
-
Immer mehr Bands und Musiker*innen aus Berlin mit anatolischen Wurzeln suchen die Aufmerksamkeit eines größeren Publikums. Anders als die Musiker*innen aus der Generation ihrer Großeltern und Eltern, will die neue Generation raus aus der Nische. Sie fordert selbstbewusst ihren Platz in der europäischen Musiklandschaft und die Anerkennung ihrer Vielfältigkeit, jenseits von Hip Hop- und Folklore-Klischees. Eine wichtige Plattform dafür ist das "IcIce" Festival, das Ende Mai in Berliner Festsaal Kreuzberg stattfindet.
Ein Sound wie aus den 70ern und türkische Melodien. Altin Gün aus Amsterdam waren für einen Grammy nominiert und spielen weltweit auf den großen Festivals.
Sie sind derzeit die bekanntesten Vertreter der neuen anatolischen Musik, zu der sich auch in Deutschland immer mehr Musiker*innen zählen.
Das IcIce-Festival, das an diesem Wochenende in Berlin stattfindet, will diese neue Musikszene fördern und feiern. Melissa Kolukisagil hat schon früher für große Festivals gearbeitet und organisiert IcIce.
MELISSA KOLUKISAGIL, Festiaval-Veranstalterin
"Vor mittlerweile 7 Jahren oder so als ich in Schleswig-Holstein auf irgendeinem elektronischen Musik-Festival gearbeitet hab im Backstage und dann irgendwann Sonntag nachmittag rauskam und dann die junge Derya Yildirim an der Saz oder an der Baglama eben gesehen hab, was mich so gewundert hat, auf so einem weitestgehend weißen Techno-Festival plötzlich eine Derya Yildirim zu haben die Lieder singt, die meine Mutter auch schon früher bei uns zu Hause gesungen hat."
Die Hamburgerin Derya Yildirim und ihre Grup Simsek sind die Stars der Szene in Deutschland. Unter dem Schlagwort "Neue Anatolische Musik" versammeln sich dabei ganz unterschiedliche Musiker*innen.
MELISSA KOLUKISAGIL, Festiaval-Veranstalterin
"Also anatolische Musik ist ja ein sehr weiter Begriff im Sinne von da kann erstmal ganz schön viel stattfinden. Und neue anatolische Musik das ist auf jeden Fall nicht Neue Musik wie man sie vielleicht kennt, aber neue anatolische Musik heißt eben wie klingt zum Beispiel anatolische geprägte Klangkunst die vielleicht auch hier entsteht in zweiter oder dritter Generation."
So, wie bei der Berliner Sängerin Nalan. Ihr Musikstil lässt sich kaum einsortieren.
NALAN, Musikerin
"Ich weiß selber nicht, was ich mache. Ist so."
Anatolische Elemente hört man bei Nalan nicht sofort.
Aber Nalan singt auch mal auf türkisch. Wieder auf dem Ic-Ice-Festival aufzutreten und Teil des neuen Netzwerks zu sein ist ihr wichtig.
NALAN, Musikerin
"Das war so herzlich und richtig cool von A bis Z richtig durchgeplant. Und es ist auch durchmischtes Publikum, aber es sind voll viele so aus der Community, die jetzt vielleicht einen ähnlichen Background haben wie ich oder ähnliche Erfahrungen teilen."
Sich wohl fühlen, eine ähnliche Geschichte teilen, eine Community bilden. Neben dem präsentieren neuer Musik hat das Festival auch einen politischen Anspruch.
MELISSA KOLUKISAGIL, Festiaval-Veranstalterin
"Ich hab auch persönlich viel Diskriminierung, Sexismus aber auch Rassismus erfahren im Nachtleben und in der Arbeit in der Clubkultur und hab auch viel Diskriminierung beobachtet. Also das ist auf jeden Fall eine Sache die ich ändern wollte mit einem eigenen Festival."
Für Melissa Kolukisagil gibt es in der Festivallandschaft noch viel zu tun. Sie ist überzeugt, dass sich die Strukturen ändern müssen.
