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- Verpatzter Neustart – Die Deutsche Bahn unter Grube

Nach Mehdorns Abgang sollte alles besser werden: Doch dann kam das S-Bahn Chaos in Berlin. Seit Wochen ist der S-Bahn-Verkehr in Berlin durch Zugausfälle so gut wie lahm gelegt. Die Deutsche Bahn als Eigentümer der S-Bahn hat bisher auf maximalen Profit gesetzt und die Wartung der Züge vernachlässigt.

So geht das bei der Deutschen Bahn: Wer für Schlamassel sorgt, wird noch belohnt. Denn die Bahn-Manager, die für das Chaos bei der Berliner S-Bahn verantwortlich sind, wurden jetzt erstmal befördert. Jahrlang war die Berliner S-Bahn, eine Tochter der Deutschen Bahn, finanziell ausgepresst worden wie eine Zitrone, um den Börsengang zu realisieren. Dafür kommt jetzt die Rechnung: die S-Bahn-Ausfälle in Berlin kosten die Bahn Millionen, die zusätzlich um den prestigeträchtigen Auftrag in Berlin bangen muss. Ein reichlich missglückter Neuanfang für Bahnchef Grube, wie Ulrich Kraetzer und Ursel Sieber berichten.

Wer fremde Leute kennen lernen will, und zwar möglichst viele und möglichst hautnah, der ist in der Hauptstadt zurzeit gut aufgehoben. Die Berliner S-Bahn im Berufsverkehr. Ein ganz neues Gefühl von Geselligkeit.

Fahrgäste
„Ick hatte ebend schon lange warten müssen und bin ehrlich jesagt anjepisst, wenn ick ditt ma echt so sagen darf.“
„Weltstadt Berlin: Hallo?!“


Der Grund für das Chaos: Nach dem Bruch eines Rades musste die S-Bahn rund zwei Drittel ihres Fuhrparks außer Betrieb nehmen. Jetzt werden die Radsätze ausgetauscht. Eine Sicherheitsauflage, nachdem die S-Bahn zuvor Selbstverpflichtungen nicht eingehalten und die Aufsichtsbehörde einfach angelogen hatte.

Eine peinliche Angelegenheit. Für die S-Bahn, aber auch für den Mutterkonzern, die Deutsche Bahn AG.

Der neue Chef des Konzerns: Rüdiger Grube. Als Nachfolger des geschassten Hartmut Mehdorn gerade erst im Amt und schon als Krisenmanager unterwegs.

Rüdiger Grube, Vorstandsvorsitzender Deutsche Bahn AG
„Und ich möchte mich in diesem Rahmen auch noch mal bei den Kunden entschuldigen, aber auch bei der Stadt.“

Grube reagiert schnell. Die vier Geschäftsführer der S-Bahn müssen ihre Posten räumen. Ganz plötzlich ist das Berliner Tochterunternehmen das Sorgen- und das Schmuddelkind der Deutschen Bahn.

Die Gewinne hat der Konzern dagegen gern mitgenommen. Das große Ziel, den Gang an die Börse, fest im Auge, setzten die Manager voll auf Rationalisierung.

Sie reduzierten den Personalbestand der Berliner S-Bahn und verkleinerten auch noch den Fuhrpark. Die Rechnung schien aufzugehen. Dank des Sparkurses überwies die S-Bahn dem Konzern für das vergangene Jahr satte 56 Millionen Euro Gewinn. 2010 wollte die Deutsche Bahn ursprünglich sogar doppelt soviel kassieren.

Die immer höheren Gewinnvorgaben seien für die S-Bahn kaum zu erfüllen gewesen, meint Hans-Werner Franz vom Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg.

Hans-Werner Franz, Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg
„Was ich da weiß, ist in der Tat, dass die Geschäftsführung sehr unter diesen Vorgaben gelitten hat. Und dieser Druck hat sicher dazu geführt, dass einige Handlungen gemacht worden sind, die besser nicht gemacht worden wären.“

Die Folgen der Gewinnsucht bekamen die Fahrgäste zu spüren. Defekte Türen, kaputte Heizungen. Auch mit der Sauberkeit nahmen es die Manager nicht mehr so genau.

Im Januar dieses Jahres gab es rund 2500 Zugausfälle innerhalb von nur vier Tagen. An dem schlimmsten der Chaos-Tage fuhr nur jeder vierte Zug pünktlich.

Der Grund: Die Sicherungssysteme waren eingefroren, die S-Bahn hatte offenbar die Wartung vernachlässigt. Die Bahn rechtfertigte das Chaos mit einem Hinweis aufs Wetter: Es sei eben sehr kalt gewesen.

Heiner Wegner ist seit mehr als 35 Jahren bei der S-Bahn. Als Betriebsrat hat er mitbekommen, wie die Manager nicht nur bei der Qualität sparten, sondern unter dem Druck der Gewinnvorgaben auch einen eisernen Grundsatz aufgaben.

Heiner Wegner, Betriebsrat S-Bahn Berlin
„Lieber mal einen Zug ausfallen lassen, als wie die Sicherheit aufs Spiel setzen. Dieser Grundsatz, der ist verändert worden. Der Grundsatz lautete dann in Zukunft: Gewinnmaximierung. Koste es was es wolle.“

KONTRASTE liegen interne Protokolle der S-Bahn vor, die belegen, dass Grenzwerte zur Instandhaltung überschritten wurden. Der Wert von 44.000 Kilometern für Überprüfungen zum Beispiel der Bremsen – mit einem Federstrich verlängert auf bis zu 48.000 Kilometer.

