Ein Lobbyist des VW-Konzerns als Regierungschef - Niedersachsens Ministerpräsident im dauerhaften Interessenkonflikt

Als Ministerpräsident ist Stephan Weil dem Land und den Wählern verpflichtet, als Aufsichtsratsvorsitzender von VW dem Konzern. Weil hat sich entschieden: Die Tricksereien im VW-Konzern werden von ihm nicht angeprangert sondern ausgesessen, selbst die wissenschaftlich nachgewiesenen Gesundheitsgefahren durch Stickoxide darf der Fahrzeughersteller bezweifeln - ungehemmt durch ein Machtwort des Ministerpräsidenten.

Anmoderation: Neun Milliarden Euro – diese gigantische Summe zahlt Volkswagen wegen des Dieselskandals an seine amerikanischen Kunden. Die deutschen VW-Fahrer dagegen gehen leer aus. Vehement wehrt sich der Konzern hierzulande gegen Schadensersatzforderungen der betrogenen Kunden. Vom Land Niedersachsen, das immerhin 20 Prozent der Anteile an Volkswagen hält, ist dazu kaum ein kritisches Wort zu hören. Dabei sitzt Ministerpräsident Stephan Weil sogar im Aufsichtsrat des Konzerns. Es stellt sich die Frage: Wem dient der Landesvater in dieser Rolle eigentlich? Sascha Adamek und Markus Pohl über eine unheilige Allianz zwischen Wirtschaft und Politik.

Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil auf Werksbesuch. Der SPD-Politiker ist Aufsichtsrat von Volkswagen. Selbst nachdem der Abgasskandal weltweit Schlagzeilen macht, klingt er noch immer wie der Chef-Lobbyist des Konzerns.

Stephan Weil (SPD), Ministerpräsident Niedersachsen, 21.10.2015

"Volkswagen ist eine Perle der deutschen Industrie, und ich glaube, das kann man immer und immer wieder betonen, in Niedersachsen wissen wir ganz genau, was wir an Volkswagen haben."

Als Aufsichtsrat ist Stephan Weil dem Wohl des VW-Konzerns und seiner Aktionäre verpflichtet. Als Ministerpräsident hat er geschworen, dem Wohl der Bürger und damit auch ihrer Gesundheit zu dienen. Ein ständiger Interessenkonflikt.

Denn auch in Niedersachsen leiden viele Menschen unter den Autoabgasen. Wie hier in Osnabrück werden dauerhaft die Grenzwerte für die giftigen Stickoxide aus den Dieselmotoren überschritten. Die örtliche Umweltbehörde ist alarmiert.

Detlef Gerdts, Bereichsleiter Umweltschutz Osnabrück

"Wir befinden uns gerade hier jetzt. Hatten jetzt um 10 Uhr 52 Mikrogramm, also zwölf Mikrogramm oberhalb vom Grenzwert. Aktuell haben wir noch 40 Mikrogramm. Wenn man mal zum Beispiel den gestrigen Tag betrachtet, dann lagen wir fast 22 Stunden über den Grenzwerten."

Frank Otte, Stadtbaurat Osnabrück

"Das führt natürlich dazu, dass die Menschen auch besorgt sind. Es gibt Untersuchungen, dass besonders für empfindliche Menschen Atemwegserkrankungen die Folge sind. Bis hin auch zur Reduzierung der Lebenserwartung."

Vorzeitige Todesfälle durch Stickoxide - in der Wolfsburger VW-Zentrale will man das nicht wahrhaben. Der Konzern versucht derzeit, Schadensersatzklagen deutscher Kunden wegen des Abgasbetrugs abzuwehren.

Seine Anwälte ziehen dazu die Gefährlichkeit von Stickoxid in Zweifel. Unter der Überschrift "Keine Gesundheitsschädlichkeit" behaupten sie gegenüber den Gerichten:

"Es existieren (…) keine hinreichenden Informationen über eine tatsächliche Kausalität gemessener NOx-Umweltkonzentrationen im Hinblick auf medizinische Auswirkungen."

NOx, also Stickoxide, womöglich gar nicht so schlimm?

Was sagt Stephan Weil dazu? Wird der um die Gesundheit der Bürger besorgte Landesvater antworten?