MELISSA KOLUKISAGIL, Festiaval-Veranstalterin
"Es gibt auf jeden Fall wenig Menschen of Colour beispielsweise oder ja nicht so priviligierte Menschen, die sich trauen Räume zu erschaffen, aber es braucht auf jeden Fall auch unter den Veranstalter:Innen Menschen die andere Erfahrungen mitbringen und solche Sachen wie Diskriminierung und Vielfalt, Diversity tatsächlich auf dem Schirm haben, weil es sie in ihrem eigenen Leben auch betrifft."
Eine Person, die mit ihrer Kunst schon lange gegen diskriminierende Strukturen kämpft ist Anthony Hüseyin.
Anthony stammt aus der Türkei, lebt in Berlin und ist gerade für ein Konzert in Rotterdam. Anthony sieht hoffnungsvoll auf die neue Generation anatolischer Musiker*innen.
ANTHONY HÜSEYIN
"I think the most important is that the previous generations were more accepting and they were scared. With the new generation, they have the access to knowledge. The new generation knows how to write fundings which white people its normal for them. And they have been able to doing these festivals and everything because they knew how to get the money, but now the new generation know it to and they are quite strong."
"Ich denke das Entscheidende ist, dass die vorherigen Generationen vieles einfach hingenommen haben und Angst hatten. Die neue Generation hat jetzt aber Zugang zu Wissen und Bildung. Sie weiß, wie man Förderanträge stellt, etwas das für weiße Menschen ganz normal ist, weshalb sie auch bisher diejenigen waren, die Festivals und solche Sachen organisiert haben. Sie wussten wie man sich das Geld besorgt. Aber die neue Generation der migrantischen Community kann das jetzt auch. Und sie sind dabei ziemlich gut."
Auf seinem neuen Album singt Anthony Hüseyin Klassiker von Zeki Müren.
Müren war von den 60ern bis in die 90er der größte türkische Musikstar und gleichzeitig Die Ikone der Queeren Türkischen Community.
ANTHONY HÜSEYIN, Sänger
"I like the magic that he brings to the room that actually everybody forgets either about their gender or sexual identity or he just gives a bit of queerness to everyone basically. And everyone just like gets in touch with their queer part which they are not afraid of anymore. This is Zeki Müren for me and this is what I’m going for as well."
"Ich liebe die Magie die er in jeden Raum bringt und damit jeden das Geschlecht oder die sexuelle Orientierung vergessen lässt. Wie er jedem ein wenig Queerness gibt, so dass alle ohne Angst mit dem queeren Teil in sich in Kontakt treten können. Das ist Zeki Müren für mich und das ist das, was ich auch machen will."
Auch Melissa Kolukisagil und Nalan haben eine besondere Verbindung zu der Musik, mit der sie aufgewachsen sind. Im Kiosk 61 in Kreuzberg wurden früher Kassetten- und CDs verkauft. Hier finden sie unter den letzten übrig gebliebenen Tapes, die Stars ihrer Jugend.
MELISSA KOLUKISAGIL UND NALAN
Melissa: "Guck mal das war doch…"
Nalan: "Hande Yener of course."
Melissa: "Die war so voll krass, die schlug so richt ein wie eine Bombe."
…
Nalan: "Ich liebe ja auch diese Cover-Ästhetik von damals..."
Melissa: "Auch so überhaupt kein scharfes Bild, sondern so voll verschwommen."
Nalan: "Aber voll viel Emotionen."
Gleiche Erfahrungen, ähnliche Erinnerungen – das verbindet die neue Generation. Für Melissa Kolukisagil ist auch dadurch ein neues Selbstbewusstsein entstanden.
MELISSA KOLUKISAGIL, Festiaval-Veranstalterin
"Wir sind irgendwie auch die Generation, die nicht mehr um den Platz fragt, sondern den sich auch einfach nimmt und auch einfach selber entscheiden möchte welche Geschichte wir erzählen möchten, worüber wir reden wollen und ich finde das ist so voll wichtig."
Selbstbestimmt sein, seine eigene Geschichte schreiben und dabei euphorisch feiern. Dafür und für unwiderstehliche Musik schafft das IcIce-Festival Platz.
Autorin: