- Energiewende auf bayrisch: Atomkraftwerk Gundremmingen wird hochgefahren

Nach der Atomkatastrophe von Fukushima schlug sich CSU-Ministerpräsident Seehofer vehement auf die Seite der Atomkraftgegner. Zwei Jahre danach fördert seine Landesregierung die Aufrüstung des Uralt-Meilers in Gundremmingen.

RWE und EON wollen die Leistung ausbauen und und bis zur Abschaltung Kasse machen.

Die Abkehr von der Atomkraft gehört mit zu den erstaunlichsten Kehrtwenden, die die Bundesregierung vollbracht hat. Raus aus der Atomkraft, rein in die Energiewende, hiess es nach Fukushima selbst von konservativen Unionspolitikern. Doch was passiert in Wirklichkeit?! Ursel Sieber und Markus Pohl zeigen, was Bayern unter Energiewende versteht.

Atomkraftwerke sind nicht sicher - spätestens seit Fukushima ist das nicht mehr zu leugnen. Der Super-GAU in Japan führte in Deutschland zum Ausstieg aus der Kernenergie. Ein Beschluss über Parteigrenzen hinweg. Wortreich mitgetragen von einem, der sich jahrzehntelang für die Atomkraft stark gemacht hatte.

Horst Seehofer (CSU)
Ministerpräsident Bayern

„Wir müssen in Deutschland aus dieser Technologie raus!“
„Wir müssen noch schneller als bisher beabsichtigt wegkommen von der Kernkraft!“
„Sie dürfen davon ausgehen, dass Bayern da ganz vorne marschieren wird!"


Ausgerechnet in Bayern aber droht die Energiewende jetzt zur Farce zu werden. Im Kernkraftwerk Gundremmingen wollen die Betreiber die Blöcke B und C künftig schärfer fahren. Eine Leistungserhöhung kurz vor dem Atomausstieg, um im Endspurt noch mehr Strom aus den alten Meilern zu pressen. Bei vielen Bürgern mischen sich Angst und Unverständnis.

Bürger
„Es kann eigentlich nicht sein, auch wenn das Sicherheitsrisiko klein sein soll, dass irgendwie, also ein Risiko zu erhöhen, wenn es nur ums Geld geht."
„Macht mir schon Angst, freilich, weil ich einfach meine, dass es das hier nicht aushält, dieses alte Ding."


Für die Eigentümer des Kraftwerks, die beiden Energieriesen E.ON und RWE, wäre das Ausreizen der Reaktoren ein glänzendes Geschäft. Nach KONTRASTE-Recherchen könnten sie bis zum Ende der Laufzeiten mit Mehreinnahmen von rund 90 Millionen Euro rechnen. Ein Interview lehnen die Konzerne ab. Schriftlich teilt man uns mit:
„Eine Leistungserhöhung unterstützt (…) die Versorgungssicherheit."
Und:
„Sicherheit hat für den Betrieb des Kernkraftwerks Gundremmingen oberste Priorität."

Tatsächlich aber gilt Gundremmingen unter Experten als Risiko. Die beiden Blöcke sind die letzten Siedewasserreaktoren, die in Deutschland noch in Betrieb sind. Alle anderen wurden aus Sicherheitsgründen nach Fukushima vom Netz genommen. Professor Wolfgang Kromp ist international anerkannter Experte für Werkstoffe in Atomreaktoren. Auch wenn die Leistung in Gundremmingen nur um vier Prozent erhöht werden soll: Der Wiener Forscher warnt vor den Gefahren.

Professor Wolfgang Kromp
Werkstoff-Physiker

„Schlicht und einfach sind das Reaktoren der älteren Generation, die man möglichst bald loswerden muss. Das ist eine Übergangstechnologie gewesen, die natürlich zuerst weg vom Netz gehört. Und hier noch glauben Leistungserhöhung machen zu müssen, wo man dann geringere Sicherheitsmargen auf alle Fälle hat, das halte ich für nicht verantwortbar."

Im Zentrum der Leistungserhöhung steht der Reaktordruckbehälter. Die Kernspaltung in den Brennelementen erhitzt hier Wasser. Der heiße Dampf wird zur Stromerzeugung genutzt.

