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Legion - Hacking Anonymous: Guess Who's Back (1/6)

Das Hacker-Kollektiv Anonymous scheint jahrelang fast verschwunden, plötzlich ist es wieder da: mit einer Kriegserklärung an Wladimir Putin, kurz nach Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine im Februar 2022. Aber wer sind die Hacker, die sich mit dem russischen Präsidenten anlegen? Begegnung mit einem von ihnen – in einem deutschen Dorf.

In dieser Folge von »Legion: Hacking Anonymous« schauen wir zurück auf die Anfänge des Kollektivs: 2008 wird das globale Phänomen Anonymous geboren. Durch ein YouTube-Video adressiert an Scientology. Die Marke Anonymous mit Logo und Guy-Fawkes-Maske entsteht. Und die Öffentlichkeit lernt ein neues Wort: Hacktivismus.

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Legion

Anonymous ist wieder da. Das Hacker-Kollektiv wendet sich Anfang 2022 mit einer Kriegserklärung direkt an Wladimir Putin und unterstützt seit Beginn des russischen Angriffskrieges die Menschen in der Ukraine. Aber: Wer ist Anonymous überhaupt?

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Transkript

- Transkript zu Episode 1: Guess Who's Back

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Transkript zu Episode 1

Khesrau Behroz
Wir sind in Warschau. Es ist April 2022, ziemlich kühl. Die Frau, die wir hier treffen wollen, sie ist extrem vorsichtig. Denn seit Kriegsbeginn in der Ukraine soll auch Warschau, die polnische Hauptstadt, voll sein von russischen Saboteur:innen und Spion:innen. Sylke, unsere Reporterin, steht an einer Straßenecke. Ein paar kleine Läden, eine Tramhaltestelle. Hier ist der Treffpunkt. Die Stadt ist grau, es regnet.

Und plötzlich klingelt Sylkes Telefon.

Sylke
Hello.

Yuliana
Hello. Just to make it faster.
You can walk towards the delicatessen and like to the corner.

Unser Kontakt lotst Sylke auf die andere Seite der Straße. Zu einem Restaurant.

Yuliana
Yep. Yeah. Go to this corner and then to the left. You'll need to cross this bakery, actually.

Dann zu einer Bäckerei.

Yuliana
I'm actually already at the. At the lights.

Und dann ein Stück weiter zu einer Ampel. Da steht sie. Eine junge Frau. Schwarze Brille, schwarzer Daunenmantel. Die Kapuze über den Kopf gezogen.

Yuliana
Hi. I'm sorry I haven’t realised it's raining.

Die Frau geht vor. Sylke folgt.

Sylke
It's terrible weather. It could be worse.

Sie sei extra aus New York nach Warschau angereist, sagt sie.

Yuliana
I know I need to focus on my work.

Nur für 2, 3 Tage, nur für einige Treffen.

Yuliana
But then there are photos from Butcha, from Ukraine. You know, kids are dying, and it's horrible. Yeah, but I have to do everything possible to stop it.

Die Bilder aus der Ukraine. Grausam. Sie wolle selbst eingreifen. In diesen Krieg. Mit ihren Mitteln.

Yuliana
Let’s cross here.

Denn angeblich gehört diese Frau, die Sylke jetzt durch die Straßen Warschaus führt, zu einer der wichtigsten Hacker-Gruppen der Welt. Zu einer Gruppe, der man zutraut, dem russischen Angriffskrieg wirklich zu schaden. Und von der niemand genau weiß, wer eigentlich dahintersteckt.

Yuliana
Let me check the code.

Es geht in ein altes Treppenhaus. Vorbei an ein paar älteren polnischen Frauen. Unsere Informantin führt Sylke in eine Ferienwohnung. Scheinbar unbewohnt, im Flur ein paar Plastiktüten und ein gepackter Koffer. Gleich nach unserem Gespräch, sagt sie, werde sie diesen Ort wieder verlassen. Und dann schließt sie die Tür.

Wer ist Anonymous?

