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Der Hamburger Bahnhof - der Hotspot für internationale Gegenwartskunst in Berlin. Doch gerade ist das Museum im Umbruch: Einem großen Teil der Ausstellungsflächen - den Rieckhallen - drohte der Abriss, eine große Sanierung steht an und das Museum hat die renommierte Flick Collection mit über 2500 Exponaten verloren. Welche Kunst von welchen Künstler*innen mit welchem Konzept wird hier in Zukunft zu sehen sein? Gerade ist es wirklich kein einfacher Job dieses Haus zu leiten. Umso spannender, wie die neuen Direktoren des Hamburger Bahnhof Sam Bardaouil und Till Fellrath das machen wollen.
Schnell noch ein paar Mails, ein Post, einen Shot Koffein, bevor es in einen weiteren 12-Stunden-Tag geht – Till Fellrath und Sam Bardaouil im Café auf dem Hof ihrer neuen Wirkungsstätte: Dem Hamburger Bahnhof in Berlin.
Till Fellrath, Direktor Hamburger Bahnhof
"Es ist natürlich sehr aufregend, so eine große Institution in die Zukunft zu führen und da gibt es viele Themen, die anstehen und gleichzeitig kuratieren wir noch den französischen Pavillon auf der Biennale in Venedig und die Biennale in Lyon. Und jetzt, am Donnerstag, eröffnet eben auch noch unsere Ausstellung im Gropius-Bau."
Sam Bardaouil, Direktor Hamburger Bahnhof
"I think you‘re lucky when you can transform your passion and something that you truly truly appreciate and love into your life your living, job. So this distinction between when is busy and when is a break is lost."
"Es ist ein großes Glück, wenn man - wie wir - seine Leidenschaft und das, was über alles liebt in seinen Job verwandeln kann. Dann macht es keinen Unterschied mehr, ob ich gerade arbeite oder Pause mache."
Vor 13 Jahren gründeten Bardaouil und Fellrath die Plattform "Art Reoriented". Seitdem jetten sie als kuratorisches Duo durch die Welt. Mit über 70 Kultur-Institutionen haben sie bereits gearbeitet. Der eine Libanese, promovierter Kunsthistoriker und Performance Artist, der andere Deutscher mit einem Master in Politik und Wirtschaft von der London School of Economics. Unterschiedlicher geht’s kaum.
Sam Bardaouil, Direktor Hamburger Bahnhof
"Till brings the logic, I bring the heart…
But to say it in a different way: definitely this difference in background is a great great enrichment. Different cultures, different languages, different upbringings. I have experienced Civil War I know about displacement to flee your home to live somewhere else and then persevere. My relationship to art in this context is very different from someone who enjoys it on a Sunday afternoon. For me it was an escape, it was a way to relate with the world to understand my place within it. And how can I give back. Ist my form of activism."
"Till bringt die Logik mit und ich das Herz....
Oder anders ausgedrückt: Unsere Unterschiede sind eine große Bereicherung: unterschiedliche Sprachen, kulturelle Prägungen. Ich zum Beispiel habe einen Bürgerkrieg erlebt, ich weiß was Vertreibung und Flucht bedeuten und woanders neu anzufangen. Mein Verhältnis zur Kunst ist sehr anders als das von jemandem, der am Sonntagnachmittag eine Ausstellung genießt. Kunst war meine Rettung, und half mir meinen Platz in der Welt zu finden. Es ist meine Form des Aktivismus."
Noch sieht man den Aktivismus nicht. Noch steht im Haupthaus eine Ausstellung, die ihre Vorgängerin kuratiert hat.
Die Handschrift von Bardaouil und Fellrath wird wohl erst 2023 richtig sichtbar.
Ihre Pläne klingen noch abstrakt: Das Museum als "collecting institution" und Ort des "Voneinander-Lernens". Doch was heißt das konkret?
Till Fellrath, Direktor Hamburger Bahnhof
"Was wir besonders spannend finden, ist, dass die Gebäude, aber auch die Geschichte der Institution der Nationalgalerie selber direkt die Geschichte Deutschlands und der Stadt Berlin widerspiegelt. Und wir möchten diese Geschichte erzählen mit einem Archivraum. (…) Das Gebäude befand sich ja gerade an der Zonengrenze. (…) Und diese Geschichte, dieser historische Ort und diese wechselvolle Geschichte ist auch ein Auftrag an uns als Museum, sich dafür einzusetzen, dass Menschen unterschiedlicher Meinungen, unterschiedlicher Herkünfte hier zusammenkommen können, einen Austausch finden können auf der Basis der Kunst."
Für mehr Austausch holen sie 2022 das größte Kunstevent der Stadt – die Biennale – in die jetzt leeren Riek-Hallen.
Hier residierte jahrelang die Sammlung von Friedrich Christian Flick. Als der Abriss drohte, zog er die über 2500 Werke zurück. In letzter Sekunde konnte die Stadt die Hallen retten. Langfristig sicher ist der Standort aber nicht.
Die beiden sehen es als Herausforderung.
Sam Bardaouil, Direktor Hamburger Bahnhof
"How do you use this space and all the potential and the possibilities it provides. To be able to rethink how to hang the collection, how do you work with immersive art installations and new positions in relation with works that have been in the collection for decades. So, the idea is to think of this place as an incubator that allows for a different type of exhibition making, public engagement create a different form of museum experience."
"Dieser Ort hat so viel Potential und bietet so viele Möglichkeiten: Man kann die Sammlung neu hängen, immersive Kunstinstallationen mit Werken in Verbindung setzten, die schon seit Jahrzehnten Teil der Sammlung sind. Wir sehen die Hallen als eine Art Inkubator, wo neue Ausstellungskonzepte ausprobiert werden, wo das Publikum einbezogen und der Museumsbesuch eine gänzlich neue Erfahrung wird."
Im Eiltempo geht es in den Gropius Bau, wo beide gerade die Ausstellung "Beirut and the Golden Sixties" kuratieren und aufbauen:
Unterschiedlichste Sichtweisen auf eine oft als Goldenen Ära verklärte Zeit. Beirut als kosmopolitischer Schmelztiegel zwischen Popkultur und Politik, von 1958 bis zum Bürgerkrieg.
Sam Bardaouil, Direktor Hamburger Bahnhof
"I think this is very reflective of our work which is looking at important centers of artistic production that have contributed a lot to the development of art, modernism in particular, but have been neglected obscured in their importance by the writing of art history."
"Die Ausstellung zeigt unsere Arbeitsweise sehr gut. Zum Beispiel beschäftigen wir uns häufig mit Orten künstlerischer Produktion, die die Entwicklung der Kunst – besonders der Moderne - maßgeblich beeinflusst haben. Die aber vom Kunstkanon missachtet wurden."
Mit den beiden unterwegs sein heißt: die Zeit vergeht schnell.
Zwei Menschen in ständiger Bewegung – in einem Kaleidoskop von Projekten und Ideen. Ihre Erfahrung fließt jetzt in ihre Arbeit am Hamburger Bahnhof.
Autorin: Anne Kathrin Thüringer