Demonstrant in Gorleben (Quelle: rbb)

- Gorleben, eine Reportage - Proteste gegen Castor-Transport

"Tag X 1997": Castor-Transport in das Atommüllager Gorleben, eine Tagesreportage.

Ein Blick nach Gorleben.
Wir wollen jetzt nicht den Schnee von gestern kehren, uns interessiert das Denken und Fühlen von Leuten, die entweder nach Gorleben beordert wurden, um das Gewaltmonopol des Staates durchzusetzen, also die Polizisten; uns interessierte aber ebenso das Denken und Fühlen von denen, die voller Leidenschaft ins Wendland zogen, also die Kernkraftgegner. Über drei Tage hinweg waren Klaus Schloesser und Dirk Blumenthal Beobachter eines Innenlebens, das von der verkürzten aktuellen Berichterstattung überdeckt worden ist.


Montagabend vor ‘m Tag X. Irgendwo bei Hitzacker blockieren zehn junge Leute aus Bremen die Schienen.

Zur selben Zeit knapp hundert Kilometer südwestlich - in Celle nämlich - gucken andere junge Leute Tagesschau: Bremer Bereitschaftspolizisten, die den Castor-Transport beschützen sollen.

Es ist eher Langeweile, die die Bremer auf die Gleise getrieben hat. Ihre Aktion ist schnell entdeckt. Der Castor ist noch weit, die Blockade natürlich nicht zu halten. So richtig ernst kann ohnehin niemand die Aktion nehmen - die Demonstranten nicht und der Bundesgrenzschutz auch nicht.

"Also passen Sie auf: Ich fordere Sie hiermit auf, die Gleise zu verlassen. Wenn Sie das nicht tun, werden wir Sie von den Gleisen entfernen. Wenn Sie nicht freiwillig gehen, auch zwangsweise. Sie müssen sich nur ‘n Augenblick gedulden. Dann kommt Verstärkung, und dann klappt das schon."

Es dauert keine zehn Minuten, dann ist die Parität der Einsatzkräfte auf beiden Seiten hergestellt.

"Hiermit löse ich Ihre Versammlung, die Sie trotz Verbots durchgeführt haben, auf und fordere Sie auf, die Gleise in diese Richtung zu verlassen."
"Wie kommt das, daß wir hier an die Gleise kommen, wo das doch alles so gut geschützt ist, die Strecke und ... ?" "Können Sie uns ja verraten!"
"Einfach gehen und sich draufsetzen. Geht ganz einfach."

Genauso einfach, wie sie gekommen sind, werden die Demonstranten wieder weggetragen. Macht nichts! Ihr großer Tag mit der großen, ein Jahr lang vorbereiteten Idee kommt ja noch.

Die Bremer Polizisten haben inzwischen weit Unfriedlicheres gesehen auf dem Bildschirm: Steineschmeißer und brennende Barrikaden. Und sie erfahren: der Castor-Zug hängt fest, weit vor Dannenberg. Eigentlich sollen die Bremer erst Dienstagmittag aufbrechen aus ihrem Zwischenquartier in Celle nach Gorleben. Aber jetzt rechnen manche mit einer vorzeitigen Abreise.

"Wenn ‘s jetzt auf einmal losgeht da, und die sagen: ‘Leute wir brauchen Euch hier’, denn fahren wir gleich los, denn können wir noch einmal auf Toilette, und denn war ‘s das. Und denn bis open end. ... Nee, ist nicht schön, ist überhaupt nicht schön."
"Kriegt man nicht ‘n heiligen Schrecken, wenn man diese Fernsehbilder sieht?"
"Natürlich kriegt man das. Das ist nicht von der Hand zu weisen. Und ... na ja, ich sag mal: man sieht das dann schon manchmal mit so ‘n bißchen bitterem Humor. Also, man könnt’ sagen: Soviel Spaß für so wenig Geld, wo gibt ‘s das sonst!"

Es stellte sich raus, daß die Lage im Quasi-Castor-Kriegsgebiet denn doch nicht so ernst war, daß die Bremer noch nachts hätten eingreifen müssen. Ganz planmäßig fährt der Konvoi aus Wasserwerfern, Mannschafts- und Panzerwagen am Dienstag Richtung Wendland. Manche der 150 Polizisten und Polizistinnen sind schon zum drittenmal verdonnert worden, Atommüll-Transporte nach Gorleben zu beschützen. Und alle 150 rechnen mit dem Schlimmsten und hoffen doch, heil wieder nach Hause zu kommen.

Von ihnen haben die Beamten jedenfalls nichts zu befürchten - außer Arbeit und einer Rätselaufgabe. Monatelang haben sie diskutiert, gebastelt und getüftelt. Die Idee: eine lebende Castor-Blockade, fest verankert auf der Straße, haltbar und fast wehrlos. Einziger in Kauf genommener Sachschaden: zwei kleine Bohrlöcher im Asphalt für diese beiden Dübel. An ihnen sitzt fest verschweißt ein Handgriff, an den die Bremer sich selbst anketten wollen. Ein dickes Stahlrohr soll den Arm und das Geheimnis der Konstruktion schützen. X Entwürfe. Zig Proben. Jetzt sitzt jeder Handgriff.