Der Weg, der uns zu der Frau in Warschau geführt hat, ist verworren. Und ziemlich lang. Wir kommen später in diesem Podcast auf sie zurück. Und auf das, was wir in dieser Ferienwohnung erfahren haben.

(Sorry für den Cliffhanger.)

Also: Ich bin Khesrau Behroz.

Ich habe letztes Jahr einen Podcast gemacht. Cui Bono - WTF happened to Ken Jebsen. Es geht um den ehemaligen Fernsehmoderator und jetzigen Verschwörungstheoretiker Ken Jebsen. Eine zweite Staffel, übrigens, kommt sehr bald.

Und gerade als wir diesen Podcast über Ken Jebsen veröffentlicht haben, ungefähr zu der Zeit, da hackt das Hacker-Kollektiv Anonymous die Seite von Ken Jebsen, KenFM. Und ich habe mich sofort gefragt: Anonymous? Was machen die eigentlich? Und vor allem: Wer sind die überhaupt? Also haben wir uns auf die Suche begeben.

Herausgekommen ist dieser Podcast. Eine Geschichte über Helden, die vielleicht gar keine sind. Bei denen man nicht genau weiß, wer auf welcher Seite steht… Eine Geschichte über Anonymous.

Anonymous
Hello, we are anonymous. We hope you had as much fun as we are.

Alles beginnt in den 00er Jahren. Der Beginn eines neuen Jahrtausends. Millennium. In einigen Internetforen und Chatrooms treffen sich ein paar Nerds, posten schlechte Witze, basteln Memes, trollen andere Nutzer:innen. Manchmal hacken sie die eine oder andere Internetseite. Es ist quasi ein Freundeskreis. Er nennt sich: Anonymous. Und wenig später, das geht ziemlich schnell, ist Anonymous schon sowas wie eine Bewegung, die überall im Internet ihre Spuren hinterlässt.

Anonymous
And thank you for playing the game.

Anonymous prägt unser Bild von Hackern und Hacking, mit Computer verzerrter Stimme, Hoodie, Maske. Mit dieser Haltung von: Wir zeigen’s den Großen und Mächtigen. Ich begegne Anonymous 2011 das erste Mal so richtig.

Da veröffentlicht ein Hacker, ungefähr in meinem Alter damals, Anleitungen, wie man den Kopierschutz von PlayStation-Spielen umgeht. Sony verklagt ihn dafür. Ein Milliarden-Dollar-Unternehmen gegen so‘nen kleinen Hacker. David gegen Goliath, wenn man so will. Und dann betritt Anonymous die Bühne, stellt sich auf die Seite des Schwächeren. Und hackt: Sony.

Es ist damals einer der größten Hacks auf ein Unternehmen überhaupt. Es ist die Zeit, vor etwa zehn Jahren, da taucht Anonymous immer dann auf, wenn irgendwo etwas Brutales, etwas Ungerechtes passiert. Sie kämpfen gegen die Diktatur in Ägypten, später gegen ISIS, sie hacken das FBI, unterstützen WikiLeaks, die Geheimdienstinformationen aus den USA veröffentlichen. Anonymous inszeniert sich als Retter des freien Internets - und die Popkultur, die Medien, die Leute, sie lieben diese Geschichte.

Kriegsbeginn

Und jetzt, 2022, da hat sich Anonymous einen neuen, ziemlich…mächtigen Feind ausgesucht …

Anonymous
Greetings Citizens of the World, this is a message to Vladimir Putin from Anonymous.

Anonymous erklärt also Vladimir Putin den Krieg, kurz nach dem Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine im Februar 2022.

Viele Menschen weltweit freuen sich über diese Ankündigung, es gibt Support- und Reaction-Videos: Leute tanzen, setzen sich die berühmte Maske auf.

