VW-Betrug - Wie Politik und Autokonzerne sich gemeinsam "schön-testen"

VW hat bei den Dieselmotoren eine Betrugs-Software eingesetzt, um ohne teure Abgasreinigungstechnik die amtlichen Tests bestehen zu können. Angst erwischt zu werden musste der Autokonzern nicht haben. Schließlich machte der Staat seit Jahren beim Verschleiern der tatsächlichen Abgaswerte mit: Da werden Luftschlitze abgeklebt, Temperaturen manipuliert, Reifen prall gefüllt. Alles mit Duldung des Verkehrsministeriums.

Anmoderation:  Dreist, dreister, am dreistesten: Für diese Steigerungsform reichen künftig zwei Buchstaben: VW.  Der dreiste Skandal um manipulierte Abgaswerte von Volkswagen hat in Wirtschaft und Politik einen Schock ausgelöst. Dass ausgerechnet ein deutscher Autokonzern - einer der größten weltweit! - anscheinend derart ungeniert trickst und betrügt, hat kaum jemand für möglich gehalten. Doch nun wird immer deutlicher: Auch andere Autohersteller nutzen Tricks, um ihre Fahrzeuge bei Abgastests zu optimieren - und zwar ganz im Rahmen des Gesetzes. Trotz aller Bekenntnisse zum Klimaschutz hat die Bundesregierung offenbar kein Interesse, der Autoindustrie das Geschäft zu vermiesen ... Chris Humbs und Markus Pohl.

Vorbereitung eines Neuwagens für einen amtlichen Zulassungstest. Was hier zu sehen ist, beklagen Umweltschützer seit langem: Kühlergrill und Spalten werden abgeklebt, damit der Luftwiderstand bei den Abgas- und Verbrauchstests künstlich kleingehalten wird. Die Hersteller dürfen tief in die Trickkiste greifen: Besonders schmale Spezialreifen reduzieren den Rollwiderstand - zudem werden sie extrem aufgepumpt.

Teure, nicht handelsübliche Leichtlauföle reduzieren die Reibung. Die so präparierten Autos erzielen Top-Werte, die mit dem Normalbetrieb nichts zu tun haben.

Die Deutsche Umwelthilfe wirft der Politik vor, diesen Schwindel bewusst zu dulden.

O-Ton Jürgen Resch, Deutsche Umwelthilfe

"Es wird von den Behörden toleriert, es wurde noch nie nachkontrolliert, und das ist einer unserer Kritikpunkte an dieser Bundesregierung, dass man eben stillschweigend der Automobilindustrie ihre Interpretation der gesetzlichen Vorschriften nachträglich genehmigt, indem man eben nicht genau hinschaut und eben nicht eingreift."

Dabei sind die Vorschriften für die Abgas-Messung ohnehin äußerst herstellerfreundlich.

Beispiel Kaltstart: Der läuft im Winter – vor allem beim Diesel - nicht immer ganz sauber ab. Also erklärt der Staat, dass es bei den offiziellen Abgastests warm sein darf. Bis zu 30 Grad Celsius.

Bei diesen tropischen Temperaturen führen die Hersteller ihre Kaltstart-Abgastests im Labor durch. Die Ergebnisse sind toll – haben aber wieder einmal nichts mit dem Alltag auf der Straße zu tun.

O-Ton Jürgen Resch, Deutsche Umwelthilfe

"Wenn ich seitens der Politik sage, das ist zulässig so zu tricksen, dem Bürger also ein Fahrzeug zu verkaufen, das in Wirklichkeit tausende von Euro höhere Betriebskosten verursacht und andere Menschen gesundheitlich schädigt, und ich weiß das, dann ist das einfach ein extrem verwerfliches Verhalten und führt natürlich auch dazu, dass die Industrie den Eindruck hat, sie darf das."

So sonnen sich in Deutschland die Autohersteller im Glanz der Politik und völlig unrealistischer Abgas- und Verbrauchswerte. Laut einem Testergebnis der Auto-Bild verbraucht etwa dieser Mini Cooper in Wirklichkeit fast 50 Prozent mehr als amtlich bestätigt. Bei uns wird das hingenommen. In den USA dagegen gehen die Behörden strikt gegen solche geschönten Angaben vor.

So musste der Mutterkonzern BMW für eine Modellreihe des Minis die Werte offiziell nach oben korrigieren. Das gleiche bei Mercedes und Ford. die Angaben bei Hyundai waren sogar so dreist, dass die Käufer mit 700 US-Dollar entschädigt werden mussten.

