Ehrhart Körting (Quelle: rbb)

- Terrorangst in Deutschland – die neue Generation islamistischer Attentäter

Sie sind unscheinbar, freundlich, angepasst - doch im Herzen sind sie Terroristen. Eine neue Generation islamistischer Attentäter bedroht Deutschland. Ihre Unauffälligkeit ist ein Albtraum für die Sicherheitsbehörden. Steffen Mayer und Susanne Opalka zeigen, was diese neue Terroristen-Generation so gefährlich macht.

Heute Nachmittag wurde er im Libanon gefasst: der zweite Tatverdächtige, der eine Kofferbombe auf einem deutschen Bahnhof hoch gehen lassen wollte. Guten Abend und Willkommen liebe Zuschauer bei KONTRASTE. Und prompt folgt die politische Reaktion: Forsche Politiker fordern strengere Kontrollen von einreisenden Ausländern. Und übersehen in ihrer tagespolitischen Aufgeregtheit: Terroristen müssen nicht mehr einreisen. Politisch fanatische Muslime gibt es auch hier, ihr Leitmotiv ist Hass: Auf diese Gesellschaft, auf den Westen an sich, auf Juden im Besonderen. Ein Alptraum für die Sicherheitsbehörden, den wir bislang so nicht wahr haben wollten. Steffen Meyer und Susanne Opalka über die neue Bedrohung, die keine Einreisegenehmigung braucht.

Bombenterror in Deutschland. Kofferbomben werden in zwei Regionalzügen gefunden. Die Zünder hatten ausgelöst. Aufgrund falscher Bauweise kam es nicht zur Explosion. Es drohten: ausgebrannte Waggons, Zugentgleisung, zahlreiche Tote. Inzwischen sind zwei Tatverdächtige gefasst.

Und wieder heißt es: Einsatz der Bundeswehr im Inneren, aufgeregte Sicherheitspolitiker kommen mit uralten Forderungen: noch mehr Video-Überwachung, noch mehr Telefonüberwachung und jetzt auch noch Überwachung mit Hilfe der Mautbrücken.

Die aufgeheizte Debatte geht am eigentlichen Problem vorbei: denn mitten unter uns lebt ein neuer Typ Terrorist.

Das weiß der Berliner Innensenator Ehrhart Körting von seinem Verfassungsschutz. Islamistische Terroristen, in Deutschland aufgewachsen, die sich hier radikalisierten.

Ehrhart Körting (SPD), Innensenator Berlin
„Wir haben überall in Deutschland Menschen, die relativ radikalisiert sind. Es sind sehr wenige, von denen wir wissen, das ist die gute Nachricht, aber es gibt sie, das ist die schlechte Nachricht.“

Der aufgedeckte Terrorplan von London vor zwei Wochen machte diese neue Gefahr deutlich: Die mutmaßlichen Attentäter leben schon seit ihrer Geburt im Land, gelten als Einheimische, erscheinen völlig harmlos. Doch sie wollten bis zu zehn Flugzeuge sprengen, so der Vorwurf. 24 verdächtige Muslime wurden verhaftet, fast die Hälfte ist inzwischen angeklagt.

Ehrhart Körting (SPD), Innensenator Berlin
„Ich glaube wir müssen bei der Vorbeugung solcher Täter darauf achten, dass wir nicht mehr gucken, ob sie mit irgendwelchen Flügen ins Ausland fahren und aus dem Ausland zurückkommen, sondern wir müssen genauso gut damit rechnen – und das zeigen eben die Londoner Anschläge – dass wir Täter haben, die ihr Heimatland nie verlassen haben, die sich aber in ihrem Heimatland, in Gesprächen mit anderen oder in einer kleinen Gruppe radikalisieren.“

Dieser neue Typ Terrorist hatte schon vergangenes Jahr zugeschlagen, in London, am 7. Juli. Täter, die inmitten der Gesellschaft aufwuchsen, unauffällig, seit Jahren. Die Sicherheitsbehörden gehen davon aus, dass sich auch in Deutschland Jugendliche derart radikalisieren.

Guido Steinberg war drei Jahre im Kanzleramt als Terrorexperte tätig. Der Islamwissenschaftler hat die neue Gefahr terroristischer Eigengewächse analysiert.

Guido Steinberg, Terrorismusforscher Stiftung Wissenschaft und Politik
„Das ist so gefährlich, weil man mit den herkömmlichen Methoden von Sicherheitsbehörden diese Gruppierungen nur sehr schwer aufgreifen kann. Sie sind nicht bekannt, sie sind in der Regel nicht gereist, nicht in den Irak, nicht nach Pakistan, sie sind aus den Verhören inhaftierter Al-Kaida-Mitglieder beispielsweise auch nicht bekannt, insofern ist es sehr, sehr schwer sie zu finden.“

Gegenüber diesem Typus Terrorist ist der Staat nahezu machtlos. Das gesteht der Berliner Innensenator ein.

Ehrhart Körting (SPD), Innensenator Berlin
„Eine Gruppe, die aus drei, vier Leuten besteht, die nur mit sich selber kommuniziert, die - weiß ich was - Sprengstoff bastelt, ohne komplizierte Baustoffe dazu kaufen zu müssen, die ist ganz schwierig zu enttarnen.“

Die Anschläge in Europa in den letzten Jahren zeigen: die Basis potentieller Attentäter verbreitert sich. Anfangs stammten die menschenverachtenden islamistischen Attentäter aus der Mittelschicht. Doch in Madrid, Amsterdam und London stellen die Ermittler fest, auch Arbeitslose, Kleinkriminelle und Drogendealer werden zu Terroristen.

