Interview | Berliner Senatsbaudirektorin Lüscher - "Es waren die schönsten fünf Jahre, und es wird nicht mehr schöner"
Ende Juli verabschiedet sich die Berliner Senatsbaudirektorin Regula Lüscher nach 14 Jahren aus dem Amt. Für fünf Senatorinnen und -senatoren war die Schweizerin tätig. Besonders an die zurückliegende Legislaturperiode denkt sie gern zurück.
rbb: Frau Lüscher, die Nachricht, dass Sie Ihren Job hier in Berlin an den Nagel hängen, platzte relativ überraschend in die Stadt hinein. Wie haben sich die vergangenen Tage für Sie angefühlt?
Regula Lüscher: Ein wenig turbulent, aber sehr gut. Das Schöne ist: Wenn man aufhört, kommen Leute auf einen zu und sagen einem schöne Dinge. Und es fühlt sich gut an, weil Erleichterung zu spüren ist, und ich mich sehr auf die Zukunft freue. Aber ich habe auch schon ein, zwei Tränen verdrückt.
Hand aufs Herz: Waren Sie nicht auch einfach ein bisschen genervt von dieser Stadt?
Nein, das ist nicht der Punkt. Es sind verschiedene Aspekte. Einerseits möchte ich endlich mehr Zeit mit meiner Familie verbringen. Mein Mann lebt in der Schweiz. Wir haben 14 Jahre eine Fernbeziehung geführt, und das ist jetzt genug. Zweitens: Ich bin ja Architektin, und diese kreative Seite drückt einfach wieder viel mehr durch. Ich muss da was tun. Ich werde auch eine Weiterbildung machen. Und der dritte Grund ist: Ich habe meine Arbeit hier für mich abgerundet. Die letzten fünf Jahre waren sehr, sehr erfüllend. Es waren die schönsten fünf Jahre, und es wird nicht mehr schöner.
Warum waren es gerade die letzten fünf Jahre?
Ich glaube, das Erste war schon, dass ich einfach in einem tollen Team gearbeitet habe. Da war so viel Freude, so viel Zusammenhalt, aber auch so viel gemeinsame Energie, Dinge zu bewegen. Das war einfach noch nie da. Das Zweite ist: Durch diese rot-rot-grüne Koalition und das "linke Haus", in dem ich mich jetzt befinde, konnte ich noch viel mehr die Dinge so tun, wie ich sie immer schon tun wollte.
Mir war immer Beteiligung ein ganz wichtiges Thema, aber auch Nachhaltigkeit, der Klimaschutz. Wie sollen die Städte sich in Zukunft verändern? Wie wollen wir in Zukunft wohnen und leben? All diese Dinge konnte ich jetzt viel stärker voranbringen. Und das i-Tüpfelchen ist schon Tegel, das Schumacher-Quartier. Dass ich noch diese Idee voranbringen konnte, ein Quartier ganz aus Holz zu bauen. Das sind einfach Dinge, die mich wirklich erfüllen.
Heißt das im Umkehrschluss, dass Themen wie Nachhaltigkeit oder Beteiligung aus Ihrer Sicht bei den SPD-Senatorinnen und -Senatoren nicht ganz so hoch im Kurs standen?
Ich glaube, es hat auch etwas mit dem Abgeordnetenhaus zu tun. Es ist einfach so, dass sowohl die Linke als auch die Grünen einen stärkeren Fokus darauf setzen. Es hat aber auch damit zu tun, dass die Stadt sich verändert hat und diese Initiativen und ihre Power und ihr Wissen viel mehr wertgeschätzt werden. Dass wir offensichtlich besser aufgestellt sind, um mit diesen Menschen in einen wirklichen Dialog zu treten. Projekte wie das Haus der Statistik, das Dragoner-Areal und zum Beispiel der große Erfolg des Quartiers am Blumengroßmarkt, das den Deutschen Städtebaupreis erhalten hat, sind einfach Beweise, dass es jetzt wirklich gelingt, diese Stadt gemeinwohlorientierter zu entwickeln, und dass auch die Partner und Partnerinnen da sind, die das können.
Diese Beteiligungsprozesse sind umstritten. Manchen wird zu viel geredet und am Ende kommt zu wenig dabei raus. Gleichzeitig gibt es auch Architektinnen und Architekten, die jeden Einspruch als ehrverletzend oder zumindest lästig empfinden. Woher kommt da Ihre Leidenschaft für Beteiligung?
