- Wie Dobrindt, Schäuble und Gabriel den deutschen Versicherungen ein Milliardengeschäft verschaffen

Weit über 50 Milliarden Euro, so schätzen Experten, sind inzwischen nötig, um die Infrastruktur in Deutschland wieder flott zu machen. Marode Straßen, Brücken, Schulen - die Liste ist lang. Doch obwohl der Staat selbst so günstig wie nie an frisches Geld kommen könnte, setzt man auf ein von der Versicherungswirtschaft teuer finanziertes Ausbauprogramm.

Anmoderation: Weit mehr als 50 Milliarden Euro - soviel soll nach Schätzungen die Sanierung unserer maroden Verkehrsinfrastruktur kosten. Überall bröselt es: Fast jede fünfte Autobahn ist in einem bedenklichen Zustand. Um das zu stemmen, plant die Bundesregierung, eine eigene Gesellschaft zu gründen, mit privaten Investoren. Doch das scheinbar clevere Finanzierungsmodell entpuppt sich bei genauer Betrachtung als teure Mogelpackung! Profiteure sind vor allem die ohnehin gut situierten Versicherungskonzerne. Ursel Sieber und Susanne Katharina Opalka.

Die Versicherungskonzerne, sie  schwimmen im Geld: Über Jahre haben sie sich mit der privaten Altersvorsorge  und anderen Geschäften eine goldene Nase verdient: "Voll ganz gesichert" haben sie sich damit Milliarden – nur wohin mit dem ganzen Geld. in Zeiten niedriger Zinsen müssen dringend attraktive Investments her.

Der oberste Lobbyist der Versicherungsbranche weiß auch schon, wo die zu finden sind: In der maroden Infrastruktur. 40 Milliarden kann er dem Staat anbieten, eine hübsche Summe:

 O-Ton Dr. Klaus Wiener, Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GdV)

"Wir haben einen Investitionsstau. Wir haben trotz der guten finanziellen Lage der öffentlichen Hand im Moment einen Investitionsbedarf, der so groß ist, dass es Sinn macht, auch privates Kapital zu mobilisieren. Und die Versicherer würden hier bereitstehen, auch mitzufinanzieren."

Die Idee: Autobahnen bauen. Das wollen die Versicherer mitfinanzieren. Dafür wollen sie Milliarden geben. Aus ihrer Sicht ein großartiges Geschäft. Dafür haben sie seit Jahren hinter den Kulissen Überzeugungsarbeit geleistet. Und ganz oben Verbündete gefunden:

Da wäre Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble:  Der Mann für die ordentlichen Finanzen. Da wäre Bundeswirtschaftsminister Gabriel: Der Mann mit dem Ohr für die Wirtschaft. Und: Bundesverkehrsminister Dobrindt: Der Mann für den freien Verkehr.

In Berlin sind die Wege glücklicherweise kurz:  Da residiert der Gesamtverband der Versicherungswirtschaft gleich schräg gegenüber dem Bundesfinanzministerium. So kamen sie zueinander - für das ganz große Ding:

Die Bundesautobahngesellschaft. Wie sie aussehen soll, haben die drei Minister jüngst in diesem Papier festgehalten.

Die neu zu gründende Bundesautobahngesellschaft soll künftig bauen, erhalten, betreiben und finanzieren. Sie ist im Eigentum des Bundes,  darf aber Kredite aufnehmen - auch bei Versicherungskonzernen. Die Kredite müssen dann über Jahre abbezahlt werden: von den Autobahnnutzern mit der Maut und - falls das nicht reicht - vom Steuerzahler, also von allen Bürgern.

Dieses Vorhaben betrachtet der Frankfurter Verfassungsrechtler Prof. Hermes mit großer Skepsis:

O-Ton Prof. Georg Hermes, Universität Frankfurt

"Es ist Politik zu Gunsten der Versicherungswirtschaft und zu Lasten des Steuerzahlers".

Denn durch einen kleinen Trick wollen die Versicherungen mit ihren Krediten hohe Zinsen rausholen. Und dieser Trick geht so. Obwohl die Autobahngesellschaft im Eigentum des Bundes ist – und das ist wichtig – soll der Bund nicht für ihre Geschäfte haften: Deshalb steht im Papier der drei Minister: "Ein Haftungsverbund zwischen der Gesellschaft und dem Bund besteht nicht". Soll heißen: Der Staat springt nicht ein, wenn die Gesellschaft vor der Pleite steht, garantiert also nicht ihren Fortbestand: Eine Autobahngesellschaft "ohne staatliche Garantie" - das war übrigens auch der ausdrückliche Wunsch der Versicherungswirtschaft. Nachzulesen in diesem Positionspapier.

Aber warum? Warum fordert ausgerechnet ein privater Investor den Verzicht auf staatliche Garantien? Offenbar ein wohl durchdachtes Täuschungsmanöver: Denn ein tatsächliches Risiko, dass die Bundesautobahngesellschaft pleitegeht, existiere gar nicht, es sei nur vorgetäuscht, meint der Verfassungsrechtler Prof. Hermes. In Wirklichkeit hafte der Bund am Ende immer. Dazu verpflichte das Grundgesetz.

O-Ton Prof. Georg Hermes, Universität Frankfurt

"Man täuscht eine Nichthaftung des Bundes vor und fingiert auf diese Weise ein Risiko für die privaten Kapitalgeber, das gar nicht besteht, weil jeder weiß – und die Kapitalgeber insbesondere – dass letztlich der Bund haftet und haften muss, weil er das Autobahnsystem nicht insolvent gehen lassen kann."

Frage

"Laut Verfassung?"

O-Ton Prof. Georg Hermes, Universität Frankfurt

Laut Verfassung."

