Waffen
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- Gewehre für Diktatoren - Lasches Kriegswaffenrecht ermöglicht illegalen Handel

Die Herkunft der vor einem Jahr in Libyen aufgetauchten deutschen G36-Sturmgewehre ist wohl nie mehr aufzuklären, da die Seriennummern gefälscht wurden. Lasche deutsche Gesetze machen illegale Waffenexporte möglich.

Sie sind klein, einfach zu beschaffen – und sie töten präzise: Gewehre, Pistolen, Panzerfäuste, sogenannte Kleinwaffen. Ein verharmlosender Begriff, denn sie sind die eigentlichen Massenvernichtungswaffen der Gegenwart, doch ihre Verbreitung wird viel zu wenig kontrolliert, auch von deutscher Seite aus. Bis zu 90 Prozent aller Kriegsopfer sterben aktuell durch Kleinwaffen, die überwiegende Mehrheit von ihnen Frauen und Kinder. Immer wieder tauchen Gewehre illegal in Krisengebieten auf. Geschätzt über 875 Millionen Kleinwaffen sind derzeit im Umlauf mit einer durchschnittlichen Verwendungsdauer von 30 bis 50 Jahren. In New York verhandeln die UN immerhin zurzeit endlich über einen ersten internationalen Kontrollvertrag zum Waffenhandel. Vor allem Deutschland macht sich dafür stark. Aber wie wär’s, wenn wir erstmal unsere eigenen Waffenkontroll-Standards überprüfen?! Rene Althammer, Detlef Schwarzer und Susanne Katharina Opalka mit Hintergründen.

Erinnern Sie sich, KONTRASTE zeigte einen jungen libyschen Kämpfer mit einem deutschen G36-Sturmgewehr, ziemlich genau vor einem Jahr. Rebellen stürmen Gaddafis Machtzentrale, erbeuten Dutzende fabrikneuer G36. Die öffentliche Empörung ist groß. Wie kommen deutsche Waffen in einen Schurkenstaat? Das G36, auf der ganzen Welt beliebt, eins der effektivsten und tödlichsten Sturmgewehre. Nun sind die Gewehre in Libyen. Kriminelle Machenschaften oder hat die Politik versagt?

Werner Sonne
ARD-Korrespondent
01.09.2011

„Hat Deutschland sich irgendetwas vorzuwerfen mit Waffenlieferungen an Libyen – deutsche Sturmgewehre?“
Thomas de Maizière, CDU
Bundesverteidigungsminister
01.09.2011

„Nein, nach allem, was ich weiß: Nein!“

Der Hersteller Heckler und Koch in Oberndorf – unter Druck – behauptet, die Gewehre stammen wohl aus einer legalen Lieferung nach Ägypten. KONTRASTE-Recherchen ergeben, sie könnten auch von Gaddafi-Sohn Saadi illegal bei Heckler und Koch gekauft worden sein.

Heute steht fest, wie die Waffen nach Libyen gelangt sind und durch wen, wird sich wohl nie mehr aufklären lassen. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart hat wegen illegalen Waffenexports ermittelt und muss nun gegenüber KONTRASTE zugeben: sie ist wohl gescheitert.

Claudia Krauth
Staatsanwaltschaft Stuttgart

„Uns ist eine Waffe zur Verfügung gestellt worden, die wir haben untersuchen lassen. Wir konnten mit der Untersuchung aber leider nicht feststellen, woher die Waffe kommt.“

Schuld daran sind die laschen deutschen Gesetze, die dem illegalen Waffenhandel Tür und Tor öffnen.

KONTRASTE hatte im Sommer 2011 selbst in Libyen zwei G36-Sturmgewehre untersucht. Es fanden sich Kennzeichen, die belegen, die Waffe wurde von deutschen Behörden 2003 geprüft und war von Heckler und Koch produziert worden.

Jedoch: die Seriennummer, die zur Identifikation der Waffe zwingend notwendig ist, war herausgefräst und durch eine fiktive Nummer ersetzt worden. So wie bei der, die die Staatsanwaltschaft Stuttgart untersuchen ließ.

Claudia Krauth
Staatsanwaltschaft Stuttgart

„Die Untersuchungen haben ergeben, dass die Seriennummer herausgefräst wurde und somit nicht nachvollzogen werden konnte, woher die Waffe kommt.“

Wegen der gefälschten Seriennummern lässt wohl nie mehr nachvollziehen, wie die Gewehre in die Hände Gaddafis gelangt sind.

Im Klartext: Deutsche Waffen können überall in der Welt auftauchen – in Libyen, im Libanon oder in Georgien. Nur mit der Originalnummer ließe sich ihr Weg dorthin zurückverfolgen. Dem illegalen Waffenhandel wäre dann ein Ende bereitet. Doch daran habe niemand ein Interesse, meint die Linke im Bundestag.

Jan van Aken, Die Linke
Bundestagsabgeordneter

„Wenn diese Nummer aber nicht mehr da ist, kann keiner mehr nachvollziehen, wie das Ganze eigentlich geschmuggelt worden ist. Und für mich ist es überhaupt kein Zufall, dass das so schlecht gekennzeichnet ist – das sieht für mich ganz deutlich nach System aus. Dass dort systematisch vermieden wird, dass so ein illegaler Waffenhandel aufgedeckt werden kann.“

Bis heute sind die Seriennummern einfach zu fälschen. Dabei hatte schon die rot-grüne Bundesregierung eine UN-Vereinbarung mit ausgehandelt. Sie wurde Ende 2005 von Deutschland für verbindlich erklärt. Diese Vereinbarung fordert eine strenge Kennzeichnungspflicht für Waffen, um illegalen Waffenhandel so schwer wie möglich zu machen.

