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Wut, Schamgefühl, Entsetzen – aber auch die Möglichkeit, etwas zu tun – das hat die Theatertruppe der Academy Kreuzberg bei ihren Recherchen für ihr Tanzstück zum Holocaust-Gedenktag erlebt. Es geht ihnen darum, im Alltag zu stolpern, und innezuhalten, um zurückzublicken.
"Edith Seliger… deportiert und ermordet in Auschwitz am 10.09.1943."
"Morderchai Amirowitsch, geboren 1919, war polnisch-jüdischer Widerstandskämpfer und stolz darauf."
"Esther Bejerano, geboren 1924, gestorben 2021 in Hamburg. Sie überlebte Auschwitz, weil sie im Mädchenorchester Akkordeon spielte."
Die Schuhe sind ein Symbol für die, die von den Nazis verfolgt oder ermordet wurden. Annika, Johanna, David und Lana proben das Tanztheaterstück "Rückwärts". Damit wollen sie an den Holocaust erinnern, eine Initiative der Academy Kreuzberg. Gemeinsam haben sie das Stück in der Bühnenkunstschule erarbeitet, haben im jüdischen Museum recherchiert - um sich diesem größten Verbrechen der Menschheit zu nähern.
David Weschke, Schauspieler
"Ich glaube, dass wir alle eine Verantwortung haben, uns dieses Thema präsent zu halten und ich glaube, das ist so ein bisschen mein versuch, mich dem anzunähern, und zu gucken, was kann ich tun, wie kann ich meinen Beitrag leisten."
Annika Horsch, Schauspielerin
"Weil jetzt langsam viele Zeitzeugen und Menschen der älteren Generation sterben, die natürlich noch einen persönlichen Bezug dazu hatten, Und wir finde ich als junge Generation uns darüber bewußt sein sollten, was wir für eine Verantwortung tragen und auch einen persönlichen Bezug herstellen, damit wir drauf achten können, dass es nicht nochmal passiert, uns bewußt sein können, wie schnell sowas gehen kann."
Tanzend im Theater gedenken - ist ihr persönlicher Weg, um sich mit der Geschichte auseinanderzusetzen…
Johanna Stevens, Tänzerin
"Da stehen die ganze Zeit Schuhe, die wir tragen. wir bringen Erinnerungen und dann fasse ich die Erinnerung an und ich nehme sie und ich gucke sie mir an, und ich nehme sie, fasse sie an und gucke, was sie mit mir macht. Und stelle sie wieder hin und gehe mit ihr weiter."
Seit September erarbeiten sie mit einer Choreografin das Stück und proben 2 mal die Woche in Kreuzberg.
Nur ein paar Straßen weiter, in Berlin Mitte oder anderswo in Deutschland, Impfgegner demonstrieren, oder wie sie jetzt sagen, sie gehen spazieren, tragen die Kleidung von KZ-Häftling, andere heften sich Davidsterne an oder vergleichen sich mit Anne Frank. Symbole die für das Unfassbare stehen, werden instrumentalisiert.
Durch diese Auftritte wird am Ende der Holocaust relativiert sagt Dan Diner.
Der deutsch-israelische Historiker ist der Sohn von Überlebenden. Er forscht seit Jahrzehnten zur Shoah. Wir erreichen ihn in Jerusalem. Impfgegnern, die sich mit den verfolgten Juden vergleichen, leugnen für ihn den Holocaust.
Dan Diner, Historiker
"Dass man sich sozusagen in Verkehrung dessen, von dem was geschehen ist, sich in eine Opferrolle versetzen möchte, die eigentlich eine Form des Protestes gegen die Erinnerung an den Holocaust ist. Eine sehr paradoxe Reaktion. Das heißt, man stellt sich als Opfer dar, aber in Wirklichkeit wendet man sich gegen das Objekt der Erinnerung."
Für Dan Diner verweigern sie damit auch den Respekt vor den Opfern, das gilt für alle, nicht nur die eindeutig Rechtsradikalen bei den Impfgegnern. Auch für die Leiterin der Antonio-Amadeu Stiftung ist das nicht nur eine Verharmlosung des Holocaust, sondern Antisemitismus.
Anetta Kahane, Leiterin der Antonio-Amadeu Stiftung
"Also sich selbst zum Opfer zu machen und dann diesen Vergleich zu wählen, zeigt wie egal ihnen die Opfer der Shoah sind und was für eine Art von Verdrängung und Abwehr dahinter steckt, und das ist antisemitisch auf jeden Fall."
Gegen diesen Antisemitismus hilft nur, einen Umgang mit dem Gedenken zu finden, die erinnerung wach zu halten. Aber wie? Natürlich gibt es dafür Orte wie das Holocaust-Mahnmal aber auch, Filme, sagt Dan Diner.
1979 zeigte das öffentlich-rechtliche Fernsehen in der Bundesrepublik die amerikanische Serie "Holocaust" über das Schicksal der Familie Weiss. Damals diskutierte erstmals ein großes Publikum über den Genozid an den europäischen Juden.
Einblendung, Abendschau 1979
Dan Diner, Historiker
"Dieser Film hat weit mehr ausgelöst als ganze Bibliotheken hätten auslösen können. Das heißt auch die neuen Medien können dazu beitragen. Es ist eine Frage der Eindrücklichkeit. Die Überlebenden sind sicher Ikonen dessen, was geschehen ist, aber um sich darüber sozusagen zu Informieren um sich beeindrucken zu lassen von dem was geschehen ist, können auch andere Medien oder überhabt Medien herangezogen werden."
- "Das heißt, das ist eine Aufgabe für die Kultur würden sie sagen?"
"So ist es."
Wut, Schamgefühl, Entsetzen – aber auch die Möglichkeit, etwas zu tun – das hat die Theatertruppe der Academy Kreuzberg bei ihren Recherchen für ihr Tanzstück zum Holocaust-Gedenktag erlebt. Es geht ihnen darum, im Alltag zu stolpern, und innezuhalten, um zurückzublicken.
Annika Horsch, Schauspielerin
"Alles was wir hier gemacht haben, die ganze Emotionalität und eben die Persönlichkeiten und auch die persönlichen Schicksale, ich habe das Gefühl, ich habe das bei mir und ich habe es in meinem Sichtfeld wenn durch den Alltag gehe."
Sie haben mit dem Tanztheater ihre Antwort auf die Frage, wie sich erinnern, gefunden. Und gezeigt, es gibt viele Antworten. Wir müssen nur alle danach suchen…
Autor*innen: N. Daiber, F. Grothe, J. Kreutzer