Interview | Kriegsschäden in Berlin - "Einschusslöcher sind die Wunden Berlins"

Di 14.04.15 | 18:28 Uhr | Von Hanna Metzen

Ob an der alten Nationalgalerie oder am Berliner Dom: Nur noch wenige Einschusslöcher zeugen von der Trümmerstadt, die Berlin vor 70 Jahren war. Die spanische Fotografin Aina Climent hat diese letzten Spuren des Krieges bildlich festgehalten. Im Gespräch mit rbb online erzählt sie, was sie an Einschusslöchern fasziniert.

Frau Climent, Sie haben 2011 eine ganze Fotoserie über Berliner Einschusslöcher gemacht. Gibt es einen Ort, der Ihnen besonders in Erinnerung geblieben ist?

Beeindruckt hat mich der Invalidenfriedhof in Mitte, wo es viele zerstörte Gräber gibt. Der Krieg kommt also selbst an einen Ort, von dem man denkt, dort endlich in Frieden ruhen zu können. Auf dem Friedhof sind viele Soldaten begraben - aber jetzt sind die alten Helden nichts mehr. Und man findet hier nicht nur Kriegsschäden des Zweiten Weltkriegs, sondern auch ein Stück der Berliner Mauer, die mitten durch den Friedhof verlief. Ich habe den Invalidenfriedhof immer als Symbol für die Brutalität des Krieges und der Diktatur wahrgenommen.

Sie sind auf Mallorca geboren, wo Sie seit kurzem auch wieder leben. Wie kamen Sie auf die Idee, in Berlin alte Einschusslöcher zu fotografieren?

Ich bin 2009 nach Berlin gezogen und habe mich wie viele andere in die Stadt verliebt. Fotografie war die Art, wie ich die Stadt kennen gelernt habe - in den ersten Jahren habe ich einfach alles in Berlin fotografiert. Außerdem bin ich ganz oft mit dem Fahrrad gefahren, immer von Kreuzberg, wo ich gewohnt habe, nach Mitte. Dabei sind mir die Einschusslöcher aufgefallen. Als Ausländerin hat man vielleicht einen distanzierteren Blick, man ist neugierig und man sieht Dinge, die ein Berliner nicht mehr wahrnimmt.

Welche Bedeutung hat der Krieg auch heute noch für Berlin?

Man kann Berlin nicht ohne Krieg denken, der Krieg ist immer da. In Berlin gibt es viel geschichtlichen Tourismus. Die Leute kommen nach Berlin und denken an den Nationalsozialismus, die DDR oder die Mauer. Es ist also eigentlich nicht komisch, dass ich als Spanierin daran gedacht habe.

Ist das in Spanien anders?

Ich finde es beeindruckend, wie wichtig diese Politik des Erinnerns in Deutschland ist. Nie wieder Krieg, niemals vergessen - das ist in Spanien ganz anders. Versucht man hier, über die Vergangenheit zu sprechen, wird man ignoriert. Der Bürgerkrieg ist ein Tabu.

Was fasziniert Sie gerade an Einschusslöchern?

Über Einschusslöcher wird in Berlin nicht so viel gesprochen, da muss man schon genauer hinschauen. Es gibt zum Beispiel kaum Informationen dazu, ich musste alle Löcher selbst suchen. Deswegen finde ich das Thema wichtig.

Auf der anderen Seite sind Einschusslöcher viel direkter: Viele Dinge des Krieges sind heute verschwunden und Einschusslöcher gehören zu den letzten Spuren, die einen echten Bezug zum Krieg haben. Denkmäler sind natürlich auch wichtig, aber Einschusslöcher können einem ein viel unmittelbareres Gefühl vermitteln. Ich habe mir vorgestellt, wie die Bewohner dieser Häuser den Krieg erlebt haben. Solche Kriegsspuren können ein Gefühl vermitteln, das Bücher nicht geben können.

Spannend finde ich auch, dass es kein Gesetz oder Kriterium gibt, was mit ihnen geschieht. Jedes Einschussloch sieht anders aus. Einige sind einfach so gelassen worden, andere wurden zum Beispiel mit Vierecken bedeckt.

Wie sollte denn mit beschädigten Fassaden umgegangen werden - sanieren oder so erhalten, wie sie sind?

In Berlin gibt es nicht mehr viele Fassaden mit Einschusslöchern. Jahre bevor ich meine Fotoserie gemacht habe, habe ich zum Beispiel ein vom Krieg beschädigtes Haus in der Oderberger Straße in Prenzlauer Berg gesehen. Als ich es später fotografieren wollte, war es schon saniert. Sanieren ist immer ein wenig, als würde man mit einer Schönheits-Operation Falten entfernen, oder als würde man die Erinnerung löschen. Aber wenn man die Erinnerung verliert, verliert man auch Identität - man weiß nicht mehr, wer man ist. Die Berliner wollen natürlich nicht in einer Ruinenstadt leben, aber ich finde, man sollte die verbleibenden Einschusslöcher erhalten. Auch ein Haus ist ein Denkmal.

Sind Einschusslöcher also die Falten Berlins?

Ich habe sie immer als Wunden, Falten oder Narben gesehen. Ich bewundere die deutsche Politik des Erinnerns, aber sie ist sehr offiziell, sehr streng. Gerade in Deutschland will sich die Gesellschaft immer unverletzlich zeigen, alles kontrollieren und keine Fehler machen. Es ist aber manchmal auch wichtig, die Verletzlichkeit einer Gesellschaft zu zeigen. Deswegen hat mir das Symbol der Wunde so gut gefallen, als Symbol für Verletzlichkeit. Das wollte ich auch mit meinen Fotos zeigen.

Hat es lange gedauert, die richtigen Fotomotive zu finden?

Von meinen Fahrradtouren in Berlin hatte ich schon einige Motive im Kopf. Das ging dann ziemlich schnell - einen Monat oder zwei vielleicht.

Ihre Fotos zeigen nicht nur das Einschussloch, sondern auch die Umgebung. Warum?

Ich habe auch ein paar Detailaufnahmen gemacht, aber ich wollte die Einschusslöcher vor allem darstellen als Hintergrund für ein Leben, das weitergeht. Deshalb habe ich versucht, Menschen in Zusammenhang mit den Kriegsschäden zu fotografieren - Menschen, die einfach weiter ihr Ding machen, Fotos schießen oder durch die Stadt spazieren. Ich wollte ein bisschen mit der Komposition spielen.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Hanna Metzen.

Auszüge aus der Fotoserie von Aina Climent

Beitrag von Hanna Metzen

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