Ich glaube, das liegt auch daran, dass ich in der Schweiz sozialisiert wurde. In einem Land, das sehr konsensorientiert ist, mit einem politischen System, in dem man, um Dinge durchzubringen, nicht nur in der Koalition Unterstützung braucht. Man muss immer wieder in einem Konkordanzsystem alle Parteien gewinnen und eben auch die Bürger und Bürgerinnen, weil die ja über alles abstimmen. Das hat sicher einen wichtigen Einfluss. Aber ich liebe einfach auch das Arbeiten im Team. Ich bin überzeugt, dass Entscheidungen besser sind, wenn man aus unterschiedlichen Richtungen auf ein Problem geguckt hat. Darum habe ich zum Beispiel ein Baukollegium. Und wenn man das breiter denkt, ist man ganz schnell bei der Bürgerbeteiligung.
Das Baukollegium war auch immer von Kritik begleitet. Es hieß: Das sei alles nicht richtig transparent und am Ende bekämen immer die gleichen Büros die Zuschläge. War das für Sie Kritik, die eben dazugehört oder haben Sie auch etwas gelernt?
Erstmal muss ich sagen: Ich habe das Baukollegium ins Leben gerufen, weil ich eben gerade nicht in meinem Büro, im stillen Kämmerlein, Architekten und Bauherren beraten oder zu etwas drängen wollte und keiner kriegt’s mit. Sondern ich wollte ein Baukollegium, in dem andere mitdiskutieren und vielleicht auch eine andere Meinung haben. Eine Weiterentwicklung war für mich, dass das Baukollegium dann öffentlich wurde. Da gab es auch Druck von außen. Aber weil ich auch Politikerin bin, wusste ich ganz genau: In dieser komplizierten Stadt, in der Baukultur zwischen Bezirken und Senat ausgehandelt wird und es immer parteipolitische Ränkespiele gibt, kann man so etwas nicht öffentlich machen, bis sich da eine gewisse Umgangskultur eingespielt hat. Sonst wäre kein einziger Bauherr in dieses Kollegium gekommen.
Die Architektenkammer hat geschrieben, dass Sie mit ihrer "eher leisen, aber nicht weniger nachdrücklichen Art und einem guten Auge für Qualität" einer neuen Planungskultur zum Durchbruch verholfen hätten. Sehen Sie das auch so?
Ja, da ist schon ein Schwerpunkt. Ich bin überzeugt, dass Stadtentwicklung ein prozessualer Vorgang ist und dass man nicht par ordre du mufti eine Vision aufzeichnen kann. Aber gleichzeitig glaube ich, dass ich auch Maßstäbe gesetzt habe in der Frage, wie man Architektur beurteilt. Ich bin eben auch Vollblutarchitektin und kann das sehr gut bis ins letzte Detail. Ich lege Wert darauf, dass man Bauprojekte bis zum 1:1-Modell begleitet. Wo man sieht, wie das Material, wie ein Fensteranschlag und wie die Lichtwirkung ist. Da muss man immer dranbleiben, einfordern und kontrollieren, um das Beste rauszuholen. Weil Architektur erst dann wirklich beim Menschen ankommt, wenn man sie mit allen Sinnen erfassen kann, sie sieht, sie riecht, sie hört.
Nun geht Ihre Ära also zu Ende. Was von dem vielen, das noch im Werden ist, hätten gern noch bis zum Ende begleitet?
Ich glaube, am meisten Tegel. Das hätte ich noch gerne weiterentwickelt. Ansonsten habe ich das Gefühl: Ich habe die Dinge zu Ende gebracht. Ich hätte zwar noch gern die Komische Oper und das Bauhaus-Archiv zu Ende gebaut, aber das werde ich ja erleben. Ich werde noch in zehn Jahren durch diese Stadt gehen und immer wieder sehen: Ach ja, da war ich auch noch beteiligt, das habe ich noch angestoßen. Und ich freue mich, wenn einfach mein Erbe in jüngere Hände übergeben wird, weil ich glaube, nach 14 Jahren ist jetzt eine neue Generation dran.
Vielen Dank für das Gespräch.
Mit Regula Lüscher sprach Thorsten Gabriel für Inforadio. In diesem Beitrag ist das Originalinterview gekürzt und leicht redigiert. Das Originalgespräch können Sie mit Klick auf das Audiosymbol oben im Artikel nachhören.
Sendung: Inforadio, 28.06.2021, 10:45 Uhr