Und dann passiert es tatsächlich:

Dutzende russische Seiten gehen offline, Daten werden geleakt: Von Gazprom, Rosneft, von russischen Energiekonzernen, sogar von der russischen Staatsbank.Radiofrequenzen des Militärs werden gestört. Russische Fernsehsender manipuliert, plötzlich zeigen sie Bilder von ukrainischen Kriegsopfern. Es gibt Angriffe auf russische Flughäfen, aufs Bahnnetz. Angeblich sogar auf den Betreiber eines Atomkraftwerks.

Legion

Und: Es gibt Gegenangriffe. Russische Hacker greifen Ukrainische Kraftwerke an, das Europäische Satellitensystem wird gehackt - und russische Hackergruppen attackieren Anonymous.

Manuel Atug
Handlung, Gegenhandlung, Gegenhandlung, Gegenhandlung. Zack, dann hast du eine ganz schnelle weltweite Eskalation. Das muss ja nicht sofort passieren, das kann ja sich aufbauschen.

In diesem Podcast erzählen wir die Geschichte eines kometenhaften Aufstiegs.Die Geschichte von Anonymous, ist eine von Rebellion, mit viel Witz, eine Geschichte voll genialer Einfälle. Und…ja, auch ein paar Verbrechen… Es geht um verdeckte Operationen, Spion:innen und … die Ausspionierten.

Samira
Wer weiß, dass bei Anonymous immer, du weißt nicht, was für Menschen dabei sind.

Und deshalb geht es eben immer auch um diese eine Frage: Wer steckt hinter der Maske? Wer ist Anonymous - heute? Und: Können sie wirklich einen Krieg verändern? Oder: Ist das nicht alles eine Nummer zu groß? Wissen die, was sie da tun? Wir reisen quer durch Europa - von Deutschland in die Schweiz, Großbritannien, nach Polen, in die Ukraine

Sylke
Guten Morgen aus Lwiw.

Das ist Sylke Gruhnwald - ihr habt sie schon ganz am Anfang gehört, in Warschau. Sie ist eine erfahrene Krisenreporterin aus der Schweiz. Und Teil unseres Teams.Wir suchen monatelang einen Mann, der eine zentrale Rolle spielen soll bei Anonymous. Und unser Reporter Serafin Dinges findet ihn.

Serafin
Just a few questions. Just so you know what we're talking about.

… vor einem Einfamilienhaus in England

Ahmed Hafiz
No, no, no, no, no, no, no. I've got no idea.

Und auf unserem Weg, auf unserer Suche, stehen wir plötzlich inmitten eines Zimmers, von dem aus - mutmaßlich - russische Industrieanlagen gehackt worden sind.

Robert
War dann wohl Erfolg. Das war Genugtuung dann.

Wir nehmen Kontakt auf - mit Hackern in Russland und der Ukraine. Das ist Vika Soloviova, geboren in Kiew, sie spricht Russisch und Ukrainisch. Teil unseres Teams. 21, studiert in Berlin.

Vika
Und er wird auch ein Treffen für mich mit dem wichtigsten Hacker, deren Organisation bis Freitag noch arrangieren.

Wir treffen Menschen, die von ihrem Computer aus in den Krieg eingreifen .

Roman
But I don't care, even if I die doing what I do.

Und auf einmal sind wir mitten in einer Geheimdienstgeschichte.

Maschmeyer
Kann natürlich auch sein, dass da westliche Geheimdienste mit dabei waren. Unter dem Mantel von Anonymous…

Patrick
Das höre ich jetzt innerhalb von zwei Tagen schon zum zweiten Mal. Für wie wahrscheinlich hältst du das?

Das ist Patrick Stegemann. Investigativ-Journalist und er leitet diese Recherche.

Patrick
Ich möchte dieses Rätsel noch gerne lösen. Wir brauchen halt nur diesen CIA-Agenten, der uns erzählt.

Für rbb, NDR und Undone: Ich bin Khesrau Behroz. Und das… ist: Legion. Hacking Anonymous. Episode 1: Guess who's back.