Geplant ist nun, die Kernspaltung in den Brennelementen zu steigern und gleichzeitig mehr Wasser in den Druckbehälter zu pumpen. Die Folge: mehr Dampf, mehr Atomstrom – und damit auch Belastungen, für die das Kernkraftwerk nicht ausgelegt wurde.

Professor Wolfgang Kromp
Werkstoff-Physiker

„Ich habe erhöhte mechanische Belastung durch das durchfließende Wasser, mehr Vibrationen, mehr Druck. Ich habe mehr Strahlung. Mehr Strahlung heißt mehr Neutronenstrahlung. Neutronen wirken Werkstoff schädigend, das kann eine erhöhte Rissanfälligkeit bedeuten, erhöhte Sprödbruchanfälligkeit, das kann letztlich von kleineren Komponenten bis zur Zerstörung des Reaktordruckbehälters führen, und das würde dann einen Schwerstunfall bedeuten."

Gefahren, vor denen das CSU-geführte Umweltministerium in München die Augen verschließt. Es ist zuständig für die Genehmigung der Leistungssteigerung. Auch hier antwortet man uns nur schriftlich:
„Die Entscheidung wird nach Recht und Gesetz getroffen, das Genehmigungsverfahren ist nicht abgeschlossen."

Was die bayerische Regierung verschweigt: Sie hat die Atomstrom-Ausweitung in Gundremmingen längst befürwortet. Wie KONTRASTE herausfand schickten die Bayern im Juni 2012 einen Genehmigungsentwurf an das Bundesumweltministerium. Gestützt auf Gutachten des TÜV Süd, die Kontraste vorliegen. Im Anschreiben mahnt das CSU-Ministerium „eine zügige Durchführung der bundesaufsichtlichen Prüfungen" an.

Denn schließlich bedeutet jeder Tag mit mehr Atomstrom für die Betreiber bares Geld. Wir zeigen die Gutachten, mit denen Bayern die Leistungserhöhung durchwinken will, Dieter Majer. Bis vor zwei Jahren war er Spitzenbeamter im Bundesumweltministerium, zuständig für die Sicherheit von Atomanlagen, auch von Gundremmingen. Das Ausreizen der Meiler zu genehmigen, hält er für fahrlässig.

Dieter Majer
Ministerialdirigent a.D. im Bundesumweltministerium

„Man tut nicht das, was im Rahmen der bestmöglichen Schadensvorsorge erforderlich ist, oder anders ausgedrückt: Man geht Risiken ein, unnötige Risiken ein, die man nicht eingehen sollte und auch nicht eingehen darf."

Die Opposition in Bayern ist empört. Sie wirft der CSU bei der Energiewende ein falsches Spiel vor.

Christian Ude (SPD)
Spitzenkandidat Bayern

„Der Ausstieg aus der Atomenergie wird schon wieder durch Einzelentscheidung konterkariert. Und zwar durch Einzelentscheidungen, die gar nicht notwendig und energiepolitisch sinnvoll sind. Das ist nur eine Geldmacherei für die beiden beteiligten Mitinhaber."

Wir hätten auch gerne Horst Seehofer gesprochen, jenen Mann, der Bayern beim Atomausstieg ganz nach vorne bringen wollte.

KONTRASTE
„Guten Tag Herr Ministerpräsident, wir sind von KONTRASTE. Wir hätten eine kurze Frage zum Kernkraftwerk Gundremmingen. Warum wollen sie denn da genehmigen, dass die Atomkraft ausgeweitet wird?"
Mitarbeiterin von Horst Seehofer (CSU)
„Das geht jetzt nicht, das geht jetzt nicht…"

Auch eine schriftliche Anfrage für ein Interview hatte Seehofer abgelehnt. Still und heimlich werden die Weichen für Gundremmingen gestellt: mehr Atomstrom, mehr nuklearer Abfall und weniger Sicherheit.

Horst Seehofer (CSU)
Ministerpräsident Bayern

„Sie dürfen davon ausgehen, dass Bayern da ganz vorne marschieren wird!"