sollen laut Gericht nicht mehr erscheinen dürfen. Mohnhaupt, so ihr Anwalt, habe das Recht, in Ruhe gelassen zu werden - aus Gründen der Resozialisierung, also der Wiedereingliederung in die Gesellschaft.

Helmuth Jipp, Rechtsanwalt v. Brigitte Mohnhaupt
„Das ist der erste Schritt in die Re-Integration. Sie hat nicht gewollt, dass die Bilder erscheinen, weil das ihr privater Bereich ist, und sie möchte nicht mit ihrem privaten Bereich in der Öffentlichkeit erscheinen. Das hat sie für sich so entschieden, damit steht sie sehr im Einklang mit der deutschen Gesetzgebung und mit der deutschen Rechtsprechung zu diesem Thema.“

Kein Einzelfall. Die Freigängerin Eva Haule in Berlin, im Februar fotografiert von Springers BZ. Anlass: Haules mögliche vorzeitige Entlassung auf Bewährung – nach 21 Jahren Haft. Auch dieses Foto, so das Berliner Landgericht, darf nicht mehr gezeigt werden. ‚Welt’ und ‚Morgenpost’ ist es inzwischen sogar untersagt, Haule auf einem Fahndungsplakat aus den 80er Jahren zu zeigen. Auch die Wiedergabe eines Fotos, nach der Festnahme 1986, ist inzwischen verboten. Heute lernt Eva Haule Fotografin, geht mit eigenen Ausstellungen an die Öffentlichkeit oder ins Berliner Abgeordnetenhaus. Einer Berliner Zeitung gibt sie Ende 2005 Gelegenheit für ein einfühlsames Portrait mit eigenem Foto.

Der Historiker Wolfgang Kraushaar erforscht seit langem die Geschichte der RAF. Sie habe immer ein taktisches Verhältnis zu den Medien gehabt. Habe sie instrumentalisiert oder versucht, sich der Öffentlichkeit zu entziehen.

Wolfgang Kraushaar, Historiker Hamburger Institut f. Sozialforschung
„Das gehört, wenn man so will, zum terroristischen Handwerk dazu, gerade nicht beobachtbar zu sein. Das war aber kombiniert mit dem zielgerichteten Einsatz medialer Mittel und Effekte. Das heißt, Kommuniqués, Erklärungen, Kommandoerklärungen, Versendungen von Videobotschaften und anderem mehr. Man hat versucht, ständig an dieser Schraube zu drehen.“

1968 der Aufbruch, ein Kampf auch um die Macht von Wort und Bild. Einer, der viele RAF-Terroristen kannte, wusste, wie sie dachten und fühlten, war selbst Mitglied der terroristischen „Bewegung 2. Juni“ - der ehemalige Betonbauer Michael „Bommi“ Baumann, inhaftiert wegen eines Banküberfalls und Sprengstoffattentaten.
Früher als andere erkannte er den Irrweg seiner Genossen, stieg aus, machte aus seinen Verwicklungen in die Anfänge des Terrors nie einen Hehl.

Michael Baumann, ehem. Mitglied „Bewegung 2. Juni“
„Das ist das alte Denken. Diese Leute wollen für sich Sonderrechte. Irgendwie wie Kohl. Er sagt eben nicht, wer die Spender sind, und die sagen nicht, was sie gemacht haben. Das bleibt alles schön im selben Rahmen. Das ist dasselbe Verhältnis, dass hier niemand mehr gesamtgesellschaftlich denkt.“

Ende März 2007. Das Gefängnis Aichach: Brigitte Mohnhaupt wird nach 24 Jahren entlassen. BILD berichtet: die „schlimmste Terroristin“ frei. Ein BILD-Kommentator ärgert sich, dass „eine Mörderin die Chance erhält, in unserem Land glücklich zu werden“.

Brigitte Mohnhaupt sieht sich in ihrem Persönlichkeitsrecht und dem Recht auf eine ungestörte Resozialisierung verletzt. Sie klagt nicht nur gegen Bilder sondern auch gegen Schlagzeilen. Diesmal ohne Erfolg. Das Hamburger Landgericht wies eine Klage Mohnhaupts ab. Laut Gericht darf sie im Zusammenhang mit Berichten über ihre Haftentlassung.

„…. als „Terroristin“ und wegen der Stellung, die sie in der RAF eingenommen hat, auch als „schlimmste“ Terroristin bezeichnet werden“.

Gegen diese Entscheidung zugunsten der Presse legte ihr Anwalt Beschwerde ein. Brigitte Monhaupt werde durch die Berichterstattung diffamiert:

Helmuth Jipp Rechtsanwalt v. B. Mohnhaupt
„Wo sonst Pranger, wenn ich schreibe Mörder, Terroristin oder gar schlimmste Terroristin. Das ist der klassische Pranger bei einer Auflage von 3 Millionen, 12 Millionen Lesern, auf der Schlagzeile verbreitet habe ich vielleicht 20 Millionen Leser, die das so lesen sollen. Und es auch lesen. Dann wird jeder, der dieser Frau begegnet, wird sagen, mit der bitte nie.“

Der Jurist Klaus Sedelmeier, renommierter Presserechtskommentator, verteidigt die Berichte der Medien. Die RAF-Täter müssten es hinnehmen, wegen ihrer Taten in Wort und Bild öffentlich dargestellt zu werden.

Klaus Sedelmeier, Rechtsexperte
„Die brauchen, um resozialisiert zu werden, nicht in die Anonymität zurückkehren, sondern sie werden so von der Gesellschaft zu recht wieder aufgenommen, wie sie sind. Und wenn sie zeigen, dass sie sich mit der damaligen Situation auseinandergesetzt haben, umso besser.“

Resozialisierung. 1973 fällte das Bundesverfassungsgericht dazu ein wegweisendes Urteil. Anlass: Gewöhnliche Kriminelle hatten ein Munitionsdepot der Bundeswehr überfallen. Dabei wurden vier Soldaten erschossen. Drei Jahre nach der aufsehen erregenden Tat wollte das ZDF eine Dokumentation darüber senden, die Namen der Täter nennen und sie im Bild zeigen. Die Richter verhinderten die Ausstrahlung, sahen darin eine schwere Gefährdung der Resozialisierung der Täter.
Gilt dieses die Berichterstattung einschränkende Grundsatzurteil auch für die Täter der RAF?

Klaus Sedelmeier, Rechtsexperte
„Das mag alles gelten für den normalen Straftäter, der irgendwann eine „normale“ Straftat begangen hat, aber nicht für Beteiligte an Gruppen, die eine ganze Epoche der Bundesrepublik bestimmt und mitbestimmt haben. Für die Nazitäter ist das 100 Mal dokumentiert und anders kann es nicht für die Terrorszene der 70er Jahre des letzten Jahrhunderts gelten. Diese Terrorszene ist und bleibt aktuell, die Täter sind heute noch Personen der Zeitgeschichte.“

Als solche haben sie haben die Bundesrepublik in eine beispiellose Krise getrieben. Der Schatten der RAF wirkt bis heute, viele Taten sind nicht vollständig ermittelt. Das öffentliche Bedürfnis nach Aufklärung wiegt schwerer als das Recht auf Resozialisierung.