Ein Anon auf dem Dorf

Unsere erste Begegnung führt uns an einen Ort, der… unscheinbarer wirkt als er am Ende ist. Ein kleines Dorf. In Deutschland. Genauer können wir das nicht sagen. Weiße Häuser, rote Dächer, hier und da Solarzellen obendrauf. Unsere Suche hat uns hierher geführt: In einen ehemaligen Gasthof: Draußen alte Bierwerbung, alte Lampen, gelblicher Putz an der Wand. Bier wird hier schon lange nicht mehr ausgeschenkt. Die Person, die bereit ist uns zu treffen, wohnt hier. Wir nennen ihn Robert, zu seinem Schutz, das ist nicht sein echter Name.

André
Hi. Hi. Na? Na, alles gut? Freut mich, dass es klappt. Ja.

Die andere Stimme, die Ihr hört, ist unser Reporter André. Robert hat das Gebäude vor drei Jahren gekauft. Mit dem Geld aus seinem IT-Job. Er will es nun von oben bis unten renovieren. Im Alleingang.

Robert
Genau das hier ist mein schönes tolles Reich in Anführungszeichen.

Robert gibt uns eine kleine Führung. Eine etwas unordentliche Mischung aus Vergangenheit und Zukunft, in der er da lebt.

Robert
Das ist der Gastraum

Ein paar Räume weiter stapeln sich Computer-Server vor marodem Fachwerk.

Ein 3D-Drucker steht vor einer halb zerfallenen Wand. Ohne Anschluss. Robert ist das, was ich einen Hacker nennen würde: Er kann programmieren, schraubt Computer auseinander, kennt sich mit Sicherheitslücken aus.

André
Hacker darf ich ja nicht sagen.

Robert
Ne.

André
Programmierer darf ich auch nicht sagen.

Robert
Richtig, hat damit nix zu tun. Keine Ahnung. Bürger?

André
Bürger mit ausführlichen Computerkenntnissen.

Robert
Beispielsweise, ja.

Demonstrant, Aktivist, keine Ahnung, irgendwie sowas

Robert schraubt schon als Kind an Computern herum, stößt dann als Student in Chatrooms auf eine Gruppe von Leuten, die sich für ähnliche Dinge interessieren.

Robert
Quasi meine Peergroup. Relativ junge, männliche, eher Nerds. Mit einem gewissen Sinn für. Ja, wie soll ich sagen, Gerechtigkeit.

Die Gruppe, mit der er sich da austauscht, so Mitte der 00er Jahre - sie nennt sich Anonymous. Und Anonymous ist damals eher so ein loser Verbund, der sich in Chatrooms trifft, über die gleichen Memes lacht und Seiten, Unternehmen, manchmal Personen angreift, die ihm nicht passen. Meist legt die Gruppe dann einfach die Webseiten lahm oder veröffentlicht erbeutete Informationen.

Robert
So bin ich quasi zu dieser Anonymous Aktion reingekommen und fand das lustig. Und dann ging es danach natürlich noch weiter und dann hat man wieder ein bisschen gepingt und getrollt. Und dann ist die Seite irgendwann offline und dann freuen sich alle. Party!

So – mit ein bisschen Party, locker ein bisschen Rumhacken - hätte es vermutlich immer weitergehen können mit Anonymous, aber Anfang 2008 erscheint ein Video, das alles verändert.

Scientology (2008)

Anonymous
Hello. Leaders of Scientology, we are anonymous. Over the years, we have been watching you.

Am 21. Januar 2008 um zehn Uhr abends an der Ostküste der USA - da lädt jemand ein Video auf einem neuen Youtube-Kanal: Message to Scientology. Es beginnt mit den berühmten Worten: „Führer von Scientology, wir beobachten euch seit Jahren.“

Anonymous
Anonymous has therefore decided that your organization should be destroyed for the good of your followers, for the good of mankind and for our own enjoyment.

Anonymous habe entschieden, Scientology zu zerstören - zum Schutz der Sektenanhänger, zum Nutzen der ganzen Menschheit… und weil’s halt Spaß macht. Zu sehen ist eine Schwarz-Weiß-Aufnahme eines Himmels, Wolken ziehen vorüber, ziemlich darke Musik.

