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Zwischen dem heutigen Berlin und dem Berlin der 1920er Jahre bestehen viele Parallelen - Wohnungsknappheit ist eine der negativen Gemeinsamkeiten. Stadthistoriker Michael Bienert entführt uns in das Berlin vor hundert Jahren und zeigt uns, wie die Menschen damals lebten, als das so genannte Groß-Berlin entstand.
Mit Michael Bienert gehen wir auf Zeitreise. Er ist Experte für die zwanziger Jahre. Das größte Problem damals ist die Wohnsituation, ähnlich wie heute. Die Mieten sind die höchsten im ganzen Land. Was heute saniert ist, sah damals so aus.
Michael Bienert, Stadthistoriker
"In den 20iger Jahren fehlten in Berlin ungefähr 150.000 tausend Wohnungen, es ware viele Wohnungen die bewohnt waren, aber auch nicht in einem menschenwürdigen Zustand. Sie waren übervölkert, es gab ein oder eineinhalb Zimmer Wohnungen, da wohnten sechs, acht, zehn Leute drin ganze Familien in Kellerlöchern, das war ein ganz großes soziales Problem."
Die Wende kommt 1920 mit der Gründung von Groß-Berlin: helle weitläufige Wohnsiedlungen. Sechs wurden damals gebaut. Im Prenzlauer Berg die Wohnstadt Carl Legien mit 1100 Wohnungen. Michael Bienert nimmt uns mit in das heutige UNESCO-Weltkulturerbe - in der die Geschichte noch ganz lebendig ist: Herr Kagemann ist 99 Jahre alt!
Michael Bienert, Stadthistoriker
"Wann sind sie denn eingezogen?"
Herr Kagemann, Anwohner
"30, 1930, ich komme mal runter."
Heinz Kagemann, seine Frau wohnt seit 90 Jahren hier
"Die waren zufrieden, das sie ein Bad hatten, die kamen aus dem Südosten, Gebiet Görlitzer Bahnhof und da hatten sie mit vier Personen eineinhalb Zimmer also und dann war das hier eine Luxuswohnung."
Damals ist das Café Eckstern ein Tabakladen. Der heutige Besitzer hat sich vor sieben Jahren in den Ort verliebt.
Gose, Architekturfan und Cafebesitzer
"Keiner hat diesen Laden in dieser wundschönen Siedlung von Bruno Taut gesehen und als ich kam, habe ich gedacht, wow die Siedlung hier, braucht eine Unterhaltung, Kultur und ein schönes Stylisches Café."
Der Architekt Bruno Taut plant die Wohnungen hell, luftig und zweckmäßig - Balkon oder Loggia sind als zusätzlicher Raum gedacht mit Blick ins Grüne für alle.
Michael Bienert, Stadthistoriker
"Es gibt eigentlich keine Hierarchie, nicht so wie in der Mietskaserne, es geht immer weiter nach hinten und es wird immer schäbiger, sondern es sind eigentlich alle Wohneinheiten gleichberechtigt. Und es steht für etwas, was auch sehr wichtig war für diese Art von Siedlungen, die sollten den Leuten auch ein Gemeinschaftsgefühl vielleicht so ein demokratisches Gefühl vermitteln."
Am 1. Oktober 1920 werden durch das „Groß-Berlin-Gesetz“ die sieben selbständigen Nachbarstädte von Berlin eingemeindet, unter anderem Charlottenburg, Köpenick und Lichtenberg.
Michael Bienert, Stadthistoriker
"Vor 1920 war dieses gebiet vom stören Großberlin ein totaler Flickenteppich, man hatte acht Städte davon waren sechs Großstädte, man hatte dann noch viele Landgemeinden und Gutshöfe und anderes und jede Gemeinde hat so ihre eigene Kommunalpolitik gemacht."
Das ändert sich fast über Nacht. Wohnungsbau, Verwaltung, Transportwesen - alles wird zusammengelegt. Statt der vielen Straßenbahngesellschaften, wird die BVG gegründet. Allen Berlinern soll ein Mindeststandard bei Bildung, Gesundheit, Wohnen und Erholung ermöglicht werden. All das erzählt jetzt eine Ausstellung über (100 Jahre) Groß-Berlin im Märkischen Museum.
Der Historiker Gernot Schaulinksi hat sie geplant und Michael Bienert als Experten dazu geholt.
Michael Bienert, Stadthistoriker
"Das zeigt vor allem auch wie sich Berlin dann in die Fläche entwickeln sollte, die meisten dieser Neubausiedlungen, von denen wir eine ja gesehen haben, die liegen hier eben so in dem Kranz dessen, was damals 1920 neu zu Großberlin dazugekommen ist."
Heute klingen viele Fragen von damals immer noch erstaunlich aktuell. Neue Lösungen sind gefragt, auch daran erinnert der Blick auf 100 Jahre Groß-Berlin.
Autorin: Bettina Lehnert