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Historische Rekonstruktion oder moderne Ikone? Jahrelang gab es Diskussion, wie das Humboldt Forum eigentlich aussehen soll. Den Wettbewerb gewann schließlich der Entwurf des Italieners Franco Stella, der das Alte mit dem Neuen verbindet. Der Architekturkritiker Rainer Haubrich hat die Entstehung des Humboldt Forums jahrelang begleitet und ein Buch darüber geschrieben. Er nimmt uns mit auf einen Spaziergang durch die neue Mitte.
Rainer Haubrich, Architekturkritiker
"Ich verstehe ja die Frage von manchen Berliner*innen oder Zeitgenossen: Was ist eigentlich das Besondere, das Tolle an dem Berliner Schloss? Ich finde, wenn man sich an diese Stelle stellt und durch diese Gasse schaut und das Schlossportal Drei, das Triumphbogenportal und die Kuppel im Sonnenlicht sieht, dann ist die Frage beantwortet. Das ist einfach ein ganz ganz außergewöhnliches Gebäude."
Der Architekturkritiker Rainer Haubrich kommt jeden Tag auf seinem Arbeitsweg von Mitte nach Kreuzberg hier vorbei. Für ihn ist es ein Wunder, dass das Schloss überhaupt gebaut wurde.
Rainer Haubrich, Architekturkritiker
"Wenn man Menschen in Berlin nach dem Mauerfall gefragt hat, was das Berliner Schloss war, kannte es niemand. Es war aus dem Gedächtnis verschwunden. Als dann die ersten Personen auftauchten, die vorgeschlagen haben, das Schloss zu rekonstruieren, haben alle Experten gesagt, dass das nicht geht; dass man es allein handwerklich und künstlerisch nicht hinbekommt; dass es keine Pläne gibt; dass es keine Fragmente gibt; dass man es nie wird bezahlen können."
Rainer Haubrich hat ein Buch über das Schloss geschrieben und erzählt, wie umstritten das Projekt am Anfang war. Er hat mit Begeisterung beobachtet, wie über acht Jahre hinweg aus dem Luftschloss ein richtiges Gebäude wurde, so wie es der Bundestag beschlossen hatte.
Rainer Haubrich, Architekturkritiker
"Man wollte das Schloss zurückhaben, weil es städtebaulich wichtig war. Es war der Dreh- und Angelpunkt im Zentrum Berlins. Das Schloss hat hier seit 500 Jahren gestanden. Und alles nach dem Schloss hat sich auf das Schloss bezogen."
Zum Beispiel das Alte Museum. Es sieht so aus, wie es aussieht, weil es erst nach dem Schloss gebaut wurde:
Rainer Haubrich, Architekturkritiker
"Als Schinkel das Alte Museum gebaut hat, war das eine Antwort auf das Schloss. Er musste sich anstrengen, dass das Alte Museum überhaupt bemerkt wird, wegen der kolossalen Ausmaße des Schlosses. Damit es nicht aussieht, wie die Hausmeisterwohnung vom Schloss. Deswegen musste er es auf einen Sockel stellen."
Noch ein Beispiel ist für Rainer Haubrich der Dom. Der gefällt dem Architekturkritiker überhaupt nicht, aber wenigstens sehe er jetzt nicht mehr viel zu groß geraten aus und der Lustgarten mache endlich wieder Sinn.
Rainer Haubrich, Architekturkritiker
"Der Lustgarten war der Garten, in dem die Hofgesellschaft lustgewandelt ist. Wenn dann aber kein Schloss dasteht, weiß man gar nicht, wozu der Lustgarten gehört. Der Lustgarten gehört zum Schloss."
Jetzt stört Rainer Haubrich nur irgendwie die Straße Unter den Linden, um direkt vom Schloss in den Lustgarten zu kommen. Aber auch der Boulevard hat an Pracht gewonnen im Vergleich zu den 60er Jahren.
Rainer Haubrich, Architekturkritiker
"An diesem Foto kann man sehen, dass der Wie deraufbau des Schlosses die Vollendung einer ganz langen Zeit von Rekonstruktionen ist, die schon zu DDR Zeiten begonnen hat. Wir sehen ganz rechts das Opernpalais, dann kommt das Kronprinzenpalais, nach der Wende von Bertelsmann rekonstruiert, und zum Abschluss das Schloss mit der Kuppel."
Bei der Arbeit an seinem Buch ist Rainer Haubrich auf so manche Anekdote gestoßen. Im neuen Foyer erzählt er, dass Erich Honecker auch gerne ein richtiges Schloss gehabt hätte, so steht es in den Memoiren eines seiner Mitarbeiter.
Rainer Haubrich, Architekturkritiker
"Er schreibt, dass Honecker von Staatsreisen zurückkam aus Frankreich und Spanien, wo er in Madrid und in Paris in Palästen empfangen wurde und er soll gesagt haben, er bedaure, dass Schloss von Walter Ulbricht abgerissen wurde, denn wenn es noch stünde, könne sich auch die DDR in einem fantastischen barocken Bau repräsentieren."
Das wiederaufgebaute Schloss soll jedem offenstehen. Rainer Haubrich ist überzeugt, dass Berlin endlich wieder eine Mitte hat, die sich sehen lassen kann.
Autorin: Nathalie Daiber