Oder der Aufsichtsrat, der den 20-Prozent-Anteil des Landes Niedersachsen im VW-Konzern vertritt?

Wir fragen Weil und die zuständigen Ministerien schriftlich an, aber man will uns keine Antwort geben. Am Ende heißt es telefonisch: Keine Interviews zu VW von der gesamten Landesregierung. Also versuchen wir es direkt in der Niedersächsischen Staatskanzlei. Wir erwischen Weils Gesundheitsministerin.

Kontraste

"Wie gefährlich sind denn Stickoxide?"

Cornelia Rundt (SPD), Gesundheitsministerin Niedersachsen

"Oh, das ist sicherlich davon abhängig, in welchem Rahmen sie auftreten, deswegen wird man das sicherlich sehr unterschiedlich und differenziert betrachten müssen."

Kontraste

"Und wenn VW jetzt sagt, die sind ungefährlich, was sagen Sie dazu?"

"Auch da muss man wieder sagen: Es kommt drauf an, welche Menge, es kommt drauf an, in welchem Zusammenhang, in welchem Raum. Da wird es keine einheitliche Meinung dazu geben."

Genaueres weiß sie offenbar nicht. Dabei ist die Gefährlichkeit der Stickoxide im Straßenverkehr durch Studien längst erwiesen. Das sagt Professor Christian Witt, Leiter der Lungenklinik an der Berliner Charité.

Prof. Christian Witt, Leiter Pneumologie Charité Berlin

"Wir wissen, dass es schädlich ist, dass es die Gesamtmortalität erhöht, dass die Krankenhauseinweisungsrate erhöht wird, wir wissen, dass die Symptome bei Patienten zunehmen, dass die Lungenfunktion schlechter wird, dass es nicht nur die Lunge betrifft, sondern auch Herzkreislauferkrankungen."

Mehrfach versuchen wir, den Ministerpräsidenten zur Verharmlosungstaktik von VW zu sprechen.

Kontraste

"Herr Weil, nochmal eine Frage zu VW. Haben Sie jetzt einen Moment Zeit für uns?"

Stephan Weil (SPD) Ministerpräsident Niedersachsen

"Nein."

Das Schweigen des Ministerpräsidenten Weil zum VW-Skanadal ist eine Erfahrung, die Abgeordnete in Niedersachsen schon lange machen.

Jörg Bode (FDP), Fraktionsvorsitzender Niedersachsen

"Wenn wir als parlamentarische Opposition angefragt haben, gibt es oft die Antwort: Es sind Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse, höchstens streng vertraulich kann geantwortet werden. Oder aber es kommt die Antwort: Es gibt Gerichtsverfahren in Amerika, da können wir hier tatsächlich nichts sagen. Oder man verweigert einfach die Antwort."

Erst auf einer Pressekonferenz kann Weil nicht mehr ausweichen. Wir fragen ihn direkt nach den Stickoxiden.

Stephan Weil (SPD), Ministerpräsident Niedersachsen

"Es ist unstrittig, dass Stickoxide gesundheitsschädlich ist. Das ist auch von niemandem meines Wissens bestritten worden."

Entweder Aufsichtsrat Weil weiß nicht, oder er will nicht wissen, was VW-Anwälte vor Gericht vortragen.

Und damit nicht genug: Unter Aufsicht von Stephan Weil leugnet VW sogar, in Europa überhaupt gegen Gesetze verstoßen zu haben. Damit will man Schadensersatzforderungen der Kunden aushebeln.

Der Rückruf und die Umrüstung von 8,5 Millionen Autos sei reine Kulanz. Wie kommt der Konzern zu dieser Behauptung?

Dafür muss man sich klar machen, wie VW bei den Abgastests betrogen hat:

Das Auto erkennt, wenn es auf einem Prüfstand steht, und läuft hier in einem sauberen Modus. Über ein Rohr wird eine große Menge Abgas zur erneuten Verbrennung in den Motor zurückgeführt. Die Folge: Es entstehen nur wenige der giftigen Stickoxide.

Auf der Straße aber schaltet die Betrugs-Software den sauberen Modus ab: Es wird weniger Abgas in den Motor zurückgeführt, der Ausstoß von Stickoxiden steigt stark an - weit über den zulässigen Grenzwert hinaus.

