Protestplakat gegen Peter Hartz (Quelle: rbb)

- Der Untreue-Paragraph

Peter Hartz kommt mit einer Bewährungsstrafe davon. Ein Deal zwischen der Justiz und dem Manager. Das Problem: der Untreueparagraph 266. Mit diesem „Gummiparagraphen“ lässt sich Untreue nur schwer fassen. Zeit für eine Reform, sagen Strafrechtler.

Cindy, Larissa und Damona konnten zuhause bleiben. Das sind einige der Frauen aus dem Rotlicht-Milieu, die in den VW-Schmiergeld-Skandal verwickelt sind. Sie mussten nicht vor dem Braunschweiger Landgericht aussagen. Dort wurde Peter Hartz heute zu zwei Jahren Haft auf Bewährung und einer Geldstrafe von über 500.000 Euro verurteilt. Hartz war heilfroh, denn er wollte keine schmuddeligen Details in der Öffentlichkeit mehr. Und wie schon im Mannesmann-Prozess bleibt der Eindruck: Haben mächtige Männer vor Gericht Sonderrechte? Doch so einfach ist das nicht. Das Problem ist ein uraltes Gesetz, das dringend reformiert werden müsste. Michael Beyer berichtet.

Ein Mann bahnt sich seinen Weg. Peter Hartz heute morgen vor dem Landgericht Braunschweig. Der Angeklagte, der Schröders Reformen seinen Namen gab, kennt zu diesem Zeitpunkt das Urteil schon: Bewährung und Geldstrafe. Vor dem Gericht Empörung bei den Zuschauern.

Frau
„Er sollte sechs Jahre Hartz IV bekommen.“
Mann
„Es ist auch ein Skandal eigentlich, dass dieser Mann bereits einen Deal dafür ausgehandelt hat.“
Frau
„Das finde ich schlimm. Ganz schlimm finde ich das.“

Das Urteil: Wie erwartet zwei Jahre Bewährung plus Geldstrafe wegen Untreue und Begünstigung. Als Personalvorstand hat Peter Hartz Schmiergeldzahlungen und Lustreisen an VW-Betriebsräte gedeckt und damit dem Konzern geschadet. Für Staatsanwälte und Richter ein klarer Fall.

Der Hartz-Prozess ist eine reine Showveranstaltung fürs Volk, sagt Strafrechtler Professor Albrecht. Für ihn ist die Untreue bei Hartz gar nicht nachweisbar, denn der geforderte Schaden sei gar nicht entstanden.

Professor Alexis Albrecht, Strafrechtsexperte
„Wenn man es zynisch nimmt und das ist die Realität, dann hat VW nur einen Vorteil, denn die Betriebsräte sind geschmiert worden damit VW besser läut auf aller Welt. Er muss konkurrenzfähig sein in einer globalisierten Welt. Und VW wollte, dass man konkurrenzfähig bleibt. Wo soll der Schaden liegen? Nur weil Betriebsräte das ewige Spiel des Vergnügens mitmachen, liegt für VW darin eher ein Vorteil. Also der Schaden ist im Grunde nicht gegeben.“

Doch ein Schaden muss bei Untreue nachgewiesen sein. Im Prozess gegen Hartz wurde diese Frage klein gehalten. Die Richter gaben sich mit einem einfachen Geständnis zufrieden. Hartz kam im Schnellverfahren zu seinem Urteil. Ein scheinbar gerechter Prozess.

Untreue nach Paragraf 266 gilt fast überall dort, wo dubiose Geldgeschäfte ausgeübt und von Mitwissern geduldet werden.

So greift der Untreue-Paragraf, wenn ein Vorstand seine Aufsichtspflicht über Firmenvermögen gravierend verletzt, es vorsätzlich tut und daraus der Firma ein Vermögensnachteil, also ein Schaden entsteht.

Professor Alexis Albrecht, Strafrechtsexperte
„Der klassische Fall wäre, dass ein Testamentvollstrecker Geld unterschlägt und den Erben das nicht rausrückt. Das wollte er kriminalisieren und das ist Unrecht. Heute soll er sämtliche Risiken der Wirtschaft und der Politik kriminalisieren. Denken Sie an Herrn Kohl, denken sie an Herrn Kanther, denken sie an Mannesmann und nun an Hartz. Das sind Aufgaben, die das Strafrecht und die alte Tante 266 nicht bewältigen kann.“

Der CDU-Spendenskandal beweist, dass gerade der Schadensnachweis problematisch ist. Gegen Helmut Kohl wird 2001 wegen Untreue ermittelt. Er wird schwer belastet, doch die Namen der Spender nennt er nicht. Kohl wird freigesprochen, das Verfahren eingestellt. Im Einstellungsbescheid verweisen die Staatsanwälte auf die unklare Rechtslage. Den materiellen Schaden erklären sie schwammig als wieder gut gemacht.

Der Frankfurter Oberstaatsanwalt Wolfgang Schaupensteiner kritisiert schon lange: Der Untreue-Paragraf ist unpräzise. Schon längst hätte der Gesetzgeber ihn überarbeiten und konkretisieren müssen.

