
-
"Die Literatur ist tot", hatte es 1968 geheißen. Und was kam dann? Das hat der Literaturkritiker Helmut Böttiger in seinem neuen Buch beschrieben. Auch aus seinem eigenen Erleben speist sich sein analytisches und unterhaltendes Buch über die Literatur der 70er Jahre – ein Jahrzehnt der Experimentierfreude, das bis heute nachwirkt.
Die 70er begannen in den 60ern. Da ist die Anekdote vom armen Uwe Johnson: In den späten Sechzigern hält sich der berühmte Berliner Schriftsteller in New York auf – in seiner Wohnung in Friedenau hat sich derweil die Kommune 1 einquartiert. Ohne sein Wissen.
Helmut Böttiger, Literaturkritiker
"Dann schlug eines Tages Johnson die "New York Times" auf und stellte fest, dass in seiner Wohnung die Kommune 1 das sogenannte "Puddingattentat" auf den US-Vizeprädienten Humphrey verüben wollte und dass dieser Plan dort ausgeheckt wurde, in seiner Wohnung. Und da war er doch sehr elektrisiert. Er rief dann Günter Grass an, der nebendran wohnte, er solle doch dann unter Polizeiaufsicht den Auszug dieser Kommune 1 beaufsichtigen."
"Die Literatur ist tot", hatte es 1968 geheißen.
"Für wen schreibstn Du überhaupt – was für eine Öffentlichkeit suchst Du denn?"
Und was kam dann? Das hat der Literaturkritiker Helmut Böttiger in seinem neuen Buch beschrieben. Ein linker Buchladen wie "Schwarze Risse" in Kreuzberg – entstand aus dem Geist dieser Zeit.
Helmut Böttiger, Literaturkritiker
"Es gab in allen Universitätsstädten, in allen Großstädten diverse kleine Initiativen, Buchhandelskollektive, die mit den üblichen Buchläden überhaupt nichts zu tun hatten. Sondern die waren selbstorganisiert, gingen aus der politischen Bewegung hervor, waren recht anarchisch, chaotisch. Die üblichen Vertriebsstrukturen spielten überhaupt keine Rolle."
Helmut Böttiger machte damals selbst mit, bei einer Literaturzeitschrift in Freiburg, "Das Nachtcafé".
Helmut Böttiger, Literaturkritiker
"Es war wirklich sehr improvisiert und vielleicht der Ersatz dafür, was heute vielleicht auf facebook stattfindet. N bisschen Kunst wurde auch versucht..."
Auch aus eigenem Erleben speist sich sein analytisches und unterhaltendes Buch über die Literatur der 70er Jahre – ein Jahrzehnt der Experimentierfreude, das bis heute nachwirkt.
Helmut Böttiger, Literaturkritiker
"Im Literaturbetrieb könnte man sagen, unsere Gegenwart beginnt in den 80er Jahren. Und was vorher war bis Anfang der 80er Jahre, die 70er Jahre, das ist eine Phase, die jetzt schon fremd geworden ist und schon zur Literaturgeschichte gehört. Das jüngste Kapitel einer schon abgelegten Literaturgeschichte. Und es ist sehr spannend, sich daran zu erinnern, wie bestimmte Dinge, die für uns heute selbstverständlich sind, wie die damals ausprobiert wurden."
Der Lyriker Rolf Dieter Brinkmann ist ein herausragendes Beispiel – ein radikaler Einzelgänger, der die US-amerikanische Beatlyrik in deutsche Alltagstristesse überträgt.
Filmausschnitt, mit Rolf Dieter Brinkmann
"Ich trinke meinen Kaffee, wie jeder Kaffee trinkt
Aber die Bilder sind anders.
Der eine denkt an irgendetwas und ich denke an irgendetwas,
Liz Taylor lächelt immer zu."
Rolf Dieter Brinkmann, Lyriker (1968)
"Was ich möchte ist eben eine neue Empfindlichkeit mit ausdrücken zu helfen. Themen, die so ganz aus dem subjektiven Bereich stammen eben so weit radikalisieren, dass sie dann auch noch mehr Leute angehen."
Helmut Böttiger, Literaturkritiker
"Eine neue Sprache der Einfachheit, des Alltags, wurde als Befreiung erlebt. Dass man nicht sich in höheren Sphären bewegt, sondern die unmittelbare Lebensumgebung beschreibt und sich dadurch klar wird, wer man ist, was man will."
Und in der DDR? Der Name Erich Honecker war anfangs noch mit so etwas wie Liberalisierung verbunden – doch dann: Die Ausbürgerung Wolf Biermanns 1976.
Filmausschnitt, mit Wolf Biermann
"Du, lass Dich nicht verhärten, in dieser harten Zeit."
Helmut Böttiger, Literaturkritiker
"Die ganzen Möglichkeiten, sich literarisch ein bisschen vorzuwagen in ein Terrain, das so gesellschaftliche Tabus zu berühren schien, die brachen dann natürlich ab. Die Schriftsteller wurden zensiert, bestimmte Dinge konnten nicht mehr veröffentlicht werden."
Die Literatur der 70er Jahre ergründet das Ich, bis hin zu seiner Übersteigerung. Die Texte des Chefgrantlers Thomas Bernhard sind wütende Monologe.
Thomas Bernhard, Schriftsteller
"Je größer der Widerstand, desto besser der Zustand, in dem sich das Gehirn absolut befindet."
Die 70er Jahre enden für Helmut Böttiger mit dem Auftauchen einer neuen, abgeklärten Generation. Er war dabei, als eines Abends der Schriftsteller Jörg Fauser in einem Kulturclub auf ein eher langhaariges, kiffendes Publikum traf.
Helmut Böttiger, Literaturkritiker
"Der Fauser sah einfach aus wie ein Alien. Der kam im Grunde schon aus den Achtziger Jahren. Man konnte damit schwer was anfangen, weil man noch sehr in diesem Hippie-Geist drin war. Und diese Konfrontation ist für mich aus heutiger Sicht sehr lustig gewesen."
Ein neuer Zeitgeist: Spätestens in diesem Moment in einer Talkshow enden die empfindsamen 70er.
Jörg Fauser, Schriftsteller (1984)
"Ich bin Geschäftsmann. Ich vertreibe Produkte, die ich herstelle und das ist mein Geschäft. Writing is my business."
Autor: Steffen Prell