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Am 11.06. eröffnet die 12. Berlin Biennale – ein Kunstereignis, das zeigt, was junge, zeitgenössische Künstler:innen bewegt. Die Ausstellungsorte sind über die ganze Stadt verteilt, unter anderem in den Räumen der Akademie der Künste, im Hamburger Bahnhof, aber auch in der ehemalige Stasizentrale in der Normannenstraße. Wie plant man so ein Großereignis, wie hält man es konzeptionell zusammen? Wir haben den Kurator Kader Attia gefragt, was ihm wichtig ist.
Ein besonderer Moment für Kader Attia: Zum ersten Mal hängen alle Kunstwerke in diesem Raum im Hamburger Bahnhof. Jetzt kann der Kurator sehen, ob und wie sie zusammenpassen.
Kader Attia, Kurator der 12. Berlin Biennale
"C'est très, très bien. C'est très émouvant."
[Übersetzung der Redaktion]
"Sehr, sehr gut. Das ist sehr bewegend."
Die Kunst hier erzählt von Polizeigewalt gegen Roma in Frankreich oder gegen Schwarze in den USA.
Kader Attia, Kurator der 12. Berlin Biennale
"Je trouve que dans cette salle, il y a quelque chose de très fort. On vit dans une société dystopique ou en fait extrêmement violente. Mais ou il y a une telle saturation d'image avec Internet et la culture visuelle qu'on est tellement saturé d'images qu'on regarde plus. En fait, on regarde, mais on voit pas en fait."
[Übersetzung der Redaktion]
"Dieser Raum hat für mich etwas Starkes und Berührendes. Wir leben in einer dystopischen, einer extrem gewalttätigen Gesellschaft. Aber es gibt eine solche Überflutung mit Bildern durch das Internet und unsere visuelle Kultur, dass wir so mit Bildern übersättigt sind, so dass wir sie gar nicht mehr wahrnehmen. Eigentlich schauen wir zwar, aber wir sehen es nicht."
Es geht um die Narben von Kolonialismus, Faschismus und Großmachtbestrebungen. Das Verdrängte sichtbar machen:
"Je sais qu'il y a des gens qui vont me dire je ne veux pas voir ça et c'est pour ça que je le fais."
[Übersetzung der Redaktion]
"Einige Leute werden mir sagen, das will ich nicht sehen, genau deswegen mache ich es."
Und es hat alles auch mit ihm selbst zu tun – seiner Geschichte. Kader Attia ist In den Pariser Vorstädten aufgewachsen, kennt Diskriminierung durch die Polizei. Geboren ist er in Algerien – er weiß um die Brutalität des Kolonialismus:
Kader Attia, Kurator der 12. Berlin Biennale
"Le colonialisme dont je suis issu à travers mes parents, à travers aussi des traumatismes que j'ai vécu à travers mon histoire. Les violences policières que j'ai vécues, à titre personnel aussi sur la simple fait de ma couleur en France, sont des choses réelles, mais que les gens. ne voient pas, les gens ne voient pas, les Blancs ne voient pas avec moi. Ma femme est blanche, elle ne le voit pas."
[Übersetzung der Redaktion]
"Der Kolonialismus, den meine Eltern erlebt haben, die Traumata, die ich in meiner Geschichte erlebt habe. Die Polizeigewalt, die ich persönlich und auch aufgrund meiner Hautfarbe in Frankreich erlebt habe, sind real, aber die Leute sehen sie nicht, die Weißen sehen es nicht.. Wissen Sie, Meine Frau ist weiß, sie sieht es nicht.“
Für Kader Attia sind seine Erfahrungen Ausgangspunkt für seine Kreativität. Er trifft die Künstlerin Tui Han Nguyen Chi: deren Mutter aus Vietnam geflohen ist. Ihre Installation zeigt ein Boot. Es geht um Flucht, Tod, aber auch Leben und Freiheit.
Kader Attia, Kurator der 12. Berlin Biennale
"Wie ist es bei dem Aufbau des Boots gelaufen?"
Tui Han Nguyen Chi, Künstler
"Es war sehr anstrengend und intensiv. Es brauchte 5 Leute um es zu tragen."
Kurz vor der Eröffnung ist noch nichts fertig, Kader Attia leitet ein Riesenteam und müsste eigentlich überall gleichzeitig sein.
Kader Attia, Kurator der 12. Berlin Biennale
"Comment fait on pour faire un plaisir? C'est des plaisirs, je dirais différents. Peut être un peu addict à l'adrénaline aussi."
[Übersetzung der Redaktion]
"Wie macht man sich eine Freude? Es ist ein vergnügen, ich würde sagen, der etwas anderen Art. vielleicht bin ich auch einfach ein bisschen süchtig nach dem Adrenalinkick."
