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Hevin Tekin ist in einer kurdischen Familie in Berlin Kreuzberg aufgewachsen. Der Kampf gegen die Unterdrückung ihres Volkes hat sie immer begleitet. Vor zwei Jahren bekam sie einen Studienplatz für Schauspiel an der UDK und kurz später das Angebot, im Ensemble der Schaubühne zu spielen. Für Hevin Tekin passt das alles gut zusammen. Jetzt ist sie am 27.4. in der Premiere des Stücks "Beyond Caring" des britischen Erfolgsregisseurs Alexander Zeldin zu sehen.
Schichtbeginn, 21 Uhr in der Fleischfabrik. Die Reinigungskräfte rücken an. In dieser kleinen Welt sind die Machtverhältnisse klar.
Theaterprobe an der Schaubühne, "Beyond Caring"
"Was habe ich euch gesagt, sollt ihr vor Dienstschluss tun? Sagt mal…"
- "Putzen?"
"Hmm. Putzen."
Hêvîn Tekin spielt Ava. Avas Gelenke sind krank – aber was bleibt ihr übrig? Sie braucht diesen Knochenjob.
Hêvîn Tekin, Schauspielerin
"Ich sehe irgendwie das Theater als einen Ort, der Dinge thematisieren kann, die vielleicht woanders zu kurz kommen oder der dafür sorgt, dass Themen, die versucht werden, unten gehalten zu werden oder gar nicht in der Gesellschaft thematisiert werden, denen einen Raum zu geben."
"Beyond Caring" erzählt von Sprach- und Machtlosigkeit in kaltem Neonlicht, und in dieser Tristesse scheint Ava diejenige zu sein, die noch Lebensfreude in sich trägt.
"Ey, mir ist mein Traum von gestern wieder eingefallen – der, von dem ich euch erzählt habe. Weißt Du?"
Hêvîn Tekin, Schauspielerin
"Wenn ich mir einfach nur eine Person, einen geraden Weg in meinem Kopf habe und dann nen eindimensionalen Menschen spiele, dann reproduziere ich immer mehr Klischees und Schubladendenken."
Hêvîn Tekin will die Menschen, die sie spielt, erforschen, sagt sie. Seit einem Jahr ist sie Ensemblemitglied an der Schaubühne – noch aus der Schauspielschule heraus engagiert. Und wenn sie gegen Schubladen und für verdrängte Themen plädiert, dann hat das viel mit ihrem Aufwachsen zu tun. In Kreuzberg lebt sie und ist hier geboren – und unseren Interviewort hat sie mit Bedacht gewählt.
Hêvîn Tekin, Schauspielerin
"Mir sind direkt so diese Klischee-Fernsehbeiträge, wie Menschen so am Kotti sitzen und nen Chai schlürfen in den Sinn gekommen – das wollte ich natürlich nicht auch reproduzieren."
Hêvîn Tekin hat Fotos mitgebracht – erster Kontakt mit Theater im Kreuzberger Schülerladen.
"Mein Debüt"
Und ein Bild von einem Besuch im kurdischen Dorf ihrer Mutter.
"Cavizde heißt das."
Ihre kurdischen Wurzeln werden schon früh ein Lebensthema.
Hêvîn Tekin, Schauspielerin
"Ich war noch sehr klein, aber habe trotzdem schon so gemerkt, irgendwie passt nicht allen Leuten so der Fakt, dass ich Kurdin bin. Schon so in der Grundschule hat das angefangen. So: was bist Du? Naja, meine Eltern sind kurdisch - ah, okay, bist du PKK? Wo ist Dein Land? Und ich habe schon immer so gemerkt: irgendwas ist komisch."
Von ihrem Aufwachsen als Kurdin in Berlin erzählt auch der Dokumentarfilm KÖY, der gerade ins Kino gekommen ist.
Der Film begleitet drei Berliner Kurdinnen über mehrere Jahre. Ihre Eltern haben Hevin Tekin früh für ihre Wurzeln und die politische Lage in der Türkei sensibilisiert.
Filmausschnitt, KÖY
"Ich meine, das ist ja mein Zuhause auch. Und ich finde das so dumm, dass diese Politik… dass ich so viel darüber nachdenken muss, ob ich nach Hause fliegen kann."
Einige Jahre hat sich Hêvîn Tekin politisch engagiert und mit der Situation in den kurdischen Gebieten befasst – die Geschehnisse vor Ort wühlen sie immer wieder auf. Sie hat sich mit anderen Aktivistinnen und Aktivisten getroffen, sich politisch organisiert. Seit fünf Jahren ist sie deswegen nicht mehr in die Türkei gereist – das Risiko, verhaftet zu werden, ist ihr zu groß.
Hêvîn Tekin, Schauspielerin
"Mein Vater konnte auch zwanzig, fünfundzwanzig Jahre nicht zurück, auf Grund von der politischen Situation. Diese Sehnsucht habe ich einfach immer so gespürt, so zu Hause auch. Wenn uns etwas so verwehrt wird, dann steigt so das Verlangen noch mehr danach. Und jetzt in diesem Kontext ist es halt auch nochmal, dass es auch noch ein Ort ist, der mir auch dieses Gefühl gibt, irgendwie anzukommen und zuhause zu sein."
Die rein politische Arbeit ruht inzwischen – sie hat an der Universität der Künste Schauspiel studiert, um sich anders auszudrücken zu können – künstlerisch.
Hêvîn Tekin, Schauspielerin
"Ich habe mir diesen Weg halt ausgesucht, weil ich gemerkt habe, es ist der, der mich erfüllt – und das, was mich erfüllt, ist gleichzeitig auch eine Form, die Menschen auf einer ganz anderen Ebene erreichen kann."
Über das Schauspiel und die Emotion sensibilisieren. Zum Beispiel eben in "Beyond Caring", dem Stück über prekäre Arbeitsverhältnisse. Ein politisch denkender Mensch ist sie natürlich geblieben. Eine politische Schauspielerin? Was sollen die Schubladen…
Hêvîn Tekin, Schauspielerin
"Ich denke halt, politisch zu sein… oder ich würde es auch gar nicht so benennen oder dem so einen Titel geben, so: politisch sein… Sondern einfach menschlich sein ist eine Entscheidung, die man im Leben trifft."
"Ich sehe die Kunst als etwas sehr großes", sagt Hevin Tekin noch. Und dass sie ein Stück von ihrem Aktivismus auf der Bühne einbringen will. An der Schaubühne kann man ihr jetzt dabei zusehen.
Autor: Steffen Prell