Weltweit versammeln sich Tausende und folgen einer Idee, von der sie in einem Youtube-Video erfahren haben. Sie kommen in die Chatrooms, legen Internetseiten lahm, rufen zu Hunderten bei Scientology an, ordern massenweise Pizza - an die Adresse der Scientology-Kirchen. Und sie faxen schwarze Seiten. Ja, es ist eben 2008. Und Faxen: Still a thing.

Kurz: Anonymous trollt Scientology.

Im Internet. Aber auch auf der Straße.

Für Robert ist das die erste “Offline-Aktion”

Robert
Das hieß dann plötzlich ja, hast nicht Lust nach München zu kommen, die machen da was Lustiges. Ja was? Ja, die verarschen Scientology-Mitglieder.

In dutzenden Städten treffen sich Menschen zu großen Demonstrationen - gegen Scientology. Tausende am Time Square, Tausende in London. Es gibt Proteste in Sydney, Melbourne, in Tel Aviv, in Berlin, in München. Dieses Rick Astley Lied “Never Gonna give you up”: Das läuft damals überall.

Robert
Hallo, wir haben uns jetzt hier gefunden, wir machen das jetzt und jetzt gehts los.

Robert ist damals in München dabei. Auf dem Youtube-Kanal von Anonymous München kann man heute noch Videos der Proteste sehen. Wackelkamera, ziemlich schlechte Auflösung. Es ist eben 14 Jahre her.

Protestteilnehmer
Guten Tag, wir sind Anonymous und wir sind hier, um die Öffentlichkeit über die Pseudoreligion Scientology zu informieren.

Die Videos geben einen ganz guten Eindruck davon, wie die Proteste damals abgelaufen sind. Zwei Dutzend schwarzgekleidete Menschen, manche maskiert, manche verhüllt mit Schals, verteilen Info-Flyer. Das wirkt alles improvisiert, amateurhaft. Die Anonymousaktionen versprühen Leichtigkeit, Unerschrockenheit. Lust auf Ärger, Spaß an der Provokation.

Anonymous’ Aufruf gegen Scientology, das Video “Message to Scientology”: Sie schaffen etwas Neues. Sie verändern den Online-Protest. Und die Marke Anonymous entsteht. Der Slogan “Expect us”. Und dieses Logo: Ein kopfloser Anzugmann mit einem Fragezeichen als Kopf. Er steht vor den Umrissen einer Weltkugel, umrahmt von einem Ehrenkranz. Und: Die Öffentlichkeit lernt ein neues Wort: Hacktivism. Also Aktivist:innen, die hacken. Oder eben Hacker:innen, die auch Aktivist:innen sind.

Robert
Ich denke diese Kombination aus unterhaltsam das zu machen. Und Spaß daran zu haben. Zusammen mit. Das kann jeder. Der hat quasi den großen Durchbruch für Anonymous quasi an der Stelle gebracht.

Aus den Computer-Nerds und Trollen werden Hacktivist:innen. Auch aus Robert. Aber: Wie viele andere Anons - so nennt man Leute bei Anonymous - wie viele andere Anons der ersten Stunde auch zieht Robert bald weiter.Er wächst raus aus Anonymous und ihrer etwas teeniehaften Attitüde. Er studiert, tritt einer Partei bei, richtet sich ein, kauft diesen Gasthof. Und lange ahnt er nicht, dass ihn seine Anonymous-Vergangenheit irgendwann wieder einholen wird.

Amateur-Militäraufklärung

André
Wo steht denn jetzt dein Computer?

Robert
Hier um die Ecke. Achtung, Chaos. Entschuldigung

Robert
Das ist quasi meine Schlaf- und Arbeitshöhle.

Es ist die Nacht des Kriegsausbruchs in der Ukraine. Robert liegt im Bett. In seinem Schlaf- und Arbeitszimmer. Es ist der einzige beheizbare Raum in seinem Gasthof. Eine Matratze, ein Tisch. Darauf: Drei Computerbildschirme. In der einen Ecke ein Aquarium.

