Download (mp4, 99 MB)

Verbrauchertäuschung beim Abgastest - Große Koalition von Politik und Autokonzernen

Nach dem VW-Skandal wird deutlich, Umwelt- und Gesundheitsschutz spielen für Autobauer offenbar nur eine untergeordnete Rolle. Das zeigt auch die so genannte Abgasuntersuchung (AU). Wer glaubt, dass durch die bei älteren Fahrzeugen alle zwei Jahre stattfindenden Messungen alle schädlichen Emissionen erkannt und verhindert werden, der irrt. Denn schon vor Jahren haben die Automobilkonzerne gegenüber der Politik durchgesetzt, dass nicht mehr gemessen wird, welche Schadstoffe ein Auto tatsächlich ausstößt.

Anmoderation: Der Schock über Dieselgate sitzt noch immer tief. Aber wer bislang dachte, die dreiste Manipulation von Abgaswerten bei Volkswagen sei der Gipfel der Unverfrorenheit, der täuscht sich:  Denn eine naheliegende Frage wurde bisher gar nicht beantwortet:  Warum wurde das in Deutschland bisher nie entdeckt? Schließlich wird jedes Fahrzeug bei der alle zwei Jahre vorgeschriebenen Abgasuntersuchung auf Herz und Nieren geprüft. Dachten wir jedenfalls. Bis meine Kollegen Markus Pohl und Chris Humbs anfingen, zu recherchieren.

O-Ton Oliver Krischer, stellv. Fraktionsvorsitzender Bündnis90/Die Grünen:

"Die Abgasuntersuchung in Deutschland ist grober Unfug, sie ist ein Witz. Da wird überhaupt nichts gemessen!"

O-Ton Harald Hahn, ASA-Verband der Werkstattausrüster:

"So wie sie heute durchgeführt wird die Abgasuntersuchung ist sie ein Schmarrn!"

O-TON Jürgen Resch, Deutsche Umwelthilfe:

"Das Signal, das wir auch hier wiederum sehen von der Politik an die Automobilindustrie, ist: Wir kontrollieren nicht, wir überlassen das euch, macht was ihr wollt!"

Autoabgase können töten. Das hört sich drastisch an, ist aber immer noch traurige Realität. Neben den giftigen Stickoxiden sind es vor allem kleinste Rußpartikel aus Dieselmotoren, vor denen Mediziner warnen.

O-TON Prof. Christian Witt, Lungenexperte Charité Berlin

"Die Besonderheit ist hier, dass diese ganz feinen, ultrafeinen Partikel in der Lage sind, durch die Lunge bis ins Blut zu gelangen, und wir wissen, dass der Feinstaub schon ein erhebliches Krebsrisiko darstellt."

Autos, die besonders viele Partikel ausstoßen, sollten eigentlich aus dem Verkehr gezogen werden, so wie dieser private Diesel – eine Zufallsstichprobe. Ein unabhängiger Kfz-Meister misst für uns den Ruß im Abgas. Das Ergebnis ist erschreckend. Es scheint, als würden die Abgase bei diesem Wagen überhaupt nicht gefiltert.

O-TON Dieter Urbanc, Kfz-Meister

"Solche Dreckschleudern sollten eigentlich die AU nicht bestehen."

Die AU, die gesetzliche Abgasuntersuchung, schafft der Wagen aber problemlos. Denn für moderne Diesel ab Erstzulassung 2006 gilt: Entscheidend ist, was der Bordcomputer sagt - und nicht, was hinten am Endrohr herauskommt. Die Prüfer lesen lediglich den Fehlerspeicher des Autos aus. Meldet der Bordcomputer: alles in Ordnung, dann gibt es die Plakette.

O-Ton Harald Hahn, ASA-Verband der Werkstattausrüster:

"Man verlässt sich voll auf den Hersteller. Es werden durch diese Onboarddiagnose, durch den Bordcomputer keine direkten Gaskomponenten wie Partikel oder CO oder andere Schadstoffkomponenten gemessen, sondern nur indirekt aufgrund eines Modelles zieht man Plausibilitäten heraus und sagt, es wird in Ordnung sein oder es wird nicht in Ordnung sein."

Abgase werden bei der Abgasuntersuchung in der Regel also gar nicht mehr gemessen! Ein Geschenk der Politik an die Automobil-Industrie, wie Jürgen Resch von der Deutschen Umwelthilfe beklagt. Man habe sich damit sogar über geltendes EU-Recht hinweggesetzt.

O-TON Jürgen Resch, Deutsche Umwelthilfe

"Eigentlich war vorgesehen die Endrohrüberprüfung beizubehalten. Man hat dann eben von Deutschland aus in Brüssel eine Ausnahme erkämpft, dass eben die Automobilindustrie nur noch sich selbst prüft."

Dieses Geschenk an die Industrie brachte das Bundesverkehrsministerium schon im Jahr 2009 auf den Weg. Zuständiger Minister damals: SPD-Mann Wolfgang Tiefensee. Auch sein Nachfolger Peter Ramsauer hielt trotnz Protesten von TÜV und Umweltschützern an der Regelung fest. Ebenso der aktuelle Verkehrsminister Alexander Dobrindt.