Wolfgang Schaupensteiner, Oberstaatsanwalt
„Schauen sie, wir haben Fälle gehabt, dass die Akteure Schmiergelder bezahlt haben, nachdem sie schwarze Kassen gebildet haben, und konnten sich damit retten, weil sie nachweisen konnten, dass durch diese Schmiergeldzahlungen fette Aufträge an die Firma gegangen sind. Und davon hat das Unternehmen natürlich Vorteile gehabt. Also das heißt, die Pflichtwidrigkeit, der Verstoß gegen das Strafgesetz war im Interesse des Unternehmens, es gab keinen Vermögensnachteil. Ergo auch keine Verurteilung. Und das darf nicht sein.“

Seit 135 Jahren gibt es den Straftatbestand der Untreue. Zur Kaiserzeit gilt er nur für Vormünder, Versteigerer und Kuratoren.

In der Nazizeit aber wird der Paragraf aufgeweicht. Vage Begriffe wie „Missbrauch von Befugnissen“ oder „die Verletzung von Treueverhältnissen“ werden eingefügt
– der Paragraf wird zur bewusst schwammigen Allzweckwaffe der Nazijustiz.

Mit den Folgen der damaligen Änderung kämpfen Ermittler noch heute. Denn unscharf ist der Paragraf geblieben - mit Begriffen, die selbst Staatsanwälte nur schwer deuten können.

Vera Junker, Vereinigung Berliner Staatsanwälte
„Was ist eine gravierende Pflichtverletzung? Darunter kann man sich ganz viel vorstellen. Da ist natürlich auch sehr viel Ermessensspielraum drin schon bei dem Sachbearbeiter. Was ist denn nun gravierend? Der eine sieht etwas gravierend an, der andere eben nicht so. Das sind so Begriffe, die wir im Strafrecht nicht so richtig gut gebrauchen können.“

Rätselraten beim Strafrecht. Vera Junker, als Staatsanwältin führt sie große Untreueverfahren wie zum Berliner Bankenskandal gegen den CDU-Mann Klaus Landowsky. Vor Gericht erlebt sie, wie die Schwächen und Lücken des Paragrafen 266 offen zu Tage treten.

Vera Junker, Vereinigung Berliner Staatsanwälte
„Das hat zur Folge, dass sich spätestens vor Gericht Rechtsdiskussionen entwickeln, Rechtsgespräche zwischen Verteidigung, Staatsanwaltschaft und Gericht. Und diese Rechtsgespräche, das sind verschiedene Meinungen, die aufeinander prallen. Jeder vertritt eine andere Rechtsmeinung, und jeder versucht natürlich auch dann seine Meinung tatsächlich mit Tatsachen zu unterlegen, also sprich Zeugen beizubringen, Gutachten einzuführen und die Verfahren dauern dadurch natürlich erheblich länger.“

Und diese Verfahren kosten. Weil der Untreue-Paragraf häufig in die Sackgasse führt, einigen sich Kläger und Beklagte oft einvernehmlich auf den Abbruch des Verfahrens. Die Lösung: Der Angeklagte kauft sich einfach frei.

Professor Alexis Albrecht, Strafrechtler
„Das Problem liegt darin, dass der Paragraf 266 niemandem gerecht wird. Und da dass alle Beteiligten wissen, einigt man sich schnell zu einem unkonventionellen Ende, nämlich zu einem Deal. Das ist das Problem an der Sache. Mit dieser Folge hingegen tut man der Gerechtigkeit einen Tort an. Kein Mensch versteht mehr, warum überhaupt prozessiert wurde. Der Betroffene kommt gut bei weg, weil er nicht in Knast muss und Geld sowieso zur Verfügung hat, und die Justiz steht nicht wie gelackmeiert da, die mit großem Brimborium einen Prozess aufgezogen hat und hinterher den Schwanz einziehen muss.“

Ausdealen und einstellen. Aktuelle Beispiele.

Fußballmanager Rainer Calmund. Er stand im Verdacht unrechtmäßig Gelder für Spielereinkäufe beiseite geschafft zu haben. Einstellung seines Verfahrens für 30.000 Euro.

Bankchef Josef Ackermann. Wegen schwerer Untreue war er im Mannesmann-Prozess angeklagt. Sein Verfahren: eingestellt für 3,2 Millionen Euro.

Ex-Mannesmannchef Klaus Esser kaufte sich sein Prozessende für 1,5 Millionen Euro.

Der Deal im Fall Peter Hartz sah anders aus. Hartz legte ein Geständnis ab. Dafür wurde vor Gericht auf die Auswertung pikanter Details verzichtet und Hartz im Schnellverfahren verurteilt. Die Folge: Keiner weiß genau, wie untreu Peter Hartz wirklich war.

Professor Alexis Albrecht, Strafrechtsexperte
„Bei Hartz bleibt der ganz schlechte Geschmack übrig, dass die Justiz erkannt hat, dass mit dem Paragrafen das Problem überhaupt nicht zu bewältigen ist. Es bleibt als ganz schlechter Geschmack, dass VW einen Menschen opfert, der im Grunde keinen Straftatbestand begangen hat. Und es bleibt übrig, dass die Öffentlichkeit so gut wie ahnungslos diesem Spektakel zuguckt und überhaupt nicht weiß, wo es rum geht.“