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Der Döner ist mindestens so deutsch, wie Richard Wagner und vor etwa 50 Jahren hier erfunden worden. Jetzt hat Autor Eberhard Seidel eine türkisch-deutsche Kulturgeschichte des Döners geschrieben, in der sich die Geschichte der Bundesrepublik und der Migration spiegelt.
Bei Deniz Buchholz gibt es Döner mit Anspruch – "Kebap with Attitüde" heißt der Laden in Berlin Mitte. Hauptsache gut und lecker, und das auch mit Trüffel. Deniz und seine Mitgründer schreiben ein neues Kapitel in der Geschichte des Döners.
Deniz Buchholz, Kebap with Attitude
"Ich glaube jeder Berliner wächst mit Döner auf. Und das gehört eben zu der Kultur dieser Stadt dazu und wir als Gründer, wir sind Berliner, wir haben darüber nachgedacht, wir haben einen Döner gegessen relativ früh am Morgen nach dem Club aber keiner hat bis heute oder bis vor ein paar Jahren, keiner die Idee aufgegriffen, den Döner zeitgemäß zu machen."
Wie der Döner eine berliner und dann deutsche Spezialität geworden ist, das erforscht Eberhardt Seidel. Der Journalist hat selbst schon viele in seinem Leben gegessen seit seiner Studentenzeit in West-Berlin in den 70ern. Und für ihn ist die Geschichte des Fleisches im Fladenbrot auch die Geschichte, wie Deutschland sich zu einem Einwanderungsland gewandelt hat.
Ausschnitt, Abendschau 1994
Eberhard Seidel, Autor, Döner – Eine deutsch-türkische Kulturgeschichte
"Die Dönerbuden wurden ja nicht aufgemacht von Menschen, die nach Deutschland kamen, weil sie sagen, ich mache einen Imbiss auf, sondern sie wurde von Menschen aufgemacht, die eigentlich kamen um bei AEG, Telefunken in der Fabrik zu arbeiten aber diese Fabriken, das heißt, die Menschen wurden entlassen, waren arbeitslos."
Längst hatten sie ihre Familien nachgeholt. Kreuzberg war ihr Zuhause. Jetzt droht den einstigen Gastarbeitern die Abschiebung.
1981 tritt in West Berlin der Lummer Erlass in Kraft, benannt nach dem CDU-Scharfmacher und Innensenator Heinrich Lummer. Wer sich nicht selbst versorgen kann, muss gehen. Also gründeten die Einwanderer kleine Läden, und eben Döner-Imbisse.
Eberhard Seidel, Autor
"Der Döner Kebap ist für mich also ein Beispiel von einer Selbstermächtigung einer ausgegrenzten Gruppe, die in Bedrängnis gerät, die also mit dem Rücken zur Wand steht, die also in einer Situation ist, in der sie abgeschoben werden soll, in der sie aus dem Land gedrängt werden soll, etwas entwickelt, dass sie im Ergebnis viel stärker in diesem Land verwurzelt."
So verwurzelt, dass es sogar 1989 eine Art Reinheitsgebot für den Döner gibt. Auch, weil angesichts der massenhaften Nachfrage, vor allem der Preis zählte und nicht die Qualität.
Ausschnitt, Markt im Dritten, 1991
Der Döner ist also offiziell deutsch, und gleichzeitig ein Ort, wo viele Deutsch- und Türkeistämmige Menschen in Kontakt kommen.
Eberhard Seidel, Autor
"Die interkulturelle Begegnung am Dönerstand ist natürlich jetzt nicht überzubewerten. Das schließt nicht aus, dass Menschen trotzdem ihre Ressentiments und ihre Rassismen und ihre Abneigung und so weiter haben. Aber natürlich ist die Begegnung im Restaurant, beim Essen oder auch im Kaufladen nicht unerheblich. Und das ist also nicht nichts."
Aber Dönerstände sind als sichtbarstes Zeichen einer diversen Gesellschaft Ziel rechtsradikalen Terrors. Lange unerkannt: Die neonazistische Vereinigung NSU brachte 9 Menschen mit Migrationsgeschichte um. Erst als Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt in Erfurt ihr Haus in Brand stecken und die beiden Männer sich umbrachten, kam heraus, wer die Täter wirklich waren - Neonazis. Vorher waren es einfach nur "Döner-Morde" – auch das ist Teil der Geschichte.
Eberhard Seidel, Autor
"Die Polizei hat diesen Begriff Dönermorde in Umlauf gesetzt. Der wurde bereitwillig also auch von den Medien oder Teilen der Medien übernommen. Ungeprüft. Und der suggerierte ja, dass irgendetwas Kriminelles passiert innerhalb der türkischen Szenerie. Das heißt, die Opfergruppe wurde zur Tätergruppe markiert, also durch diesen Begriff Dönermorde. Und das kann man nicht anders bezeichnen, als eine rassistische Kommentierung dessen, was passiert."
Eberhard Seidel hat in seinem Buch "Döner - eine deutsch-türkische Kulturgeschichte" also keine Erfolgsstory geschrieben. Vielmehr bleibt es angesichts von Rassismus eine sehr ambivalente Geschichte.
Heute ist der Döner selbst für Elon Musk typisch deutsch und sein Lieblingsessen hier.
Eberhard Seidel, Autor
"Das heißt, das ist das Ergebnis von 50 Jahren Döner in diesem Land ist, das ist ein unverrückbarer Teil dieser Gesellschaft geworden ist, also das Deutschtum, das etwas entwickelt wurde, was etwas Fremdes ist, was deutsch-türkisches, aber unsere Sprache in diesem Land verwurzelt ist, zu seiner Identität gehört. Und das ist eigentlich, wenn man so will, also auch eine positive Entwicklung und ein positives Ergebnis des Ganzen."
Deniz Buchholz Kebapladen in Mitte schreibt die Geschichte weiter. Jetzt Postmigrantisch.
"Oh mit Granatapfelkernen fantastisch!"
Autorin: Nathalie Daiber