- G-36-Affäre – Deutsche Sturmgewehre für Gaddafi

Immer noch kann sich Gaddafi verstecken und seine Anhänger in Libyen zum Durchhalten aufrufen, auch heute wieder. Inzwischen ist klar: die Truppen des Diktators sind bestens bewaffnet. In seiner Residenz in Tripolis haben Rebellen Sturmgewehre gefunden, und zwar: Sturmgewehre aus deutscher Produktion, wie unsere Autoren Susanne Katharina Opalka, Sascha Adamek und Kurt Pelda herausfanden. Sie haben sich auf die Spur der Waffen begeben, die von Tripolis ins schwäbische Oberndorf führt.

So stolz kann eine Waffe machen. Ein Kämpfer der Rebellenarmee posiert vor unserer Kamera in Tripolis. Er kann sein Glück kaum fassen. Ein gerade erbeutetes, fabrikneues Gewehr hat es ihm angetan. Ein deutsches Gewehr.

Bilder von der Erstürmung der Stadtresidenz des Gaddafi-Clans in Tripolis vor wenigen Tagen. Die Rebellen erbeuten Waffen, darunter Sturmgewehre des Typs G 36 der deutschen Firma Heckler und Koch.

750 Schuss pro Minute und auf lange Distanzen eine tödliche Präzisionswaffe. Auch im libyschen Bürgerkrieg ist sie offenbar im Einsatz. Journalisten vor Ort berichten von Hunderten G 36 in den Händen der Rebellen. Bei den Gewehren fanden sich auch die originalen Heckler und Koch- Munitionsverpackungen, berichtet unser Kollege vor Ort.

Kurt Pelda, freier Journalist
„Das sind ganz neue Gewehre. Sie sehen aus, wie wenn sie direkt aus der Originalverpackung kommen. Die Rebellen sagen, sie hätten sie im Hauptquartier von Gaddafi in Bab-Al-Asisija gefunden.“

Die Gewehre stammen aus Beständen des gestürzten Diktators Muhamar Gaddafi, wie diese Fotos aus dem Inneren des Palastes belegen. Brisant ist der Fund, weil sie niemals legal nach Libyen hätten gelangen dürfen. Aber woher stammen sie“

G 36 Gewehre werden in Deutschland, Spanien und seit zwei Jahren auch in Saudi Arabien produziert.

In der sogenannten Endverbleibserklärung muss jeder Käufer versichern, dass er die Waffen nicht ohne Genehmigung der Bundesregierung weitergibt. Doch das wird offenbar kaum kontrolliert.

Wir wollen wissen, wo die Gewehre produziert wurden und sehen uns die aus Libyen geschickten Bilder genau an. Es handelt sich um die Kurzversion des G 36, eine Exportversion. Bei diesem Gewehr findet sich unter dem Heckler und Koch-Firmenlogo eine schlecht zu erkennende Prägung, das sogenannte Beschußzeichen. Es belegt, dass das Gewehr ordnungsgemäß geprüft wurde.

Im kleinen Lexikon der Beschußzeichen werden wir fündig. Es handelt sich um einen Bundesadler und bedeutet „Normaler Beschuß". Daneben finden sich die Buchstaben AD. Dahinter verbirgt sich die Verschlüsselung für das Jahr des Beschusses: 2003. Was auf den ersten Blick wie eine Kratzspur erscheint, entpuppt sich als Hirschgeweih. Es ist das Ortszeichen des Beschußamtes Ulm.

Damit ist belegt: das Gewehr stammt aus der deutschen Fabrikation von Heckler und Koch in Oberndorf. Wir lassen unsere Recherchen von dem Waffenexperten Jürgen Grässlin begutachten. Seiner Ansicht nach wurde diese laufende Waffennummer nachträglich manipuliert.

Jürgen Grässlin, Rüstungsexperte
„Das Sensationelle: Herausgefräst wurde die Nummer, die Waffennummer des Gewehres aus Oberndorf. Das heißt, wir haben einen Hinweis darauf dass diese Waffe illegal exportiert werden könnte, wahrscheinlich auch ist. Diese Waffe zu liefern an einen Diktator, ist Beihilfe zum Massenmord.“

Die Firmenzentrale von Heckler und Koch im baden-württembergischen Oberndorf. Das Unternehmen wiegelt zunächst ab und nennt die Fakten in einer Pressemitteilung „Spekulation". Zu den Vorgängen schreibt das Unternehmen konkret, Zitat:
„Es gab zu keinem Zeitpunkt Lieferungen des Gewehr G36 oder anderer Produkte durch die Heckler & Koch GmbH oder ihr verbundene Unternehmen oder Organisationen nach Libyen.“

Heckler und Koch hat nun selbst Strafanzeige gegen Unbekannt gestellt, um die illegale Lieferung aufzuklären. Dabei hätte es bereits im März dazu Anlass gegeben. Mitten im Bürgerkrieg posierte der Sohn des Diktators, Saif Gaddafi mit einem G 36- Gewehr. Er ruft seinen Kämpfern zu:
„Braucht Ihr Waffen? Ihr werdet jede Unterstützung, alle Möglichkeiten und alle Waffen bekommen!"