Kader Attia, Kurator der 12. Berlin Biennale
"On peut ne pas aimer les œuvres, on peut les aimer et on apprend. Et bien sûr, une exposition, une biennale ne peut pas changer le monde. Mais si on ne fait rien, n'a vraiment pas changé le monde, il va empirer. Donc, si vous voulez. Chaque œuvre, chaque biennale apporte un espace et un espace pour lentement changer les états d'esprit des gens. Et ça, j'y crois beaucoup."
[Übersetzung der Redaktion]
"Man kann die Werke nicht mögen, oder man kann sie lieben, aber wir lernen alle daraus. Und natürlich kann eine Ausstellung, eine Biennale, nicht die Welt verändern. Aber wenn wir sie nicht machen, wird die Welt sich sowieso gar nicht verändern, sie wird nur noch schlimmer. Jedes Kunstwerk, jede Biennale nimmt Raum ein und es ist ein Raum, um langsam so das Denken der Menschen zu verändern. Und daran glaube ich wirklich."
Und seine Biennale hat viele solcher Räume. Der wohl ungewöhnlichste in diesem Jahr: Die Stasi Zentrale in Lichtenberg. Kader Attia lebt und arbeitet seit 10 Jahren in Berlin. Er wohnt nicht weit weg von der Normannenstrasse.
Im 5.Stock des Stasi-Unterlagen Archivs hat er Künstler eingeladen, die sich mit Überwachung in der digitalen Welt auseinandersetzen:
Kader Attia, Kurator der 12. Berlin Biennale
"La particularité dans un campus comme ici, c'est une architecture archive avec à l'intérieur toute une mémoire de la surveillance, de la répression des libertés, de du contrôle. Et j'ai trouvé intéressant d'amener dans ce contexte, qui était en fait utilisé pendant la période communiste de l'Allemagne, d'autres formes de répression et de surveillance qui existent maintenant dans le monde capitaliste. Parce que je crois que les formes de répression n'appartiennent pas à une idéologie ou une autre."
[Übersetzung der Redaktion]
"Das Besondere an diesem Gebäude ist, dass es ein Erinnerungsort ist. Und darin ist die ganze Geschichte der Überwachung, Unterdrückung von Freiheiten und Kontrolle. Eigentlich erzählt er von der kommunistischen Zeit Deutschland, ich finde es interessant, in diesen Kontext andere moderne Arten der Unterdrückung und Überwachung zu zeigen, die jetzt heute in unserer kapitalistischen Welt stattfinden. Ich möchte zeigen, dass diese Art der Unterdrückung nicht mit irgendeiner Ideologie verknüpft ist."
Und schon geht es weiter:
Kader Attia nimmt uns mit in die Akademie der Künste am Pariser Platz.
Hier will er uns zeigen, was für ihn die Stärke der Kunst ausmacht – der diesjährigen Berlin Biennale – seiner Biennale. Zum Beispiel Träume. Ein solcher inspirierte die australische Künstlerin Taloi Havini zu dieser Spirale aus Muscheln. vor der Kolonialisierung die Währung in Papua-Neuguinea. Zerstört wie die Gesellschaft durch die Deutschen Kolonialisten. Ein ungewöhnlicher Beitrag zur Debatte über die Rückgabe von Raubkunst:
Kader Attia, Kurator der 12. Berlin Biennale
"Et ça, ça, c'est ce que je trouve intéressant, c'est qu'elle ne demande pas le retour, mais d'expliquer le processus de dépossession et en même temps, elle se réapproprie comme artiste. Donc la restitution ici est une forme de réinvention."
[Übersetzung der Redaktion]
"Ich finde es sehr interessant, denn der Künstlerin nicht um Rückgabe, sondern darum, den Prozess der Enteignung sichtbar zu machen und damit eignet sie sich diesen als Künstlerin an. Das heißt aus der "Rückgabe" wird eigentlich eine Neuerfindung."
Kader Attia, Kurator der 12. Berlin Biennale
"Pour moi le rêve est très important, c'est que dans la biennale que j'ai conçue, j'ai vraiment rassemblé deux types d'artistes. Des artistes qui montrent le monde tel qu'il est, mais aussi des artistes qui proposent des stratégies, c'est à dire des formes de résistance qui proposent des choses comment on peut évoluer."
[Übersetzung der Redaktion]
"Für mich ist der Traum sehr wichtig und in der von mir konzipierten Biennale, habe ich zwei Arten von Künstlern zusammengebracht. Künstler, die die Welt zeigen, wie sie ist, aber auch Künstler, die Strategien vorschlagen, Formen des Widerstands, die Dinge vorschlagen, wie wir uns weiterentwickeln können."
Autorin: Nathalie Daiber