Robert
Wie gesagt, ich bin im Bett gelegen und hab halt zum gute Nacht nochmal durchgescrollt.

Robert ist damals vielleicht einer der ersten, der die beginnende Invasion bemerkte. Er verbringt viel Zeit vorm Rechner. Er ist in einer Gruppe von Aktivist:innen, die im Internet verfügbare Daten zum Krieg sammeln. So etwas wie Amateur-Geheimdienste: Sie versuchen, die russischen Truppenbewegungen öffentlich zu machen: Mit Google-Maps, anderen Satellitenbildern. Robert tut das schon seit Wochen, aber jetzt entdeckt er etwas…

Robert
Oh, die Staus bewegen sich alle langsam. Dann geht es ja jetzt wohl los. Und dann hieß es: Ah, wenn die sich so schnell bewegen, wie sie es auf Google Maps tun, dann sind sie um 5 Uhr in der Ukraine.

Kilometerlange Militärkolonnen. Auf dem Weg in die Ukraine.

Robert
Dann bin ich halt aufgeblieben.

Und da, plötzlich, postet jemand in seiner Gruppe Zugänge zu Webcams.

Robert
Guck mal her, da sind jetzt irgendwelche Leute mit Gewehren durchgelaufen durchs Bild.

In rauschigen Grautönen sieht man da einen Grenzübergang. Den zwischen Russland und der Ukraine …

Robert
Oh da, das ist neu. Und so ging es dann weiter, in der Nacht.

André
Und was hast du da gedacht?

Robert
Scheiße.

Hierzu muss man sagen: Dass Robert sich so für die Situation an der Grenze zur Ukraine interessiert. Schon vor der Invasion. Und dass er jeden Abend checkt, ob die russischen Soldaten sich vielleicht in Bewegung setzen. Das hat einen guten Grund.

Robert
Das ist eine neunköpfige Familie, also die wollten zu neunt kommen mit Tanten und zwei Hunden und Großeltern.

Robert hat als Schüler eine Zeit in der Ukraine gelebt. In Tschernigiw, nicht weit von der ukrainischen Grenze zu Russland lebt Roberts alte Gastfamilie.

Robert
Aber er ist der Andriy und sie ist Sonja, also der deutsche Name dazu. Sonja und ich nenne sie Sonja. Das darf ich. Es ist einfacher. Und Ja. die haben mich angeschrieben, dann also quasi so kurz nach Sonnenaufgang dort. Es geht los. Ist es okay, wenn wir jetzt schon kommen? Keine Frage, gebt Gas.

Gleich nach den ersten Raketen entschließt sich die Familie zu fliehen. Zu Robert nach Deutschland. In den alten Gasthof. Andriy und Sonya, die Eltern, sammeln noch ein paar Klamotten zusammen. Dann quetscht sich die Familie, 7 Menschen und 2 Hunde, ins Auto, so einen Golf 5. Und sie fahren los. Robert bleibt sitzen. Vor dem Computer. Und begleitet die Flucht. Remote, aus der Entfernung.

Robert
Gibt es denn da noch irgendwelche Wege, die passierbar sind? Und wenn es dann halt hieß, ja da und dort wird gekämpft, dann erwartet man, dass in irgendeiner Form und Art und Weise, dort zumindest Staub, Rauch, sonst was aufgewirbelt wird. Und dann kann man so anhand von Panoramacams, die eher so für Naturfreunde sind, kann man halt nachvollziehen. Okay, na, du blickst das ganze Tal runter. Okay, dahinten ist kein Rauch, vermutlich kein Kampf.

Dabei sieht Robert in Echtzeit, wie das Familienauto von Andriy und Sonya sich langsam fortbewegt. Andriy hat seinen Standpunkt geteilt, in einer Messenger-App. Irgendwann hat das Auto der Familie eine Panne. Bleibt einfach stehen. Robert, ausgebildeter Automechatroniker, hilft der Familie bei der Reparatur, von seinem Schreibtisch aus.

