
-
Die Corona-Einschränkungen und die Grenzschließung wirken sich auch auf das Leben der Berliner Polen aus: Es gibt enormen Beratungsbedarf, in den Familien herrscht Anspannung, manchmal Druck und Gewalt. Einige Polen profitieren von der Krise, und andere können ihr etwas Gutes abgewinnen.

Jede Krise hat auch ihre guten Seiten. Das jedenfalls findet die Unternehmerin Zofia Wieczorkowska. Zweimal die Woche fährt sie nach Polen, um Lebensmittel für ihre Läden einzukaufen. Seit die Grenze geschlossen ist, verkauft sie mehr.
Zofia Wieczorkowska:
"Mehr Polen, die entdecken jetzt meine Läden. Diese Sehnsucht nach polnischen Produkten ist da und wird gesucht, und ich hoffe, dadurch habe ich bisschen mehr Kundschaft gewonnen. Wir Polen, wir wollen unsere polnischen Produkte auf dem Tisch haben. Dieses Heimweh wird rekompensiert, wenn wir dann polnische Wurst oder Kaszanka habe, zum Grillen zum Beispiel."
Polnische Läden sind im Moment bei den Berliner Polen beliebter denn je. Wegen der 14-tägigen Quarantäne sind nämlich Kurzbesuche in der Heimat gerade nicht möglich.
Jacek Łoś:
"Normalerweise würde ich öfter nach Stettin fahren, um einzukaufen. Aber jetzt kaufe ich hier im polnischen Laden ein – saure Sahne, Wurst und andere Dinge."
Wer in Krisensituationen nicht weiter weiß, wendet sich an den Polnischen Sozialrat in Kreuzberg. Hier werden Bescheide geprüft und viele Fragen beantwortet – aktuell vor allem rund um die Corona-Soforthilfen:
Wer hat einen Anspruch auf (welche) Unterstützung? Viele Polen suchten hier nach Rat.

Kamila Schöll-Mazurek: Polnischer Sozialrat:
"Sehr viele Polen in Berlin sind selbständig. Viele von ihnen wussten nicht, ob die Corona-Soforthilfe auch für sie gedacht ist oder nicht. Es gab eine große Unsicherheit dadurch, dass es keine genauen Regeln gab. Es war nicht klar, wofür die Mittel bestimmt sind und wie sie ausgegeben werden dürfen."
Dutzende Anrufe und Mails gehen jeden Tag ein. Oft geht es um unbezahlten Urlaub und Kurzarbeitergeld. Einige Hilfesuchende fühlen sich sogar in ihrer Existenz bedroht.
Paweł Glapiński, Polnischer Sozialrat:
"Viele haben Angst, dass, wenn sie nach Polen reisen, sie zwei Wochen lang in Quarantäne müssen und ihr deutscher Arbeitgeber dann sagt: 'Hör mal, vielen Dank, du brauchst nicht mehr wiederkommen, ich habe zwei andere Leute hier, die deinen Job jetzt übernehmen können.' Und das führt dazu, dass unsere Klienten sich bedroht fühlen und auch psychologische Unterstützung brauchen.
Wer gar nicht mehr weiter weiß, ruft beim Telefon des Vertrauens des Vereins Polkie w Berlinie an.
Polen, die sich in einer Krise befinden, finden hier professionelle Hilfe in der Muttersprache: Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes, häusliche Gewalt oder Suchterkrankungen - in der Corona-Zeit werden diese Fragen plötzlich aktuell.
Psychologin Danuta Stokowski, die nicht erkannt werden möchte, erzählt uns von ihren telefonischen Beratungen.
Danuta Stokowski, Psychologin:
"Die Menschen sind nicht nur durch das Virus bedroht, sondern auch durch Gewalt vor allem. Und mit diesem Problem rufen Menschen an. Ich würde sagen, 60 bis 70 Prozent sind Themen, die um häusliche Gewalt kreisen. Meistens Frauen, die erst jetzt merken, dass sie seit Jahren in toxischen Beziehungen leben; die erst jetzt sehen, dass sie so viel leisten und so große Verantwortung tragen, dafür kaum wertgeschätzt werden und dass sie das nicht mehr aushalten können. Männer haben sehr oft Themen, die mit Sucht zu tun haben. Sehr viele Männer ziehen sich zurück, greifen zur Flasche. Sie sehen das, sie wollen das nicht, sie hielten sich schon einige Zeit für clean oder für trocken. Und jetzt sehen sie. Dass sie dem verfallen sind."

Wie weiter machen in der Krise, wenn man sich nicht begegnen kann?
Das Sprachcafe polnisch – ein Begegnungsort in Pankow – hat viele seiner Veranstaltungen deshalb ins Internet verlegt. Auch das wöchentliche Frühstück auf Polnisch.
Agata Koch, Sprachcafe Polnisch:
"Durch die digitalen Formate haben wir Menschen erreicht, die hier gar nicht wohnen gar nicht leben. Und trotzdem diesen Gedanken mittragen: Es ist wichtig, zusammenzuhalten und positiv in die Zukunft zu schauen."
Autor: Raphael Jung