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Thomas Struth ist einer der bedeutendsten Fotografen unserer Zeit. Und ihn beschäftigen schon seit einiger Zeit hoch komplexe Maschinen. Er fotografiert zum Beispiel den Teilchenbeschleuniger am CERN bei Genf, der die Ursprünge des Universums erforscht. Für ihn stellen sich hier philosophische Fragen und er sucht im Hightech nach der Unvollkommenheit des Menschen.
Wenn der Mensch die Krone der Schöpfung ist, dann müsste das CERN in Genf doch eigentlich ihr Juwel sein. Ein heiliger Gral der Physik, der Kernforschung, die höchste Hitech.
Der Fotograf Thomas Struth hat da so seine Zweifel. Er hat in den vergangenen Jahren in der Atomforschunganlage CERN fotografiert. Was zeigt er uns?
Thomas Struth, Fotograf
"Dieses hier hat mich interessiert, weil das so etwas wirkt, als wenn diese Anlage diese Kabel quasi auskotzt. Das ist so ne Art alltägliche, unspektakuläre, ungloriose Situation."
Eingeweide der Technik, Kabelsalat – blickt der Mensch da wirklich noch durch bei dem was er da treibt?
Thomas Struth, Fotograf
"Natürlich bin ich Bildermacher, ich kann das nur thematisieren ohne Propaganda. Ich will die Technologie nicht feiern, ich will einfach zeigen, was da drinsteckt, was ne Alltäglichkeit hat oder ne Verwirrung oder die Anstrengung."
Eine gigantische Metallskulptur – in dieser Anlage wird nach dem Zustand der Materie nach dem Urknall geforscht wird.
Thomas Struth, Fotograf
"Die körperliche Größe Mensch würde ungefähr so sein. Wenn man dann den Ursprung des Universums, wenn man dann wüsste, was da passiert ist, was die da untersuchen wollen, macht das dann die Menschheit besser? Was haben wir denn davon?"
Thomas Struths Kunst: Mit seinen Bildern samt der unaufgeräumten Details stellt er die Frage nach den Grenzen des Fortschritts und des menschlichen Wirkens.
Mit Großbildkameras ist er seit ungefähr 45 Jahren unterwegs. Der klassische Schnappschuss hat ihn nie interessiert – Bekenntnisse eines gefeierten Bildermachers.
Thomas Struth, Fotograf
"Dafür bin ich einfach zu langsam. Ich komme ja sowieso auch von der Malerei her, von der Langsamkeit. Das ist überhaupt nicht mein Ding."
Am Anfang widmet er sich der Architektur. Struth ist Jahrgang 54, Nachkriegsdeutschland West. In seinem Atelier zeigt er uns frühe Arbeiten. Mitte der 70er Jahre fotografiert er erstmals menschenleere Straßenzüge – andere Zeiten.
Thomas Struth, Fotograf
"Heutzutage kann man sich das nicht vorstellen, wie das damals gewesen ist. Die Gesellschaft war noch durchsetzt von Altnazis. Als ich dann angefangen habe, Großbild zu fotografieren in Düsseldorf, als ich da angefangen hab, da kam jeden Tag irgendeiner auf mich zu und hat mich beschimpft und hat mich gefragt, wer mir die Genehmigung gegeben hätte."
Warum sieht ein Ort aus, wie er aussieht? Die gedrückte Nachkriegsstimmung findet Thomas Struth in diesen Straßenzügen, Marke Westdeutschland.
Thomas Struth, Fotograf
"Der Ort, in dem das quasi faktisch unleugbar zu sehen war, war die Architektur. Das war einfach objektiv. Dieses Patchwork von Architektur in der das Leiden und die ganze Geschichte eingeschrieben ist und wo mein Gedanke, mein Gefühl war: das sind ja wir!"
Was der Mensch tut zeigt sich in der Menschenleere umso klarer. Rund um die Welt hat Thomas Struth später seine "Unbewussten Orte" fotografiert. Und wie stehen die Menschen zueinander, dort, wo sie herkommen? Lieber noch als Portraits nennt Thomas Struth seine Aufnahmen Familienleben.
Thomas Struth, Fotograf
"Wenn man die sagt, die Straße ist quasi die Großgruppe… aber wo fängt das Ganze an? Die Leute, die man nicht gewählt hat, die Eltern. Wann Sie geboren wurden und wo und von wem, da hatten sie keine Wahl. Also, das ist so ne Art Schicksalsangebot."
Und dann gibt es Aufnahmen, wo der Betrachter ganz auf sich zurückgeworfen wird. Bilder aus dem Paradies, dort wo es noch existiert. Eine Einladung zum reinen Sehen.
Thomas Struth, Fotograf
"Was man dann spürt, ist was ganz Einfaches. Man spürt: ich bin jetzt hier in diesem Raum und gucke. Sonst nichts."
Vom Menschen nachgebaute Natur – wer hat sich das alles ausgedacht? Auch der verschneite Feldweg, im ersten Coronalockdown fotografiert, gehört zu dieser Werkgruppe namens "Nature & Politics". Eine visuelle Meditation.
Thomas Struth, Fotograf
"Ich habe sehr lange dran gearbeitet an dem Druck, dass diese Schneehaufen hier wirklich leuchten. Man meint fast, man könnte den Schnee riechen. Und ich liebe einfach sozusagen das wandernde Auge, ja? Mit anderen Worten: mich interessieren Bilder, mit denen man verweilen kann. Die nicht schneller Konsum sind sondern viel Nahrung anbieten."
Und da wir so viel vom Menschen sprachen – Thomas Struth ist da mit seinen Bildern ganz unsentimental. Eine Schmuddelecke im CERN – Überbleibsel aus Versuchslaboren, das Stillleben heißt "Dreck".
Thomas Struth, Fotograf
"Was einmal glorreich war und in die Zukunft wies, ist einfach nur Staub und zerbrochene Details."
Das Bild hängt übrigens gleich am Anfang der Ausstellung. Damit man sich nicht zu früh freut, hat Thomas Struth gesagt.
Autor: Steffen Prell