Milliardenrisiko Braunkohle - Steuerzahler haftet für Ewigkeitskosten der Energieriesen

Bislang wurden die Schäden, die der Braunkohleabbau verursacht, aus dem laufenden Geschäft der Unternehmen bezahlt. Renaturierung der Halden und Tagebaulöcher ebenso wie Schäden an Gebäuden und Straßen. Aber wenn die Unternehmen Pleite gehen, dann sieht es düster aus. Anders als bei Steinkohle und Atomkraft gibt es keine sicheren Rückstellungen für die Zukunft – die so genannten Ewigkeitskosten. Experten schätzen, dass es um Milliarden geht. Die verantwortlichen Ministerien tun nichts.

Anmoderation: Solche Bilder könnten vielleicht bald ganz der Vergangenheit angehören: Keine Kohleverstromung, stattdessen mehr erneuerbare Energien. So sieht es der historische Pariser Klimavertrag vor, der vergangenes Jahr geschlossen wurde: Gerade erst hat das Europa-Parlament nun grünes Licht für seine Umsetzung gegeben. Aber so einfach ist das nicht: Der Ausstieg aus der Kohle verursacht neue Probleme. Zum Beispiel, wenn es um die Beseitigung der Schäden geht. Die Renaturierung der riesigen Tagebaulöcher könnte uns teuer zu stehen zu kommen.  André Kartschall

Der Wegweiser zum Badesee ist noch da. Aber der Weg ist gesperrt. Hier bei Nachterstedt in Sachsen-Anhalt sollte eine Touristenattraktion entstehen: rund um den Concordiasee. Ein ehemaliges Tagebauloch, das geflutet wurde. Ein schöner Plan, doch der ging gründlich schief. Der komplette See ist seit 2009 großräumig abgesperrt.

Siegfried Hampe (parteilos), Bürgermeister Nachterstedt

"Es ist ein bisschen Missmut dabei im Moment. Und es gibt natürlich auch Stimmen, die sagen: 'Wer weiß, ob’s überhaupt nochmal was wird mit dem See.' Aber das möchte ich auf keinen Fall hören, diese miese Stimmung. Wir sollten positiv denken."

Positiv dachte man auch auf der anderen Seite des Sees – und baute schon mal ein Ausflugslokal ans Ufer. Auch einen Touristendampfer gab es hier bereits.

Doch dann rutschte in Nachterstedt 2009 das Ufer weg. Häuser verschwanden im Nichts. drei Menschen starben. Angestautes Grundwasser hatte den Boden einfach weggespült. Eine ganze Siedlung wurde abgerissen – in bester Lage, direkt am See. 41 Menschen mussten umziehen.

Der so genannte "Rutschungskessel" wird seit 2009 saniert. Das Ufer muss aufwändig gesichert werden. Wie viel das kostet, hält der staatliche Bergbausanierer LMBV merkwürdigerweise geheim.

Für die Beseitigung von Bergbauschäden ist in Deutschland der Verursacher zuständig, also das jeweilige Bergbauunternehmen. Doch der Tagebau Nachterstedt wurde von der DDR betrieben. Und die gibt es nicht mehr. Doch einer muss zahlen. Also der Steuerzahler.

Genau das könnte in Zukunft öfter der Fall sein. Elf aktive Tagebaue gibt es noch in Deutschland – betrieben von den Unternehmen RWE, MIBRAG und EPH.

Riesige Flächen, die alle saniert werden müssen. Das Geld dafür verdienen die Unternehmen mit ihren Kraftwerken. Doch genau das wird immer schwieriger.

Denn im Strommarkt herrscht Überangebot. Hoch subventionierter Öko-Strom drückt die Preise.

Darunter litt zum Beispiel Vattenfall: Der schwedische Staatskonzern musste sogar noch draufzahlen um seine Braunkohlesparte in Ostdeutschland loszuwerden. Der neue Eigentümer EP Holding aus Tschechien bekommt mehr als eine Milliarde Euro dazu. Immer noch günstiger, als die Braunkohlesparte zu behalten, betont Vattenfall. Ein Interview gibt es nicht.