Die Begründung für die Fristüberschreitung: Keine Reservefahrzeuge vorhanden.

Kein Wunder: Denn um Geld für die Wartung zu sparen, hatte die S-Bahn eigentlich intakte Fahrzeuge verschrottet. Am Ende waren die Reserven so gering, dass die S-Bahn selbst Auflagen des Eisenbahnbundesamtes nicht mehr einhalten konnte.

Nachdem im Mai dieses Jahres bei einem Zug ein Rad brach, versprachen die S-Bahn-Manager, die Radsätze künftig rechzeitig auszutauschen.

Doch den Grenzwert von 1,1 Millionen Kilometern ignorierten sie einfach. Vom Amt als Sicherheitsrisiko eingestufte Räder sollten erst nach 1,4 Millionen Kilometern ersetzt werden.

Die Fristen missachtet und die oberste Sicherheitsbehörde für den Bahnverkehr einfach angelogen – in der Geschichte der deutschen Eisenbahn ein einmaliger Fall.

Heiner Wegner, Betriebsrat S-Bahn Berlin
„Also das ist nicht nur peinlich, das ist beschämend. Beschämend für uns, was das Management aus dieser funktionierenden Berliner S-Bahn gemacht hat. Das ist für uns nicht nachvollziehbar.“

Die hohen Gewinnerwartungen und der Druck auf die Manager der S-Bahn wurden schon vor Jahren von ganz oben vorgegeben – vom Mutterkonzern, der Deutschen Bahn.

In einem bahninternen Zwischenbericht für die S-Bahnen in Berlin und Hamburg berichteten die Manager schon 2005 stolz, dass die Kosten für die Wartung um 30 % reduziert werden konnten.

Ganz offen heißt es, Zitat:
„Zu den zentralen Maßnahmen gehört zudem die Verlängerung der Wartungsintervalle.“

Einer der Köpfe des Projektes: Alexander Hedderich. Als Leiter Konzernentwicklung damals die rechte Hand von Hartmut Mehdorn. Der Leiter des Projekts: Ulrich Thon, bis März dieses Jahres aktiver Geschäftsführer der Berliner S-Bahn.

Hedderich und Thon gelten als die Gesichter des Rationalisierungskurses. Geschadet hat ihnen das nicht.

Alexander Hedderich wurde gerade erst von Bahn-Chef Grube an die Spitze der Güterverkehrs-Sparte befördert.

Ulrich Thon darf in führender Funktion auch in Zukunft Fristen für die Instandhaltung festlegen für Regional- und Nahverkehrszüge.

Dabei hatte die S-Bahn nach Informationen von Kontraste auch in Thons Amtszeit als Geschäftsführer Grenzwerte für die Instandhaltung überschritten – im Januar dieses Jahres.

Heiner Wegner, Betriebsrat S-Bahn Berlin
„So lange wie diese Leute, die für dieses Desaster verantwortlich sind, immer noch in verantwortungsvoller Position sind, uns die Regeln vorgeben, nach denen wir zu arbeiten haben, ist es für die Mitarbeiter einfach nicht nachvollziehbar, dass wirklich ein Neuanfang ernsthaft gewollt ist.“

Kein Neuanfang. Schließlich träfe die Manager keine Schuld. Das Verkehrschaos habe es ja nur wegen der offenbar schadhaften Radsätze gegeben, heißt es. Dafür sei der Hersteller verantwortlich. Mit mangelnder Wartung habe das nichts zu tun.

Ulrich Homburg, DB-Vorstand Personenverkehr
„Dass diese Radscheibe technischen Mindestanforderungen nicht genügt, ist nicht dadurch zu beheben, dass Sie diese Radscheibe von irgendjemand blank polieren lassen, das muss man einfach mal in diesem Zusammenhang klarstellen.“

Kein Zusammenhang zwischen Wartung und Haltbarkeit der Räder?

Unsinn, meint Prof. Markus Hecht von der Technischen Universität Berlin. Er hat Räder der S-Bahn schon vor Jahren untersucht. Seine Einschätzung: Die S-Bahn hat die Wartung ganz offensichtlich vernachlässigt. Die Räder seien unrund und wellenförmig.

Markus Hecht, Technische Universität Berlin
„Wenn hier das Rad ist dann sind hier solche Wellen überlagert und diese Wellen geben dann natürlich Kraftspitzen in die Radumlaufrichtung, wenn das Rad abrollt.“
KONTRASTE
„Und wozu führt das dann?“
Markus Hecht, Technische Universität Berlin
„Risse entstehen dann schneller und breiten sich schneller aus.“

Professor Hecht wollte seine Untersuchungen mit den Bahn-Managern besprechen. Doch die waren offenbar nicht interessiert. Das Gespräch kam nie zu Stande.

Die Untersuchungen zur Ursache des Radbruchs sind noch nicht abgeschlossen. Auch die Staatsanwaltschaft ermittelt.

Aus dem Umfeld des neuen Bahn-Chefs Rüdiger Grube heißt es unterdessen, der Börsengang sei wegen der Finanzkrise zwar verschoben, aber keineswegs abgesagt.

Die Fachleute befürchten das Schlimmste.

 

Beitrag von Ulrich Kraetzer und Ursel Sieber