Robert
Ja, ein Motorschaden. Na ja mit Telegram, Videochat und einem Übersetzer dazu, der quasi von Englisch übersetzen konnte.

Die Reparatur gelingt tatsächlich, die Familie kann die Fahrt fortsetzen. Robert sieht das Auto da also als Punkt auf der Karte - und navigiert es tausende Kilometer entfernt durch das Kriegsgeschehen - mit Hilfe von Satellitenkarten und Überwachungskameras.

Robert
Kommt man noch über die Brücken? Sind die gesprengt? Sind die von den russischen Marschflugkörpern getroffen worden?

Der Punkt auf der Karte, er wandert langsam. Vom Nordosten der Ukraine Richtung Westen, erst Richtung Kiew, dann immer weiter. Mit Robert als ihr Navigator, der unablässig Videos und Livestreams schaut und analysiert, was in diesem Krieg vor sich geht.

Robert
In Echtzeit, unverpixelt angeschaut. Mit allem, was da rauskam an Inhalt, nicht schön. Man will das auch nicht alles sehen. Ähm. Und der Punkt, wo ich aufgehört habe, das zu tun, das war dieser Krankenwagen.

Er sieht ein Telegramvideo, das alles verändert.

Robert
Und das war ein Video von einem zerschossenen Krankenwagen auf einer Straße. Und die beiden Mediziner. Einer lag im Straßengraben.

Das Video, das Robert hier sieht, wir haben das gecheckt. Das gab es wirklich. Und soweit man das in diesen Tagen sagen kann: War es echt. Es ist ziemlich brutal, deswegen gehen wir hier nicht ins Detail.

Robert
Da ist einfach rum. Das hat mich halt komplett getroffen. Das hat mich geistig nicht mehr losgelassen.

Angriffsmodus

Robert steht erstmal vom Computer auf, irrt durchs Haus.

Robert
Das war zwei, drei Stunden, bis ich dann gesagt habe, jetzt gehe ich an Computer, jetzt geht es los.

Er ist wütend. Und schaltet in den Angriffsmodus.

Robert
Das war der Moment, an dem ich gesagt habe, da muss einfach was passieren. Und ja, ich kann Dinge tun, und tue jetzt Dinge.

Dinge … Was er damit genau meint, sagt erstmal Robert nicht. An dieser Stelle im Interview wird er sowieso plötzlich etwas vage. Wir fragen also nochmal nach.

André
Kannst du es genauer erklären?

Robert
Welche Geräte, welche Einfallstore, was ist es da, was haben sie da in Russland ganz häufig, was hast du da immer gesehen, was haben sie da häufig verbaut, was gibt's an China-Kram in Anführungszeichen, der oft von Firmen oft eingesetzt wird.

Wahllos sucht er nach Angriffszielen für seine Cyberattacke.

Robert
Öffentliche Plätze, Parkplätze, Parkhäuser, irgendwelche Treppenhäuser, irgendwelche Lifte.

Er zappt sich quasi einmal quer durch Russland. Stundenlang sucht er so rum.

Robert
Das Eichhörnchen sammelt auch viele kleine Nüsse.

Irgendwann findet er dann tatsächlich “interessantere” Ziele. Orte, an denen er wirklich realen Schaden anrichten könnte. Und dann, landet er einen Volltreffer.

Robert
Jetzt ist Payback. Jetzt kriegst du, also jetzt haue ich dir auf die Fresse. Jetzt, jetzt, pass auf! Ja, genau richtig, richtig, niederträchtig, Rache. Ja, ist primitives Gefühl, aber es tut unheimlich gut. In dem Moment.

Robert ist euphorisch, er malt sich aus, was er nun alles anrichten kann - und tut dann etwas, das er später bereuen wird

Robert
Das habe ich jetzt gemacht und das war vielleicht dumm. Das war natürlich dumm.

In der nächsten Folge von: Legion. Hacking Anonymous