Dieser Auftritt alarmierte schon im März den Bundestagsabgeordneten Jan van Aken. Über unsere aktuellen Belege eines Heckler-und-Koch-Gewehres in Libyen ist er entsetzt. Denn er hatte schon damals nachgefragt, wie ein G 36 nach Libyen gelangen konnte.

Jan Van Aken (Die Linke), MdB
„Ich finde es unglaublich. Ich war in Oberndorf bei Heckler und Koch, ich hab die Bundesregierung gefragt, alle haben immer wieder versicht, es wurden keine Sturmgewehre und keine Maschinenpistolen nach Libyen geliefert. Es gibt jetzt ja nur drei Möglichkeiten, entweder Heckler und Koch hat illegal ohne Genehmigung geliefert oder sie haben an jemand Drittes geliefert, der das weiter nach Libyen gebracht hat oder die Bundesregierung lügt. Da muss jetzt erstens der Staatsanwalt ran, muss Heckler und Koch auf dem Zahn fühlen. Und zweitens will ich von der Bundesregierung jetzt genau wissen, was wann von wem genehmigt worden ist.“

Das für Rüstungsexporte zuständige Bundeswirtschaftsministerium antwortet KONTRASTE schriftlich, man habe niemals solche Exporte genehmigt und überdies keine gesicherten Erkenntnisse. Wie die Gewehre nach Libyen gelangten, will die Bundesregierung nun mit einer künftigen libyschen Regierung klären. Im ARD-Morgenmagazin reagiert Bundesverteidigungsminister de Maiziere auf die KONTRASTE-Recherche.

ARD-Morgenmagazin
„Hat Deutschland sich irgend etwas vorzuwerfen mit Waffenlieferungen an Libyen, deutsche Sturmgewehre?“
Thomas de Maizière (CDU), Bundesverteidigungsminister
„Nach allem, was ich weiß: Nein.“

Ortswechsel. Saudi Arabien. Nach KONTRASTE-Recherchen werden dort bereits seit zwei Jahren von der saudischen Firma MIC G-36-Gewehre in Lizenz produziert. Die Bundesregierung hat den Deal genehmigt, aber nur unter der Bedingung, dass die Waffen auch in Saudi Arabien bleiben. Aber hält sich das Land daran?

Im Frühjahr präsentierte sich eine Tochter der saudische Rüstungsfirma MIC sich auf der IDEX, einer Waffenmesse im Nachbarland Vereinigte Arabische Emirate. Fotos im Messejournal zeigen: zwei G-36-Gewehre.

Wir fragen den Waffen- und Nahost-Experten David Schiller, warum die saudische Firma G-36-Gewehre auf einer Messe im benachbarten Ausland präsentiert.

David Schiller, Waffenexperte
„Man will natürlich die Waffe auch verkaufen, denn es nützt nichts, dass man Waffen nur herstellt und dort an die Wand hängt, man erhofft sich, dass irgendeiner der Nachbarstaaten darauf eingeht und man wird dafür auch ganz besonders gute Konditionen bekommen.“

Hat Saudi Arabien also gegen die Endverbleibserklärung verstoßen? Die Bundesregierung hat in dieser Woche auf eine parlamentarische Anfrage der Linken eingeräumt, dass Saudi Arabien keinen Antrag auf Genehmigung gestellt hat, zulässig sei also nur eine „Präsentation von Rüstungsgütern … auf einer inländischen Messe" - sprich in Saudi Arabien selbst. Eine Antwort mit Brisanz. Denn bislang hatte man Genehmigungen wie für die G 36 Gewehrfabrik mit der Zuverlässigkeit Saudi Arabiens begründet. An dieser Zuverlässigkeit bestehen nun ernste Zweifel.

Jan Van Aken (Die Linke), MdB
„Das sind Beweise für Unzuverlässigkeit. Für mich heißt das, die Bundesregierung muss sofort alle Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien stoppen. Das betrifft die G-36-Fabrik, das betrifft auch die Leopard-2-Panzer. Das betrifft alle anderen Waffen. Die dürfen ab sofort nicht mehr nach Saudi-Arabien geliefert werden.“
Die Bundesregierung muss den G-36-Lieferungen nachgehen. Keiner weiß, ob nicht noch viel mehr Waffen in Kriegsgebieten landeten.

Übrigens, nur zur Erinnerung, Deutschland ist der drittgrößte Waffenexporteur der Welt.