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Wagner - Ein Revolutionär, ein Über-Komponist, der sich selbst als Kunstfigur erfindet, der allerdings auf Grund seiner antisemitischen Schriften heute umstritten ist. Die Ausstellung "Richard Wagner und das Deutsche Gefühl" will sich Wagner historisch, aus seiner Zeit heraus annähern.
Musikgenie Richard Wagner. Das Gefühl war sein Geschäft. Er verbrachte fast so viel Zeit im Porträtstudio, wie beim Komponieren. Ein Selfmade-Star des 19. Jahrhunderts und ein begnadeter Techniker der Emotionen. Die Ausstellung "WAGNER UND DAS DEUTSCHE GEFÜHL" betrachtet Wagner in seiner Zeit.
Raphael Gross, Präsident Stiftung DHM
"Wir wollen den Menschen, die sich mit Wagner vielleicht gar nicht beschäftigt haben, die Opern noch nicht mal kennen, einen Eindruck geben, was für eine bedeutende historische Figur Wagner war, in welcher Weise er im 19. Jahrhundert präsent war."
Der junge Wagner erlebt den Aufbruch in neue Welten, politische und soziale Umwälzungen. 1848 wird er selbst mal als Revoluzzer steckbrieflich gesucht.
Danach verlegt er sich auf die Musik. Seine ersten Opern sind Künstlerdramen, handeln von verkannten Genies, Visionären, wie ihn selbst. Seine Idee einer ur-deutschen Moderne: Das Gesamtkunstwerk von Musik und Theater, von Gefühltem und Gedachtem. Parallel entwickelt Wagner seine Vermarktungs-Strategien.
Philipp Springer, Ausstellungsmacher
"Er hat sich selbst als Genie betrachtet und das eben auch so inszeniert. Und das hatte natürlich auch finanzielle Gründe. Er hat sich letztlich auch als Marke selbst inszeniert und verkauft."
Michael P. Steinberg, Ausstellungskurator
"Das ist auch eine Frage von großen Widersprüchen in Wagners Leben und Praxis und Denken. Auf der einen Seite die Reinheit der Kunst, die Reinheit der deutschen Seele, was Sie wollen. Auf der anderen Seite - Geschäft."
Richard Wagner, Compositeur. Als erster seiner Zunft verteilt er Visitenkarten, veröffentlicht Noten und Libretti seiner Opern. Die spielen zunehmend in mythischer Vergangenheit. Die Figuren - getrieben von Sehnsucht nach der Erlösung durch Liebe, von Hoffnung und Enttäuschung.
Die Ausstellung dokumentiert das Begehren als treibendes Element im Werk wie im Leben. Wagner lebt konstant über seine Verhältnisse, muss seinen Rotwein-Konsum anschreiben lassen - und leistet sich zahlreiche Affären.
Philipp Springer, Ausstellungsmacher
"Minna Wagner, seine erste Ehefrau kommt hier zu Wort, die sich gegenüber einer Freundin beklagt, wie schlimm das Leben mit Wagner ist und dass sie gerne ihn abgeben würde: "Sie sehen, dass eine Frau sich viel von den Männern muss gefallen lassen. Gern würde ich Ihnen den meinigen abtreten und froh sein, wenn ich keinen hätte"."
Auf der Opernbühne immerhin geht’s um Treue – Nibelungen-Treue: Germanische Helden beim Hauen und Stechen, dazu ein fettes Maß monumentaler Innerlichkeit: Groß inszenierte Gefühle von Volk und Nation für das Publikum auf dem Grünen Hügel, im extra errichteten Festspiel-Tempel von Bayreuth.
Ganz große Oper, von der – glaubt der Amerikaner Michael Steinberg – heute auch das Kino zehrt.
Michael P. Steinberg, Ausstellungskurator
"Wagner ist heute sehr populär, weil Wagner der Ursprung von Hollywood war. Denn wenn man einen Film anschaut, kommt die Wahrheit und die Gefühle durch die Musik. Und das hat man von Wagner."
Richard Wagner und die Folgen: Der Kult um das deutsche Gefühl, das er auf die Bühne bringt, geht einher mit offenem Nationalismus. Und mit der Ausgrenzung des "Anderen", der Juden – Thema zeitgenössischer Wagner-Karikaturen.
Der Komponist lässt den damals berühmten jüdischen Dirigenten Hermann Levi seine Opern dirigieren – und polemisiert gleichzeitig gegen das "Judenthum in der Musik".
Philipp Springer, Ausstellungsmacher
"Er schafft neue Begriffe wie Verjüdung oder Juden-Musikwelthauptstadt Leipzig. Also Begriffe, die in die Sprache des Antisemitismus Eingang finden."
1942, Wilhelm Furtwängler dirigiert die "Meistersinger" vor Rüstungs-Arbeitern und Kriegsversehrten im Berliner AEG-Werk. Ob Wagners Antisemitismus in seine Musik einging, ist umstritten. Seine Hetzschriften jedenfalls nahmen die Nazis als Vorlage für ihre Propaganda.
Raphael Gross, Präsident Stiftung DHM
"Wir zeigen bei Wagner, den Einfluss, den er auf den NS hatte, auf den sogenannten Erlösungs-Antisemitismus oder den Holocaust. Oder bis in die Gegenwart haben wir in der Ukraine eine sogenannte Wagner-Bande, die Teil des russischen Aggressionskrieges ist."
Michael P. Steinberg, Ausstellungskurator
"Wagner selbst ist immer unglaublich spannend und interessant und mächtig. Es gibt ein großes mächtiges Wagner-Publikum. Manche sind kritisch, manche nicht. Und manche können gleichzeitig beides sein, was meiner Meinung nach wichtig ist."
Muss, kann, darf man bei Wagner Musik und Ideologie trennen, das Genie vom geistigen Brandstifter? Die Ausstellung lässt das offen – und gibt dem Besucher anschauliche Entscheidungshilfe.
Autor: Andreas Lueg