Die US-Umweltbehörden gehen Hinweisen auf überhöhte Abgaswerte konsequent nach. Auf diese Weise kamen sie auch dem VW-Betrug auf die Spur. Testergebnisse auf der Straße ergaben bis zu 35 Mal höhere Stickoxid-Werte als die genormten Tests auf dem Prüfstand. Der Computer des Autos erkannte, dass gerade geprüft wird und schaltete den Wagen erst dann in den Sauber-Modus.

O-Ton John Swanton, Kalifornische Umweltbehörde, CARB

"Wir haben dann einen neuen Testzyklus entwickelt und so das Auto ausgetrickst. Der VW dachte dann, er sei nicht mehr im Labor, sondern auf der offenen Straße. Er hat die Abgasreinigung ausgeschaltet. Da wussten wir, es muss zwei verschiedene Programme in der Motorsteuerung geben."

Der Verkehrsminister in Deutschland ließ dagegen nicht kontrollieren, ob Hersteller die vorgeschriebene Abgasreinigung einfach abschalten. Und das, obwohl das Ministerium auf Anfrage der Grünen bereits vor einem halben Jahr einräumte:

"dass das Konzept zur Verhinderung von Abschalteinrichtungen sich in der Praxis bislang nicht umfänglich bewährt hat."

Keine Kontrollen, trotz vieler Hinweise auf Ungereimtheiten – nicht nur bei VW.

Im Prüflabor in Landsberg am Lech führt der ADAC eigene Abgasmessungen durch. Den amtlich vorgeschrieben Testzyklus hält der Leiter des Labors für eine Einladung zum Schummeln.

 

O-Ton Prof. Reinhard Kolke, Leiter ADAC Technikzentrum

"Die gesetzlichen Zulassungsverfahren decken gerade einmal einen Bruchteil, vielleicht 5 oder maximal 10 % der realen Fahreigenschaften im Feld ab und in diesem Bruchteil der realen Fahreigenschaften funktioniert und performt das Fahrzeug hinsichtlich Verbrauch und Emission exzellent, aber sobald eben die realen Fahrbedingungen gefahren werden, steigen plötzlich die Emissionen stark an."

Das heißt, die Autos sind nur sauber im engen Prüfzyklus. Verlässt man diesen, so wie beim ADAC-Test, überschreiten drei Viertel der Diesel-Wagen den Stickoxid-Grenzwert deutlich. Betroffen sind fast alle Hersteller.

Tests auf der Straße mit solchen mobilen Messgeräten zeigen noch dramatischere Abweichungen. Im Schnitt stoßen dort selbst moderne Diesel 500 Prozent mehr Stickoxid aus als der Prüfstand-Grenzwert erlaubt.

Bei solchen unabhängigen Straßentests schneiden die getesteten Volkswagen nicht einmal besonders schlecht ab. Umweltexperten sind deshalb überzeugt: VW ist nur die Spitze des Eisbergs.

O-Ton Jürgen Resch, Deutsche Umwelthilfe

"Es ist einfach unwahrscheinlich, dass es eine andere physikalische Erklärung für diese Abweichung gibt als betrügerische Manipulationen an der Software."

Dabei ist es technisch kein Problem, einen wirklich sauberen Diesel zu bauen.

O-Ton Jürgen Resch, Deutsche Umwelthilfe

"Es ist schlichtweg eine Frage des Geldes. Wenn sie eine ehrliche Abgasreinigung, die in allen Betriebszuständen auch unter Volllast funktionieren soll, haben wollen, dann müssen Sie 3,4, 500 Euro pro Auto mehr ausgeben. Wenn Ihnen natürlich die Politik suggeriert, ihr könnt das Geld einsparen und somit Diesel billiger anbieten, dann macht das natürlich die Industrie."

Der Verkehrsminister wiegelt ab.

Frage:

"Der Vorwurf ist da, dass es eine sehr große Kumpanei zwischen Automobilindustrie und Politik gibt. Was sagen sie dazu?"

O-Ton Alexander Dobrindt, CSU, Bundesverkehrsminister

"Quatsch."

Abmoderation: Gerne wird von der Politik übrigens darauf verwiesen, dass es in ein, zwei Jahren einen reformierten Standardtest mit schärferen Bedingungen geben soll. Doch wie das genau aussehen soll, darüber herrscht grosse Unklarheit. Klar ist nur, die Autolobby mischt kräftig mit.

Beitrag von Chris Humbs und Markus Pohl