Sie handeln ohne Anweisung von Anführern. Eine große, sie unterstützende, Organisation brauchen diese kleinen Terrorgruppen auch nicht mehr.

Guido Steinberg, Terrorismusforscher Stiftung Wissenschaft und Politik
„Das sind Gruppierungen, die zwar ideologisch auf einer Linie mit Osama bin Laden liegen, die aber keinerlei engere organisatorische Verbindungen mehr aufweisen. Das sind Leute, die sich praktisch selbst mobilisieren, selbst rekrutieren und dann auch selbst ihre eigenen Terrorplanungen entwickeln.“

Amateur-Terroristen, die hier aufgewachsen sind und sich irgendwann für den Terrorismus entscheiden, geleitet vom Hass auf Juden und vom Hass auf den Westen. Die ideologische Schulung durch Osama Bin Ladens Al-Kaida - die Anleitung zum Dschihad - kommt per Satellitenfernsehen ins Haus.

Guido Steinberg, Terrorismusforscher Stiftung Wissenschaft und Politik
„Die wichtigste Botschaft, die Al-Kaida Muslimen hier in Europa zusendet, ist, dass aktuell ein Krieg zwischen dem Westen und dem Islam stattfindet und dass sie sich auf die Seite des Islam, das heißt Al-Kaidas, stellen müssen.“

So radikalisiert müssen sie auch nicht in ein Trainingscamp reisen, nach Afghanistan, Pakistan oder in den Irak. Oder in den Krieg ziehen nach Tschetschenien. Reisen und Terror-Ausbildung im Ausland: Das war typisch für die älteren Generationen von Terroristen, wie Mohammed Atta und andere Attentäter vom 11. September.

Heute bekommen Interessierte alle wesentlichen Informationen über das Internet. Tausende islamistische Internet-Adressen bieten alles: Ideologie, Anleitungen zum Bombenbau, Strategien und Propaganda. Besonders verbreitet sind Bilder von Anschlägen auf US-Truppen im Irak.

Perverse Werbung für den heiligen Krieg. Self-made Terrorismus, ohne auffällige Reisen in Krisengebiete und ohne intensive Kontakte zu Gruppen.

Ehrhart Körting (SPD), Innensenator Berlin
„Das Internet ermöglicht ihnen sozusagen im Wege der Fernuniversität Terrorist zu werden, und es ermöglicht ihnen im selben Wege, terroristische Rezepte zu machen. Sie wissen, dass die Al-Kaida Handbücher, die es nur in wenigen Exemplaren gab, inzwischen überall über Internet verbreitet werden, für jeden abrufbar sind, das heißt die neue Technik schafft neue Gefahren.“

Warum aber wird aus einem jungen Muslim, der in Deutschland aufwächst, ein islamistischer Terrorist? Die Analyse von Attentäterbiographien hat gezeigt, dass sie oft keine Aufstiegschancen mehr gesehen haben. Sie gerieten in Krisensituationen, weil sie glaubten, nicht weiter nach oben zu kommen. Und viele fühlten sich abgelehnt:

Guido Steinberg, Terrorismusforscher Stiftung Wissenschaft und Politik
„Es gibt dieses verbreitete Gefühl als Muslim nicht nur hier diskriminiert zu werden, sondern einer Gemeinschaft anzugehören, die einem Angriff ausgesetzt ist, beispielsweise in Palästina, im Irak oder auch anderswo. Da vermengen sich also die Wahrnehmung, hier diskriminiert zu sein, mit der Wahrnehmung als Muslim allgemein einem Angriff ausgesetzt zu werden.“

Radikalisierte Islamisten sehen sich als Angehörige einer weltweiten muslimischen Gemeinschaft. Für die religiöse Radikalisierung spielen geistige Brandstifter eine zentrale Rolle. Den Hasspredigern wird auch in Deutschland geglaubt.

Guido Steinberg, Terrorismusforscher Stiftung Wissenschaft und Politik
„Es gibt viele Hinweise darauf, dass sich islamistische Attentäter in die Luft gesprengt haben in der ganz konkreten Erwartung dann direkt ins Paradies einzuziehen.“

Aus der Öffentlichkeit, aus den Moscheegemeinden ziehen sich die Amateur-Terroristen zurück, das wissen die Sicherheitsbehörden. In kleinen Zirkeln radikalisieren sie sich weiter. Das macht es so schwer, gegen sie vorzugehen. Denn die Polizei muss erstmal einen Verdacht haben, bevor sie jemanden überwachen kann.

Ehrhart Körting (SPD), Innensenator Berlin
„Wir müssen sozusagen im Vorfeld aktiv werden, dann wenn sie beginnen, sich zu radikalisieren und nicht, wenn sie radikalisiert sind. Und dazu brauchen wir auch ein bisschen die Unterstützung der Muslime in Deutschland und in Berlin. Sie müssen uns rechtzeitig Hinweise geben, ob Gruppen sich radikalisieren, so dass wir ein Auge darauf haben können.“

Guido Steinberg, Terrorismusforscher Stiftung Wissenschaft und Politik
„Die Sicherheitsbehörden brauchen die Kooperation von Muslimen, von Moscheegemeinden hierzulande, ansonsten sind Ereignisse wie in London überall in Europa sehr wahrscheinlich.“

Fast alle Muslime in Deutschland lieben den Frieden und wollen einfach nur in Ruhe hier leben. Doch wenn sie in ihrem Umfeld radikale Tendenzen bemerken, sollten sie reagieren. Falls sie überhaupt etwas bemerken können.

Und andererseits bekommen viele Argwohn und Feindseligkeit ihrer Nachbarn zu spüren – nur weil sie Moslems sind. Und das wäre genau das, was Terroristen erreichen möchten: Den respektvollen Umgang miteinander zu zerstören.