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Nur an wenigen Berliner Straßen lässt die die Geschichte der Stadt so lebendig ablesen, wie an der Chausseestrasse zwischen Mitte und Wedding. 1,7 Kilometer Wirtschafts-, Kultur- und Sozialgeschichte hat Autor Holger Schmale in ein Buch gepackt und erzählt von einer Straße, die in den letzten 200 Jahren viel erlebt hat.
Schön ist die Chausseestrasse nicht. Aber auf 1,7 Kilometern Länge spiegelt sich die Geschichte Berlins der letzten 200 Jahre. Hier wurde der Spartakus Bund gegründet, lebten Berthold Brecht und Helene Weigel. Bekannt wurde die Chausseestraße auch durch dieses Haus - die Nummer 131.
Holger Schmale, Publizist
"Mich hat gewundert, wie schäbig das aussieht dieses Haus."
In diesem Haus hat der Liedermacher Wolf Biermann zu DDR-Zeiten seine berühmte Platte "Chausseestrasse" eingespielt. Für einen Zeitungsartikel wollte der Journalist Holger Schmale wissen, was aus dem Haus geworden ist.
Holger Schmale, Berlin Korrespondent ab 1979
"Das ist die Platte, die hier im Haus aufgenommen worden ist 1969, als Wolf Biermann Auftrittsverbot hatte in der DDR, wenn man sich irgendwie für DDR interessierte und für politische Musik interessierte, dann war das damals ein großes, großes Thema."
Holger Schmale, Publizist
"Wenn man da oben rauf schaut in der zweiten Etage, da sieht man ein blaues B neben dem Fenster, das ist das Fenster wo die Platte produziert worden ist."
Wolf Biermann nimmt das Album im Wohnzimmer auf, der Lärm der Chaussestrasse ist manchmal zu hören. Das Band wird aus der DDR geschmuggelt und in West Berlin veröffentlicht.
Bei seinen Recherchen zum Biermann-Haus entdeckt Holger Schmale gegenüber eine Tafel, die an die Borsig Werke erinnert, die im 19ten Jahrhundert hier standen und beschließt, die Geschichte der Chausseestraße genauer zu erkunden.
Holger Schmale, Publizist
"Es reihte sich hier eine Maschinenfabrik, Eisengießereien, Schmieden solche Formen von Industrie reihte sich hier eine an die andere. Das erste war das, was August Borsig hier bebaut hat, hat bebauen lassen und wo er angefangen hat Lokomotiven zu bauen. Das waren mehrere Blocks - die Straße rauf."
"Feuerland" wird die Gegend damals von den Berlinern genannt, wegen der rauchenden Schlote und der Schmiedefeuer. Anfangs baut Borsig hier Dampfmaschinen, später Lokomotiven. Dabei steht er in ständiger Konkurrenz mit Herstellern aus Großbritannien, doch bei einer Wettfahrt gewinnt die preußische Lokomotive.
Holger Schmale, Publizist
"Gut fünfzig Jahre war das hier der Kern der deutschen Industrie nicht das Ruhrgebiet sondern das war hier mitten in Preußen in Berlin."
Ab 1900 produziert Borsig vor allem in Tegel. Das Verwaltungsgebäude bleibt, heute steht es unter Denkmalschutz und ist Sitz der Bundeszahnärzte-Kammer. Die aufwendig sanierten Backsteingebäude in den Hinterhöfen erinnern an den ehemaligen Industriestandort. Aber auch aus der DDR-Zeit hat Holger Schmale hier Spuren gefunden.
Holger Schmale, Publizist
"Szenen aus dem Leben hundert Jahre nach Borsig könnte man sagen, denn da hatte das Tiefbaukombinat von Ost-Berlin seinen Sitz in der Chausseestraße, es war ein Kombinat was eine zentrale Bedeutung hatte. Sie haben hier ganz konkret in der Chausseestraße gab es eine besondere Beziehung zum Stadion der Weltjugend, was hier ein Stück weiter oben war, an dem haben sie mitgearbeitet."
1950 wird das Walter Ulbricht Stadion eröffnet - später Stadion der Weltjugend. Es ist eins der größten Leichtathletik- und Fußballstadien der DDR. 1992 wird es wegen der Olympia Bewerbung Berlins abgerissen. Olympia kommt nicht, stattdessen baut sich der Bundesnachrichtendienst hier seine Zentrale.
Holger Schmale, Publizist
"Man kann sagen, es ist eine Straße, die halt immer wieder neue Funktionen bekommt und die sich immer wider häutet, das ist, glaube ich, etwas, was sie ausmacht und sie damit zu einer sehr typischen Berliner Großstadtstraße macht."
In Holger Schmales "Chausseestraße" gibt es viel zu entdecken - über eine Straße, die - wie Berlin selbst - immer im Wandel ist. Und nie fertig.
Autorin: Bettina Lehnert