Nach EU-Recht ist solch eine Abschalteinrichtung illegal. In der entsprechenden Verordnung heißt es:

"Die Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, ist unzulässig."

VW aber bestreitet, dass seine Betrugs-Software von diesem Verbot betroffen sei. Mit dem Argument,

"… dass die Abgasrückführung nicht Teil des Emissionskontrollsystems, sondern eine hiervon zu trennende innermotorische Maßnahme ist."

VW behauptet also, man dürfe am Motor beliebig manipulieren – egal, was das am Ende für den Abgasausstoß bedeutet.

Der Umweltrechtler Martin Führ hat für den Deutschen Bundestag ein Gutachten über Abschalteinrichtungen geschrieben. Über die VW-Logik kann der Jura-Professor nur den Kopf schütteln.

Prof. Martin Führ, Verwaltungsrechtler, Hochschule Darmstadt

"Wenn man sich den Wortlaut anschaut, dann ist die Abschalteinrichtung so weit definiert, dass sie natürlich die Quelle der Emissionen, nämlich den Motor, miterfasst. Das ist der erste Schritt der Emissionskontrolle, so wenig wie möglich Schadstoffe entstehen zu lassen. Von daher widerspricht dies nicht nur dem Wortlaut, sondern auch dem gesunden Menschenverstand und deswegen weiß ich nicht, wie man sich ernsthaft trauen kann, so etwas vor Gericht vorzutragen."

Auch das Kraftfahrtbundesamt stellt auf Anfrage klar: Natürlich sei VWs Abschalteinrichtung illegal. Ebenso Verkehrsminister Alexander Dobrindt, sonst nicht für harte Kritik an der Autoindustrie bekannt. Nur einer findet keine klaren Worte, ausgerechnet der Mann, der VW kontrollieren soll.

Kontraste

"Sind die Abschalteinrichtungen aus ihrer Sicht mit EU-Recht vereinbar oder nicht?"

Stephan Weil (SPD), Ministerpräsident Niedersachsen

"Da bitte ich vielmals um Verständnis, aber das sind laufende Verfahren, die eine hohe, die ein hohes technisches Expertenwissen voraussetzen. Und ich würde deswegen vor diesem Hintergrund derzeit auf dieses laufende Verfahren nicht mit öffentlichen Äußerungen eingehen wollen."

Anstatt den VW-Vorstand zur Ordnung zu rufen, sitzt Aufsichtsratsmitglied Weil die Angelegenheit aus.

Und wenn die Regierung überhaupt mal auf Fragen zum Abgasbetrug reagiert, dann nach enger Abstimmung mit dem Konzern. So steht es in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der FDP:

"In diesen Fällen werden Aussagen vorab VW zur Kenntnis gegeben."

Jörg Bode (FDP), Fraktionsvorsitzender Niedersachsen

"Es ist nichts dagegen einzuwenden, dass wenn man Zahlen, Daten, Fakten anfragt, man sich auch vergewissert, ob das alles, was man aufgeschrieben hat, stimmt. Es darf aber nicht so weit kommen, dass die Landesregierung der vierte Pressesprecher des Volkswagenkonzerns wird."

Stephan Weil: Ein Politiker mit Doppelleben.

Für den Verwaltungsjuristen Martin Führ steht fest: Weil muss sich jetzt entscheiden.

Prof. Martin Führ, Verwaltungsrechtler, Hochschule Darmstadt

"Sein Amtseid verpflichtet ihn, Schaden vom niedersächsischen Volk abzuwehren, und seine Rolle im Aufsichtsrat ist dem Wohle der Aktionäre verpflichtet. Und sobald dies nicht deckungsgleich ist, haben wir einen Interessenkonflikt, und den kann man eigentlich nur auflösen, indem man eines der beiden Ämter aufgibt."

Kontraste

"Das heißt im Zweifel Rücktritt aus dem Aufsichtsrat von VW?"

Prof. Martin Führ, Verwaltungsrechtler, Hochschule Darmstadt

"Ja, oder Rücktritt als Ministerpräsident."

Beitrag von Sascha Adamek und Markus Pohl