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Es gibt nicht viele Biografien, die so viel über die Umbrüche und Schrecken des 20. Jahrhunderts erzählen, wie die von Gerhard Leo. Er wurde 1923 in Berlin geboren, sein Vater Wilhelm stammte aus einer jüdischen Familie. Als Kind musste Gerhard mit seinem Vater nach Paris fliehen. Er schloss sich der Resistance an und kämpfte gegen die deutschen Besatzer. Nach dem Krieg lebte er im Ruhrgebiet und ging später, aus Überzeugung, in die DDR. Dort wurde er ein angesehener Autor und Journalist. Jetzt wird sein Nachlass in der Akademie der Künste vorgestellt.
Kästen voller Erinnerungen. Darin das Leben von Gerhard Leo. Seine Tochter, die Historikerin Annette Leo hat das Archiv der Akademie der Künste übergeben. Es erzählt die Geschichte eines Helden – Gerhard Leo war einer der wenigen Deutschen in der französischen Resistance.
1933 flieht Gerhard Leo mit seiner jüdische Familie aus Berlin nach Paris. Damals ist er 10. Als die Nazis Frankreich besetzen, schließt er sich den Partisanen an – Annette Leo ist mit den Erzählungen des Vaters aufgewachsen:
Annette Leo, Historikerin
"Episoden von Partisanengeschichten, das waren Geschichten die immer gut ausgingen, die er gerne erzählt hat und das war natürlich auch total spannend. Er hatte eine Waffe und hat dann auch mal einen Schuss in den Oberschenkel bekommen und das war aber nicht schlimm, weil er hat es dann noch bis zum Wald geschafft und dann waren die Verfolger abgehängt."
Die SS verhaftet ihn, er sollte zum Tode verurteilt werden. Auf dem Weg nach Paris befreien ihn die Partisanen am Bahnhof Allassace aus dem Zug– sein Spitzname seitdem: Le rescapé – der Davongekommene. Gerhard Leo hat seine Geschichte in dem Buch "Frühzug nach Toulouse" aufgeschrieben.
Annette Leo, Historikerin
"Hier gibt es ja auch eine sehr tragische Geschichte in dem Buch von seinem Freund Michel. Der ja gefangen genommen und hingerichtet wurde von einem Standgericht. Und die hat er nie erzählt, die habe ich erst in dem Buch gefunden. Was Gefühle betraf, Zweifel, Trauer alles sone Sachen, das hat er nicht unbedingt gesagt."
Archiveröffnung in der Akademie der Künste. Ulrich Matthies liest aus Gerhard Leos Buch - es geht um eine Kontrolle durch die Nazis im besetzten Toulouse.
"Sind sie schon einmal in Deutschland gewesen?"
- "Nein, nie."
"So viele Antworten, so viele Unwahrheiten."
Die spätere Familiengeschichte in Ostdeutschland hat Enkel Maxim Leo aufgeschrieben. Gerhard Leo will ein neues, antifaschistisches Deutschland aufbauen, geht in die DDR. Kinder und Kindeskinder wachsen dort auf.
Maxim Leo, Schriftseller
"Jede Familie hat ja so ihre Helden und ihre mythischen Geschichten. Oft ist die Realität etwas komplizierter, als es in dem mythischen Heldenepos erzählt wird. Es gibt ja sozusagen zwei Geschichten: Die des Restistance-Kämpfers Gerhard Leo und die des DDR Bürgers Gerhard Leo. Und als DDR Bürger war er mir nicht so lieb, wie als Resistancekämpfer."
In der DDR arbeitet Gerhard Leo als Journalist für das Neue Deutschland und die Aktuelle Kamera.
TV-Ausschnitte, Archiv
"Guten Abend meine Damen und Herren."
Er berichtet aus Paris und Genf. Vor allem Annette Leo streitet viel mit ihren Eltern über die Verhältnisse in der DDR – denn sie und ihre Schwestern bleiben in Ost-Berlin.
Annette Leo, Historikerin
"Meine Eltern kamen dann zum Urlaub hierher und haben uns dann immer erzählt, wie toll die DDR ist und wie toll der Sozialismus ist und ich habe immer gesagt: Ihr lebt ja hier nicht. Wenn man ihnen dann so ein paar Sachen gesagt hat, dann sagten sie, das sind Einzelbeispiele und wenn man etwas allgemeines gesagt hat, das ist zu pauschal."
Kritik aus Frankreich. Die hat Annette Leo erst im Nachlass entdeckt. Gerhard Leo rechtfertigt 1968 in einer kommunistischen Zeitung die Niederschlagung des Prager Frühlings durch sowjetische Truppen. Die französischen Leser sind empört: dass ausgerechnet er, der für Freiheit und Demokratie gekämpft habe, so was schreibt.
Annette Leo, Historikerin
"Ich denke, das hat ihn überhaupt nicht kalt gelassen, daran erinnert zu werden, wofür er mal angefangen hat, mal angetreten war und deswegen hat er das auch nicht weggeworfen."
Von seinen Zweifeln aber hat er den Kindern nie erzählt.
Gerhard Leos Geschichte ist auch eine Geschichte einer jüdischen Berliner Familie im 20. Jahrhundert. Deren Nachfahren mittweile über die Welt verstreut sind. Zur Archiveröffnung waren sie alle in Berlin.
Autorin: Nathalie Daiber