Amri trotz Genehmigung nicht länger observiert - Grüne fordern Aufklärung zu Abläufen im LKA

Fr 31.03.17 | 21:53 Uhr
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ARCHIVBILD - Benedikt Lux (Grüne) spricht bei einer Kundgebung. (Quelle: Imago/Seeliger)
Video: Abendschau | 31.03.2017 | Jo Goll & Norbert Siegmund | Bild: Imago/Seeliger

Amri habe nicht dem klassischen Bild eines islamistischen Gefährders entsprochen, hieß es bislang zur Begründung, warum die Observierung des späteren Attentäters abgebrochen wurde. Recherchen des rbb zeigen, dass es auch eine andere Einschätzung gab. Der Grünen-Abgeordnete Lux fordert nun Aufklärung.

Im Fall des Attentäters Anis Amri fordern die Berliner Grünen, die Abläufe im Landeskriminalamt (LKA) unter die Lupe zu nehmen. Die Situation schreie nach weiterer Aufklärung, sagte der innenpolitische Sprecher der Fraktion, Benedikt Lux, am Freitag im Inforadio.

Er bezog sich dabei auf Recherchen des rbb. Demnach hatte sich die Leitung des LKA bei der Entscheidung, die Observation Amris zu beenden, über Bedenken der Fachebene hinweggesetzt. Lux nannte den Umgang der Polizeiführung mit diesen Bedenken höchst ärgerlich. Anstatt sie zu erwähnen, habe man im Januar die Legende verbreitet, Amri sei lediglich ein Kleinkrimineller.

Keine Beobachtung - trotz Genehmigung

Die Observierung von Amri war Mitte Juni des vergangenen Jahres beendet worden. Nach rbb-Recherchen gab es innerhalb des Berliner LKA allerdings sehr wohl die Einschätzung, dass von Amri weiterhin Gefahr ausgehe. In einem "Sachstandsbericht" des Berliner LKA, der Ende Juni 2016 - also zwei Wochen nach Einstellung der Observation - erstellt wurde, heißt es, Amri verkehre weiterhin mit zwei radikalen Salafisten.

Eine weitere Obervation wurde demnach auch gerichtlich genehmigt - doch sie wurde nicht durchgeführt. Zwar wurde Amris Telefon abgehört, doch er selbst wurde nicht beobachtet. Vor dem Attentat in Berlin konnte Amri sich frei in Deutschland bewegen.

Polizei bleibt bei Bewertung

Zwar wurde in Politik und Polizei eingeräumt, es sei ein Fehler gewesen, die Observation von Amri zu beenden. Zur Begründung hieß es bislang allerdings, dass die Berliner Sicherheitsbehörden damals zu der Auffassung gelangt seien, dass Amri keine Gewalttat plane. Auch habe er sich aus dem islamistischen Umfeld zurückgezogen. Amri sei vielmehr ins kleinkriminelle Milieu abgerutscht.

Die Berliner Polizei erklärte zu dem "Kontraste"-Beitrag am Freitag, die darin erwähnten Berichte vom Juni 2016 und August 2016 seien gefertigt worden, um unter anderem "Telekommunikationsüberwachung und Observationsmaßnahmen" bei Amri vornehmen zu können. Eingeflossen seien neben dem beobachtetem Verhalten Amris auch Prognosen und Bewertungen in Bezug auf den Tatvorwurf eines geplanten Anschlags.

Anhand der Ermittlungen sei deutlich geworden, dass sich Amri im Bereich der Drogenszene bewegt habe, "Hinweise auf konkrete Anschlagsplanungen gab es nicht".

Kandt: Keine Hinweise auf bevorstehenden Anschlag gehabt

Mit Blick auf die bewillgten Anträge zur Überwachung, die jedoch nicht durchgeführt wurde, sagte der Berliner Polizeipräsident Klaus Kandt am Freitag im rbb: "Amri ist bis zum Schluss als Gefährder eingestuft worden und die entscheidende Frage war, müssen wir wirklich jetzt mit einer konkreten Attentatsplanungen rechnen oder nicht." Dies hätte zum damaligen Zeitpunkt nicht bejaht werden können, sagte Kandt in der rbb-Abendschau. "Wir mussten feststellen, dass trotz der Gefahrenprognosen, die wir gemacht haben, tatsächlich keine Fakten feststellen konnten [...], die auf die Vorbereitung eines Anschlags hingedeutet haben", so Kandt.

Geisel kannte LKA-interne Einschätzung nicht

Er habe nicht mehr "dem Bild des islamistischen Überzeugungstäters" entsprochen, sagte Innensenator Andreas Geisel (SPD). Der Chef des Berliner LKA hatte erklärt, "es ist nicht so, dass irgendeiner, der gestern noch Kleinkrimineller war, plötzlich einen Anschlag begeht". Geisel selbst sagte in einer ersten Reaktion auf die rbb-Recherchen, dass er die zitierten "Sachstandsberichte" nicht gekannt habe. Ein Sprecher der Innenverwaltung sagte dem rbb, Geisel habe in den Sitzungen des Innenausschusses auf Grundlage der vorgelegten Informationen der Sicherheitsbehörden Rede und Antwort gestanden.

Amri hatte am 19. Dezember einen LKW auf den Weihnachtsmarkt an der Gedächtniskirche gelenkt. Bei dem Anschlag kamen zwölf Menschen ums Leben, mehr als 60 wurden verletzt.

Mit Informationen von Sascha Adamek, Jo Goll, Susanne Opalka und Norbert Siegmund

Sendung: Abendschau, 31.03.2017, 19.30 Uhr

1 Kommentar

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  1. 1.

    Wenn sich die jetzt auftretenden Kontrahenten bewusst machen würden, dass alles, was in Bezug auf Amri und auch den anderen, die den Behörden durch´s Netz gingen, auf Vorgefasstheiten und auf Abwägungsentscheidungen beruhen und im Falle eigener Regierungsbeteiligung mit ziemlicher Sicherheit genauso abgelaufen wären, würde die Glaubwürdigkeit gegenüber der verfassten Politik an und für sich auch wieder steigen können.

    So aber dienen die Vorwürfe in erster Linie dazu, das eigene Profil zu schärfen, die Anhänger um sich zu scharen und das gedankliche eigene Mittun - Stichwort: Vorwurf des Racial Profiling - nicht wahrnehmen zu wollen. Das ist ein Teil der Vorgefasstheit, dass Menschen aus anderen Kulturen zuallerletzt nachzuspüren sei. Offenheit hieße, da keine Unterschiede zu machen und möglichen Tätern ohne Ansehen ihrer Herkunft nachzugehen.



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