Wichtigste Vorschrift, Zitat:
„Die Staaten werden sicherstellen, dass alle … vorgeschriebenen Kennzeichen leicht erkennbar, lesbar, dauerhaft und wiederherstellbar sind.“

Auch soll eine eindeutige Kennzeichnung – eine Seriennummer – an einem wesentlichen Teil aufgebracht sein, zum Beispiel am Griffstück, dessen Vernichtung die Waffe unbrauchbar machen würde.

Außerdem wird nahegelegt, diese Kennzeichnungen auch auf anderen Teilen
der Waffe wie dem Lauf oder dem Verschluss anzubringen, damit sie genau identifizierbar sind.

Allerdings: Umgesetzt hat die Bundesregierung die strenge Kennzeichnungspflicht der UN-Vereinbarung nur im deutschen Waffengesetz. Doch das Waffengesetz gilt lediglich für Jagd- und Sportwaffen in Privatbesitz.

Für Kriegswaffen, wie das G36, gilt das nicht, hier gilt das Gesetz über die Kontrolle von Kriegswaffen.

Das Gesetz stellt viel geringere Anforderungen an die Kennzeichnung. Es muss nur eine einzige Seriennummer aufgebracht sein. Kontraste hat ein G36 der Bundeswehr zerlegen lassen. Es befindet sich tatsächlich eine Seriennummer auf dem Rahmen. Auf dem Verschluss und auf dem Lauf gibt es keine weiteren Nummern.

Die Erklärung: die Bundesregierung hat die UN-Vereinbarung bis heute nicht im Kriegswaffenkontrollgesetz umgesetzt.

Jan von Aken, Die Linke
Bundestagsabgeordneter

„Niemand konnte sich vorstellen, dass die Bundesregierung so dreist ist, die Jagdwaffen so intensiv zu kennzeichnen nach Waffengesetz und die Kriegswaffen überhaupt nicht – da ist keiner drauf gekommen! Ich finde es echt einen Skandal, was da jetzt rausgekommen ist.“

Wir fragen nach im zuständigen Bundeswirtschaftsministerium. Ein Interview vor der Kamera wird abgelehnt, in der schriftlichen Antwort heißt es lapidar, Zitat:
„Eine detaillierte Vorschrift über die Art der Kennzeichnung ist…wegen der Verschiedenheit der betroffenen Kriegswaffen aus Sicht der Bundesregierung kaum praktikabel.“

Was bei Sport- und Jagdwaffen ohne weiteres geht, soll bei Kriegswaffen unmöglich sein? Wer soll das glauben?

Und es kommt noch schlimmer: Es gibt keinerlei Anforderungen im Kriegswaffenkontrollgesetz, wie die Seriennummern bei Kriegswaffen aufgebracht werden müssen, also wie fälschungssicher sie sein sollen. Ob sie aufgemalt, aufgeklebt, eingeprägt oder wie hier gelasert sein muss, regelt das Gesetz nicht.
Es heißt dort lediglich, Zitat:
„Kriegswaffen ..sollen …eine fortlaufende Herstellungsnummer tragen.“

Das gebräuchlichste Verfahren zur Kennzeichnung von Waffen ist die Lasermarkierung. Sie gilt als schnell und billig. Auch die G 36 Gewehre, die KONTRASTE in Libyen fand, wurden mit Laser gekennzeichnet. Mit dem bekannten Ergebnis. Die Seriennummer konnte leicht herausgefräst und ersetzt werden, die alte ist nicht wieder herstellbar.

Selbst deutsche Ermittlungs-Behörden wie das Zollkriminalamt, das für den illegalen Waffenhandel zuständig ist, halten dieses Verfahren für absolut untauglich.

Wolfgang Schmitz
Zollkriminalamt

„Bei unkenntlich gemachten gelaserten Seriennummern ist es für uns, wenn es gut gemacht ist, unmöglich die Seriennummer zu rekonstruieren.“

Bei den früher üblichen Präge- oder Stanzverfahren wurden auch tiefere Schichten verformt. So konnten die Seriennummern, wenn sie herausgefräst wurden, durch Röntgenverfahren wiederhergestellt werden – genau das, was die verbindliche UN-Vereinbarung fordert.

Nicht ohne Grund ist bei PKW das Einschlagen der Fahrzeug-Identifikationsnummer nach wie vor vorgeschrieben. Zusätzlich wird die Seriennummer noch an anderen Fahrzeugteilen aufgebracht. Auch für Kriegswaffen verlangt die Opposition, dass die Regierung nun endlich handelt.

Katja Keul, B’90/Grüne
Bundestagsabgeordnete

„Es kann nicht sein, dass es einfacher ist, die Kennzeichnung einer Kriegswaffe zu manipulieren als die eines normalen Kfz, das sich auf deutschen Straßen bewegt – das kann nicht sein.“

Rainer Arnold, SPD
Bundestagsabgeordneter

„Die jetzige Regelung, dass nur eine Nummer auf den Waffensystemen ist, die man auch leicht entfernen kann, ist nicht ausreichend. Und deshalb muss das Kriegswaffenkontrollgesetz am Ende auch tatsächlich angepasst werden.“

Wenn die Bundesregierung die UN-Vereinbarung nicht umsetzt, wird das Morden mit illegalen deutschen Waffen immer weitergehen.
 

Beitrag von René Althammer, Susanne Katharina Opalka und Detlef Schwarzer