Der Gag dabei ist:  Das wissen auch die drei Minister. Es steht sogar in ihrem eigenen Papier: Zitat: "Der Bund gewährleistet, dass dem Wohl der Allgemeinheit, insbesondere den Verkehrsbedürfnissen bei dem Ausbau und Erhalt des vorhandenen Netzes Rechnung getragen wird". Das ist der Satz, auf den es ankommt. Abgeschrieben aus dem Grundgesetz. Nur die Quelle fehlt. Wozu die ganze Schummelei?

O-Ton Prof. Georg Hermes, Universität Frankfurt

"Sinn und Zweck der Täuschung ist es höhere Zinsen zu legitimieren, die nicht legitimiert sind."

Vorgetäuscht wird also ein Risiko für den Investor. Nur so können die Versicherer wohl Zinsen von etwa 3% bekommen, Zinsen, die es heute am Markt kaum noch gibt. Das ist der große Deal für die Versicherungswirtschaft: Denn es geht um enorme Summen, erklärt uns Prof. Mühlenkamp von der Universität Speyer. Er ist Ökonom und rechnet es vor: Angenommen, der Ausbau einer Autobahn kostet 1 Millarde Euro: Angenommen, die Versicherer verlangen für ihr angebliches Risiko 3% Zinsen. Das sind über eine Laufzeit von 30 Jahren 530 Millionen Euro Zinsen. Anders wenn der Staat es finanziert: Als Eigentümer und sicherer Kreditnehmer müsste er nur 1% Zinsen zahlen, über 30 Jahre also lediglich 160 Millionen Euro. Die Differenz ist enorm: 370 Millionen Euro mehr. Diese Summe müssten Steuerzahler und Autobahnnutzer für den Profit der Versicherer aufbringen. Kein guter Deal, meint Prof. Mühlenkamp

O-Ton Prof. Holger Mühlenkamp, Universität Speyer

"Die private Finanzierung ist auf jeden Fall, das kann man drehen und wenden wie man will, signifikant teurer als eine öffentliche Finanzierung."

Sichere Gewinne für die Versicherungen, hohe Verluste für die Steuerzahler: Was treibt die drei Mitspieler in der großen Koalition dazu, bei so einem Deal mitzumischen?

Da ist Bundesfinanzminister Schäuble. Als oberster Buchhalter kann er so verkünden, dass er heute keine neuen Schulden macht. Denn die Schulden macht ja jetzt die Bundesautobahngesellschaft bei den Versicherungen. So einfach kann man Schulden verschwinden lassen.

O-Ton Prof. Holger Mühlenkamp, Universität Speyer

 "Man streut der Öffentlichkeit Sand in die Augen. In zweierlei Hinsicht. Zum einen suggeriert man, dass man keine neuen Schulden macht, während man de facto schon Schulden macht und zum anderen ist diese Politik eben teuer. Das heißt, die Bürger, bzw. der Steuerzahler müssen noch mehr dafür zahlen, dass ... die politisch Verantwortlichen ihnen weiß machen können, wir machen keine Schulden. Also wenn Sie so wollen, ist das doppelt pervers".

Und was treibt den Bundesverkehrsminister: Der kann jetzt stolz verkünden: Wir bauen Straßen - und zwar schnell!

 O-Ton Alexander Dobrindt (CSU) Bundesverkehrsminister

"Wir haben ständig Debatten darüber, dass in Deutschland zu wenig Investitionen in die Infrastruktur kommen, jetzt macht man sie, auf einem Weg, auf dem man Dritte ins Boot nimmt, um diese Finanzierung sicherzustellen. Da gibt’s nichts dran zu kritisieren".

Doch – Herr Bundesverkehrsminister!

Prof. Holger Mühlenkamp, Universität Speyer

"Es ist natürlich klar, dass das attraktiv für Politiker ist, den Bürgern jetzt kurzfristig mehr Infrastruktur zur Verfügung zu stellen, während die Kosten dieser Politik erst in Zukunft sichtbar sind, wenn die Verantwortlichen nicht mehr in Amt und Würden sind."

Und warum ist Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel von der SPD mit im Bunde?

Ihm sitzt die Wirtschaft im Nacken, sie will endlich raus aus dem Investitionsstau. Warum er dabei die Versicherungswirtschaft mit Steuermitteln subventionieren will, hätten wir ihn gern gefragt.  Allein, der Minister hatte über Wochen nie Zeit.  Ein Versuch am Rande einer Pressekonferenz bei seinem Sprecher:

Kontraste: "Können Sie uns denn einen Interviewtermin zusagen?"

Sigmar Gabriel: "Schicken Sie doch einfach eine Mail!"

Kontraste: "Haben wir doch schon."

Dabei blieb es. Gabriel stellt sich unseren Fragen nicht. Schriftlich behauptet sein Sprecher heute Morgen plötzlich, Gabriel könne dazu gar nichts sagen, nichts kommentieren. Denn – Überraschung: Es handele sich nur um ein Papier aus dem Verkehrsministerium und gar nicht aus seinem Hause.

Derart aus der Affäre ziehen kann sich Sigmar Gabriel bei seinen eigenen Genossen wohl kaum. So findet SPD-Verkehrsminister Lies aus Niedersachsen den Plan mit der Versicherungswirtschaft unerträglich.

Olaf Lies (SPD), Verkehrsminister Niedersachsen

"In einer Phase, in der wir gerade sind, wo der Staat derart günstig Mittel über die Kredite finanzieren kann, da kann es nicht sein, dass wir Dritten ein Feld eröffnen, um Gewinne und Erfolg zu erzielen, wenn wir alle das mitbezahlen."

Also wir, die Steuerzahler - und zwar die Gewinne der Versicherer.

Beitrag von Susanne Katharina Opalka und Ursel Sieber