Auch nicht von RWE in Nordrhein-Westfalen. Hier sind die Tagebaue teils mehr als 400 Meter tief. Auch hier sind die fetten Jahre vorbei. RWE will sich jetzt sogar aufspalten. Zukunftstechnologien wie Solar, Wind und das Stromnetz sollen in eine Firma. Alte Technologien wie Atom, Gas und Kohle in eine andere. Eine Art "Bad Bank", meinen Kritiker wie Dirk Jansen vom Bund für Umwelt und Naturschutz.

In allen Braunkohlerevieren könne sich bald wiederholen, was nach dem Ende der DDR-Tagebaue geschehen ist.

Dirk Jansen, Bund für Umwelt und Naturschutz

"Es ist ganz sonnenklar, was dann passiert. Geht ein Unternehmen in Insolvenz oder wird übernommen von einer ausländischen Heuschrecke, kommt den Verpflichtungen nicht nach – wer haftet dann? Die Allgemeinheit. Das heißt: die Steuerzahler werden dann in die Haftung genommen."

Doch bis jetzt verdienen die Unternehmen noch genug Geld um hinter dem Bagger das Loch wieder zuzuschütten und zu begrünen – so wie hier. Dafür, so schreiben uns die Braunkohleunternehmen, gebe es Rückstellungen: insgesamt 3,7 Milliarden Euro. Das könne man auch in den Bilanzen nachlesen. Aber:

Dirk Jansen, Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland

"Das sind bilanzielle Rückstellungen. Das heißt, sie tauchen nur in den Bilanzen des Unternehmens auf. Sie sind meistens gedeckt durch Werte wie zum Beispiel Kraftwerke, die aber im Übrigen zukünftig überhaupt nichts mehr wert sind. Mit anderen Worten: bilanzielle Rückstellungen heißt noch lange nicht, dass das Geld da ist."

Denn auch für Großkonzerne gilt im Ernstfall: Wer Pleite geht, kann nicht mehr zahlen!

Schlimmer noch: mit der Rekultivierung ist die Arbeit auch noch lange nicht getan. Selbst nachdem ein Tagebau verfüllt ist, können Schäden auftreten. Und zwar Jahrzehnte später noch. Ganz langsam wird hier dann unterirdisch das Grundwasser ansteigen. Und mit dem Grundwasser kommen die Probleme:

Erdrutsche wie in Nachterstedt können die Folge sein. Oder: Risse an Wohnhäusern wie zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen. Oder auch: Eisen, das mit dem Grundwasser nach oben gespült wird – und anschließend ganze Flüsse verschmutzt – wie die mittlerweile braun gefärbte Spree in Ostdeutschland.

Damit werden noch Generationen zu kämpfen haben. Und auch solche "Ewigkeitskosten" muss der Verursacher bezahlen. Doch auch dafür müssen die Konzerne kein Geld zurücklegen.

Dirk Jansen, Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland

"Niemand hat sich die Mühe gemacht, was es denn kosten würde, aufzulisten, diese Ewigkeitsfolgen dann zu minimieren."

KONTRASTE

"Was sagt die Landesregierung, wie teuer das wird?"

Dirk Jansen, Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland

"Die Landesregierung sagt gar nichts, außer, dass Ewigkeitsfolgen nicht auftreten. Mit anderen Worten: Sie verweigert hier wirklich sich der Realität."

Die Landesregierungen geben KONTRASTE kein Interview, schreiben uns aber, zu Ewigkeitskosten gebe es "keine sichere Schätzung" oder es wird gleich behauptet: "Ewigkeitslasten gibt es nicht."

Natürlich geht es auch anders: für die Atomwirtschaft und die Steinkohle hat man eine Lösung gefunden. So ähnlich könnte man es auch bei der Braunkohle regeln:

Die Unternehmen zahlen "echtes Geld" in einen Fonds oder eine Stiftung unter staatlicher Kontrolle. Aus diesem Topf würden dann die Ewigkeitskosten bezahlt. Doch die Politik hält das nicht für notwendig. Es gebe ja schließlich keine Ewigkeitskosten.

Beitrag von André Kartschall