"Dann leg’ ich das ganze Teil um, und Heidi kommt mit dem Rohr ... stülpt das da drüber ..."
"Das sitzt jetzt nicht so gut, weil das wackelt ... So! ... Und geht dann in ‘s Rohr mit dem Arm."
"Ich halt’ das für ‘ne sehr pfiffige Aktion, und ich denke, diese Aktion kann sehr effektiv. Aber wenn dieser erste Moment überwunden ist, wo es kritisch ist"
"Von daher ist das für mich eigentlich ausgeschlossen, daß es ‘n Mißerfolg gibt, es sei denn, wir kommen da überhaupt nicht hin."
"Wenn man mal muß, was ist dann?"
"Wenn man mal muß, darüber haben wir uns auch Gedanken gemacht, und wir werden Windeln tragen."

Am Dienstagabend hat die Bremer Polizei-Hundertschaft ihren Einsatzort erreicht: Quickborn, ein Dörfchen sieben Kilometer von Dannenberg entfernt Richtung Gorleben. Die Aufgabe: keine sogenannten "Störer" an die Straße lassen, schon gar keine zum Beispiel mit Spitzhacken bewaffneten. Am Sinn solcher Befehle und am Sinn von Atommüll-Transporten überhaupt zweifeln viele der jungen Beamten heftig.

"Wir sind ja letztendlich die Doofen. Also, die meisten Bürger sehen das vielleicht so, als wenn wir an allem schuld wären oder sowas."
"Ich fühl mich da ... ich will nicht sagen ‘benutzt’, aber halt ... ich setze hier Sachen durch, wie es in unserem Beruf häufig ist, die ich persönlich nicht billigen kann eigentlich."

Auch die Bremer Demonstranten haben solche polizeilichen Selbstzweifel schon gehört. Allein: Es fehlt der Glaube.

"Also ich denke, es gibt Möglichkeiten auch für Polizeibeamte oder Polizeibeamtinnen. Sie könnten sich krank schreiben lassen, sie könnten sich zurückhalten in der Aktion, sie könnten also statt dann ... weiß ich nicht ... Leute im Würgegriff von der Straße zu ziehen, draufzuknüppeln könnten sie halt ruhiger am Straßenrand stehen."
"Die stehen hier stellvertretend für den politischen Gegner, so nehm ich sie auch wahr."

Der Mittwochmorgen graut in Quickborn. Die Nacht war ruhig. Ein paar Grüppchen - aber wirklich nur Grüppchen - von Castor-Gegnern haben zwar versucht, an die Straße zu kommen, sind aber schnell und ohne viel Aufhebens vertrieben worden. Geschlafen hat kaum einer in den grünen Autos. Die Wagen sind einfach viel zu eng als Nachtquartier für jeweils sieben Menschen.

Gegen Halbacht macht ein weiteres Grüppchen von Castor-Gegnern provokativ gemeinte Frühgymnastik am Ortsrand von Quickborn - eher nachsichtig beobachtet von den Bremer Ordnungskräften. Trotz und alledem: die Polizeisanitäter hatten was zu tun in der Nacht.

"Wir würden doch gerne mal kurz hören, wieviel Leute ihr schon verarztet habt."
"Zehn, fünfzehn. Halsschmerzen, Kopfschmerzen, Sodbrennen, Verstauchung ..."
"Verstauchung?"
"Ja, so beim Aussteigen aus dem Bulli kann das mal passieren."

Der Vormittag vergeht recht geruhsam. Man sonnt sich ein bißchen und versucht, wenigstens ein paar Minuten zu schlafen. Der Castor-Transport ist entgegen aller Planung noch immer nicht losgefahren.

Ein Jahr gegrübelt, ein paar Minuten Fußmarsch, eine blitzschnelle Erkenntnis: Die Aktion der Bremer ist beendet, bevor sie überhaupt begonnen hat. Hunderte von Polizisten schützen ahnungslos auch ein Paar Dübellöcher auf der Castorstrecke. Es sind nur noch zwanzig Meter, und doch liegen Welten zwischen ihnen und ihren Urhebern.

"Ich hab’ immer die Parole ‘Niemals aufgeben!’. Aber ich glaube, so langsam ist das einfach zu optimistisch."
"Also Schluß der Aktion einfach!"
"Klar bin ich enttäuscht. Seit einem Jahr denk’ ich da dran. Klar, aber was soll man machen."

Es ist kurz nach Halbeins, als die Tieflader mit den Castor-Behältern Quickborn passieren. Die "Störer" haben nicht mal versucht, in den "Einsatzraum" der Bremer Polizei vorzudringen. Fünf Minuten dauert ‘s, dann ist der strahlende Konvoi durch, und der Einsatz der Bremer ist beendet. Mehr als dreißig Stunden sind sie auf den Beinen. Jetzt dürfen sie ihre Rüstungen ablegen. Und sie sind froh, daß keiner verletzt worden ist.
Nur wenige Minuten später und ein paar hundert Meter weiter gibt es Verletzte, verletzte Demonstranten und verletzte Polizisten. Aber die sind aus Braunschweig ins Wendland beordert worden.

Noch ein paar Kilometer weiter und noch eine halbe Stunde später hat die Polizei die Lage fest im Griff. Der Castor passiert unbehelligt zwei kleine Löcher in der Straße. Und unter vielen Demonstranten auch dreißig enttäuschte Bremer.

Um Viertel nach Eins rückt die Bremer Bereitschaftspolizei ab. Alles hat prima geklappt. Na ja, fast alles.

Tag X.
Ein paar Bremer Demonstranten verlassen das Wendland. Ein Jahr Arbeit und keiner hatŽs gemerkt. Beim nächsten Mal wollen sie wiederkommen. Mit einer guten Idee.

13.30 Uhr. Ein paar Bremer Demonstranten verlassen das Wendland. Ein Jahr


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