O-TON Jürgen Resch, Deutsche Umwelthilfe

"Das ist eine große Koalition von Herrn Tiefensee über Herrn Ramsauer bis Herrn Dobrindt. Wir als Ministerium werden nicht kontrollieren. Wir machen der Industrie keine Schwierigkeiten."

Von einer Kumpanei zwischen Industrie und Politik wollen die Hersteller nichts wissen.

O-TON Ulrich Eichhorn, Verband der Automobilindustrie

"Da gibt es keinen Deal, sondern auf die Endrohrmessung wurde verzichtet, weil sie einerseits veraltet, zweitens überflüssig ist. Und weil der zusätzliche Aufwand für die Endrohrmessung und die zusätzlichen Kosten vom Autofahrer abgewendet werden sollten."

Tatsächlich zeigen aber internationale Studien, dass sich der Aufwand lohnen würde. Mit einer zusätzlichen Messung am Auspuff würden dreimal so viele Dreckschleudern entdeckt. In einem gemeinsamen Prüflabor von TÜV und Dekra zeigt man uns, wie anfällig die derzeitige Onboard-Diagnostik ist. Chef Jürgen Bönninger stellt seit einiger Zeit fest, dass immer mehr Autofahrer ihren Rußpartikelfilter illegal durch Attrappen ersetzen. Einen defekten Filter auszutauschen, ist wesentlich teurer, als einfach ein leeres Gehäuse einzubauen. Zudem bringt das Auto mit der Attrappe mehr Leistung.

O-TON Jürgen Bönninger, Geschäftsführer FSD Fahrzeugtechnik:

"Man bekommt sie relativ einfach im Internet zu kaufen. Man kann sie verbauen und kann eigentlich sie im verbauten Zustand nicht mehr unterschieden."

Frage:

"Und mit denen kommt man auch im Moment durch eine Abgasuntersuchung?"

O-TON Jürgen Bönninger, Geschäftsführer FSD Fahrzeugtechnik:

"Ja, die normale Abgasuntersuchung detektiert diese ausgeräumten Partikelfilter heute mit der herkömmlichen Technologie nicht."

Wie kann das sein? An einem VW Golf zeigen uns die Techniker, wie manipuliert wird. Zunächst ersetzen sie den Rußfilter durch eine Attrappe. Dann wird die Onboard-Diagnose des Autos mit einer kleinen Software abgeändert, so dass sie das Fehlen des Filters nicht anzeigt. Das ist zwar verboten, dauert aber nur wenige Sekunden und wird von vielen Werkstätten angeboten.

O-TON Jürgen Bönninger, Geschäftsführer FSD Fahrzeugtechnik

"Bei diesem Modell ist das notwendig, dass man hier die OBD anpasst, es gibt auch ältere Modelle, wo das nicht notwendig ist, wo die OBD das gar nicht erkennt."

Anschließend geht es auf den Prüfstand. Das Auto besteht die AU problemlos, der Bordcomputer zeigt null Fehler an. Angeblich alles in Ordnung, obwohl der vorgeschriebene Filter fehlt!

O-TON Jürgen Bönninger, Geschäftsführer FSD Fahrzeugtechnik

 "Motorkontrollleuchte ist aus, hat bestanden. Ok."

Dabei könnte diese Manipulation schon heute nachgewiesen werden. Ohne zusätzliche Kosten. Jürgen Bönninger demonstriert eine Software, die sein Labor für die amtlichen AU-Prüfgeräte entwickelt hat und die einen ausgebauten Filter erkennt. Das Verkehrsministerium, das im Beirat des Labors sitzt, müsste das empfohlene Verfahren lediglich zulassen.

Frage:

"Wie hat das Bundesverkehrsministerium auf ihren Vorschlag reagiert?"

O-TON Jürgen Bönninger, Geschäftsführer FSD Fahrzeugtechnik

"Hmm, also jetzt müssen wir sehen, wie wir das hinbekommen. Also, es ist, es ist schwer zu erläutern jetzt für mich, warum sie es nicht gemacht haben. Also bisher ist es nicht umgesetzt worden, so muss man es sagen, ja."

Verkehrsminister Dobrindt sieht also keinen Handlungsbedarf – wie so oft. Sein Haus verteidigt die heutige AU als billige Lösung:

"Die AU ist als kostengünstige Reihenprüfung konzipiert (…) Hierzu hat sich die AU aus Sicht des BMVI, des Bundesverkehrsministeriums bewährt."

Wie absurd die derzeitige AU in Wirklichkeit ist, zeigen auch die Abgasgrenzwerte. Selbst wenn wir am Auspuff messen, wie eigentlich nur bei Autos ohne Bordcomputer vorgesehen, besteht unser Golf ohne Filter die AU. Der Rußpartikelwert liegt bei 0,19 - erlaubt sind aber 0,60! Die gesetzlichen Grenzwerte sind so hoch, dass selbst Dreckschleudern ohne vorgeschriebenen Filter durchgewunken werden.

Beitrag von Chris Humbs und Markus Pohl