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Am 25.8.2022 wurde ein historischer Vertrag zwischen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz und der staatlichen Kulturkommission von Nigeria unterzeichnet. Mit einem Schlag wechselten damit 512 Bronzeskulpturen aus der Sammlung des Ethnologischen Museums Berlin den Besitzer. Es ist ein Meilenstein in einer jahrzehntelangen und zähen Debatte um die Rückgabe von geraubter Kunst aus ehemaligen Kolonien.
"Schön war die Zeit für uns in Afrika,
doch diese Zeit ist lange her..."
Es waren nur etwas mehr als 30 Jahre, die Deutschland als Kolonialmacht in Afrika herrschte und es ist über 100 Jahre her... fast schon nicht mehr wahr. Aber die Vergangenheit rückt näher und näher. Und sie ist unsichtbar. Mindestens 95% der von Deutschland geraubten Kunstschätze lagern heute in den Depots der deutschen Museen. Afrikas kulturelles Gedächtnis wurde gestohlen. Die Menschen dort wissen größtenteils gar nicht, was ihnen fehlt. Und die europäischen Kolonialmächte wollten nicht wissen, was ihre Vorfahren gestohlen haben und sie wollten es nicht zurückgeben. Zum Beispiel die Benin-Bronzen: Britisches Raubgut, teils von Deutschland abgekauft. Sie gehören Nigeria. Dessen Botschafter erinnert sich an ein Ereignis vor 45 Jahren.
Yusuf M. Tuggar, Botschafter Republik Nigeria in Deutschland
"Ich war 10 Jahre alt, 1977, und ich weiß noch wie demütigend es für unser Land beim Festival für Kunst und Kultur‘ war - auch für so junge Menschen wie mich - als Nigeria eine Anfrage stellte, die berühmte Idia-Maske leihweise ausstellen zu dürfen und eine Absage kam. Und wir reden hier von einem großen Festival aller afrikanischen Länder. Unsere Bitte wurde einfach abgewiesen."
Seit 1960 ist Nigeria unabhängig, seit 60 Jahren bemüht sich das Land um seine weltberühmten Benin-Bronzen. Jetzt gibt Deutschland die ersten 512 davon zurück.
Annalena Baerbock, Außenministerin (1. Juli 2022)
"Dies ist der Beginn, das Falsche zu berichtigen. Das ist nur der 1. Schritt. Noch mehr solcher Abkommen werden folgen."
Warum ging jetzt alles so schnell? Noch vor anderthalb Jahren lieferten sich der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz und der Nigerianische Botschafter in einer großen deutschen Tageszeitung einen Schlagabtausch. Parzinger stellte klar, dass von einer kompletten Rückgabe nicht die Rede sein kann und versuchte, seine Museen aus der Schusslinie zu nehmen. Der Botschafter konterte 5 Tage später: "Alles müsse zurück."
Yusuf M. Tuggar, Botschafter Republik Nigeria in Deutschland
"Wir hatten ein paar Schwierigkeiten miteinander, als wir einen engagierten Meinungsaustausch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung führten. Aber dann wuchs der Respekt zwischen uns und wir wurden Freunde."
Genau wie die deutsche Politik, so musste auch Hermann Parzinger einen Lernprozess durchmachen. Mit endlosen Gesprächen und Beratungskommissionen konnte man die afrikanische Seite nicht länger hinhalten. Im Frühjahr letzten Jahres ging es dann endlich los.
Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz
"Wir waren 2021 mehrfach in Nigeria, es gab mehrfach Gegenbesuche und da war natürlich klar: Ab dem ersten Besuch, wo wir gesagt haben, wir wollen in die Verhandlungen eintreten über eine Rückgabe, war natürlich klar, dass es eine gewisse Dynamik gibt. Man fährt nicht einfach hin und sagt, man trifft sich in zwei Jahren wieder. Da war dann eine Dynamik drin, wir wollten dann zu einem Ergebnis kommen."
Leute, wie der Historiker Götz Aly, der zu kolonialer Raubkunst geforscht hat, sehen in der Stiftung Preußischer Kulturbesitz sogar einen der Hauptverantwortlichen für die Verschleppung der Rückgaben. Zum Beispiel, weil es seit Jahrzehnten keine digitalisierten Inventarlisten in englischer Sprache gibt – Afrika also angeblich absichtlich ahnungslos gehalten wurde.
Götz Aly, Autor: "Das Prachtboot. Wie Deutsche die Kunstschätze der Südsee raubten."
"Das hat man ja ganz bewusst gerade auch in der Stiftung Preußischer Kulturbesitz geheim gehalten. Mit dieser Geheimhaltung muss endlich ein Ende sein. Es muss in Klarschrift veröffentlicht werden, es müssen auch englische Übersetzungen gemacht werden, damit es vernünftige Grundlagen hat."
Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz
"Dieser Vorwurf ist absurd, den möchte ich auf das Schärfste, auf das Deutlichste zurückweisen, zu sagen, das ist absichtsvoll geschehen. Da ignoriert man, was eigentlich alles unternommen wird. Das sind Dinge, die müssen zum Teil entgiftet werden, die müssen digitalisiert werden, die müssen dann – das meint er wahrscheinlich – in einem zweiten Schritt transkribiert werden. Dann müsste man es auch noch mal übersetzen, damit es sozusagen auch in Englisch verfügbar ist – das macht man doch nicht von heute auf morgen."
Der deutschen Politik war koloniale Provenienz-Forschung bisher kaum Geld wert. Das große Umdenken begann erst, als die Sandstein-Replik des Hohenzollernschlosses Gestalt annahm und sich die Welt fragte, ob Deutschland wirklich die Dreistigkeit besitzt, im Schloss der einstigen Diebe das Diebesgut als sein Eigentum auszustellen.
Der Literaturwissenschaftler Ibou Diop soll jetzt mit Senatsmitteln ein Gedenkkonzept für Deutschlands Kolonialgeschichte entwerfen. Diop stellt eine schwer vorstellbare, aber berechtigte Frage:
Ibou Diop, Leiter Konzeptgruppe Koloniales Gedenken
"Wie wäre es für Deutschland, wenn alles, was Deutschland ausmacht sich im Ausland befinden würde. Das heißt, die Kinder, die hier aufwachsen hätten niemals die Möglichkeit gehabt, etwas zu sehen, was sie inspiriert. Um das zu sehen, was aus deren Kultur, aus dem Wissenskanon kommt, müssen sie ins Flugzeug steigen, um das zu sehen."
Ibou Diop ist für die schnellstmögliche Rückgabe der gesamten kolonialen Raubkunst. Die Benin-Bronzen gehören jetzt Nigeria – aber gut ein Drittel wird als Leihgabe hier bleiben. Die anderen über 350 Stücke gehen demnächst zurück nach Nigeria.
Götz Aly, Historiker, Politikwissenschaftler
"Ich glaube, es kann nur bereichernd werden. Wenn diese Kulturgüter zurückkommen, haben sie endlich wieder einen Rahmen, den sie hier nicht haben."
Autor: Ulf Kalkreuth